Die Stunden verrannen, ohne daß sich etwas ereignete. Regungslos auf ihrem Bett ausgestreckt, nahm Cathérine undeutlich den fernen Trubel des königlichen Festes wahr. Rufe, Gelächter, Trinklieder. Die fromme Königin Marie, Gemahlin Karls VII., wurde in Kürze aus Bourges erwartet. Der König machte sich ihre Abwesenheit offenbar zunutze, indem er sich vor ihrer Ankunft mit seinen Kumpanen noch einmal den üblichen Vergnügungen hingab … Cathérine hörte, wie Mitternacht ausgerufen wurde, dann folgte die Ablösung der Bogenschützenwache. Wie lange mußte sie wohl noch warten? Die Kerzen brannten schon herunter, bald würden sie ausgehen … Vielleicht war La Trémoille zu betrunken, um sich seiner Verabredung mit ihr zu erinnern? Schon wiegte sich die junge Frau in dieser angenehmen Illusion, als sie plötzlich auffuhr, einen Schrei unterdrückend. Die Tür ihrer Kammer öffnete sich sacht …

Instinktiv stieg ein stummes Gebet in ihr auf, kam aber schnell zu Ende. Es war nicht der Großkämmerer, sondern ein junges, mit Blumen bekränztes und in blaue Seide gekleidetes Mädchen, eins aus dem Gefolge der Dame de La Trémoille. In der Hand hielt es einen brennenden Leuchter, den es auf die Truhe stellte.

Einen Augenblick musterten sie sich, das schöne junge Mädchen am Fuß des Bettes und Cathérine, die sich aufgerichtet hatte. Die eine mit verächtlicher Neugier, die andere mit unverhohlener Überraschung. Endlich öffnete das Mädchen den Mund.

»Steh auf«, befahl sie. »Meine Gebieterin möchte dich sprechen!«

»Mich? Aber ich muß hier warten …«

»Auf Monseigneur? Ich weiß. Aber nimm davon Kenntnis, Zigeunerin, wenn meine Herrin befiehlt, fügt sich sogar der Großkämmerer. Zieh dich an und folge mir! Ich erwarte dich draußen! Aber beeile dich, wenn dir dein Rücken lieb ist! Die Herrin ist nicht geduldig!« fügte sie anmaßend hinzu.

Das junge Mädchen ging hinaus, ließ Cathérine sprachlos und unschlüssig zurück. Was wollte die Dame de La Trémoille von ihr? Was bedeutete dieser Befehl, mitten in der Nacht überbracht, der alle ihre Pläne über den Haufen zu werfen drohte? Sollte sie gehorchen? Doch wenn sie nicht gehorchte, mit welcher Begründung konnte sie sich weigern?

Cathérine entschied, daß sie keine Wahl hatte und daß sie vermutlich nicht allzuviel dabei riskierte, wenn sie zu erfahren suchte, was man von ihr wollte. Für die hochmütige Gräfin war sie alles in allem nur eine Zigeunerin, für die Vergnügungen ihres Gemahls bestimmt, weniger als ein Hund, eine Sache, ein Wesen, auf das sie bestimmt nicht eifersüchtig war. Die zahlreichen Geliebten Cathérine de La Trémoilles hätten sie eigentlich dieser Art von Gefühlen gegenüber unempfindlich machen müssen. Konnte man denn auf einen Berg von Fett eifersüchtig sein? Wie es hieß, wurde ihre Ehe nur durch ihre gemeinsame Gier nach Gold, Macht und Ausschweifungen zusammengehalten. Aber am meisten schätzte die Dame das Gold. Cathérine erinnerte sich an etwas, was man ihr einmal erzählt hatte. Als man ihren zweiten Mann, den diabolischen Pfarrer de Giac, mitten in der Nacht und in seinem eigenen Bett verhaftete, habe die einzige Sorge der schönen Gräfin dem kostbaren Tafelgeschirr gegolten, über das die mit der Verhaftung beauftragten Soldaten hergefallen seien. Während man ihren Mann seinem tragischen Schicksal entgegenführte, sei die damalige Dame de Giac aus dem Bett gesprungen, splitternackt wie Mutter Eva, und habe die Diebe in diesem dürftigen Zustand durch die Gänge und Korridore des Schlosses von Issoudun verfolgt …

In wenigen Augenblicken war Cathérine fertig. Sie hängte den Almosenbeutel an ihren Gürtel, doch den Dolch schob sie in ihr Mieder. Es verging noch kurze Zeit, bis Tristans Zettel im Kamin verbrannte. Den Überhang über die Schultern werfend, öffnete sie schließlich entschlossen die Tür.

»Ich bin bereit«, sagte sie.

Wortlos erhob sich das wartende junge Mädchen, das lässig auf einer mit Kissen belegten Bank gesessen hatte, nahm den Leuchter wieder auf und wandte sich der Treppe zu, wo die Wachen standen. Hinter ihr überquerte Cathérine den vom Lichtschein aus den Fenstern der königlichen Gemächer erhellten Hof. Beim überschreiten der Schwelle des Königslogis, die von zwei Eisenstatuen bewacht wurde, hatte Cathérine den Eindruck, in ein riesiges, hohles Schneckengehäuse zu treten, so sehr hallten die Geräusche des Festes in ihm wider. Trotz der Dicke der Mauern tobten die Violen, Hörner und Lauten, übertönten den Tumult der Stimmen, das lärmende Gelächter, die freudigen Rufe, überall waren Fackeln, riesige Kerzen, die ein warmes, goldenes Licht verströmten. Cathérine beruhigte sich. Wollte man sie mitten in die Festlichkeiten hineinwerfen wie einen Nachtvogel, den man plötzlich aus dem Dunkel riß und in die Sonne schleuderte? Nein … ihre Führerin ging am königlichen Stockwerk vorüber, das beinahe ganz von dem riesigen Festsaal eingenommen wurde, und hieß sie höher steigen, fast bis zum Dachstuhl des Schlosses hinauf. Dort stieß das junge Mädchen eine niedrige Tür auf, die sich plötzlich ins Dunkel eines Ganges öffnete, und Cathérine fand sich mitten in einem Zimmer von ziemlich beschränktem Ausmaß, das jedoch wie ein Reliquienschrein wirkte, so sehr verhüllte der samtene grüne Tapetenstoff die Wände, von denen nicht ein Stück mehr zu sehen war. Dicke, schillernde Teppiche bedeckten den Boden. Trotz der sehr milden Außentemperatur brannte ein riesiges Feuer im Kamin und schien sich seltsamerweise auf die Wandbehänge zu übertragen, auf die lange goldene Flammenzungen gestickt waren.

Inmitten dieses merkwürdigen, prunkvollen Raums, der mit Kostbarkeiten vollgestopft war, stand aufrecht Cathérine de La Trémoille im Kreis ihrer Damen, von denen einige lässig auf dem Boden saßen, Laute spielend oder Süßigkeiten knabbernd. Diesmal war die schöne Gräfin nur in blaue, sehr durchscheinende Seide gekleidet, über der sich die Masse ihres fahlroten Haares türmte. Der wolkige Stoff verbarg die üppigen Formen ihres Körpers nicht allzusehr, aber das schien sie nicht zu stören. Cathérine wurde sich beim ersten Blick bewußt, wie erregt sie war, denn sie biß sich auf die Lippen und schlang nervös die Finger ineinander, während sie auf und ab schritt.

»Hier ist das Mädchen, holde Dame!« sagte Cathérines Führerin von der Schwelle.

Die Dame de La Trémoille stieß einen Ruf der Befriedigung aus und deutete dann mit einer herrischen Bewegung auf die Tür.

»Alle hinaus! Geht schlafen! Und stört mich unter keinen Umständen!«

»Auch ich nicht?« fragte gekränkt das junge Mädchen, das Cathérine hergeführt hatte und das die Favoritin sein mußte.

»Auch du nicht, Violaine! Ich möchte mit diesem Mädchen allein sein. Wache draußen, daß niemand überraschend eintritt. Ich werde dich rufen, wenn ich dich brauche.«

Violaine ging widerwillig hinaus und schloß die Tür hinter sich. Die anderen hatten sich bereits verzogen. Die beiden Gegnerinnen, die große Dame und die falsche Zigeunerin, blieben in schweigendem Gegenüber allein zurück. Sie musterten sich … Mit wilder aber sehr femininer Freude entdeckte Cathérine, daß die Schönheit ihrer Rivalin schon verwelkte. Winzige Fältchen in Augen- und Mundwinkeln verrieten es, die Haut war sehr weiß und zart wie Samt, aber blaue Ringe umgaben die graugrünen Augen. Fett hatte sich an den Hüften und den langen Schenkeln angesetzt und machte die Brüste schwer, die ein wenig hingen. Die schöne Rothaarige lebte zu verweichlicht, zu luxuriös, zu ausschweifend. Ausschweifung und Wollust drückten ihr ein unauslöschliches Siegel auf … Aber Cathérine hütete sich wohl, die Genugtuung, die sie empfand, zu zeigen. Sie bemerkte sehr genau den Blick, der prüfend über sie hinglitt, sie ungeniert auszog. Sie errötete, als sie die trockene Stimme der Dame ausrufen hörte.

»Auf was wartest du, um vor mir niederzuknien? Ist dein Rückgrat so steif, daß es dich hindert, deine Herrin zu grüßen?«

Cathérine biß sich auf die Lippen und schalt sich im stillen eine dumme Gans. Wie hatte sie so sehr aus ihrer Rolle fallen können, daß sie die Gräfin um ein Haar als Gleichberechtigte angesprochen hätte? Sie beeilte sich zu gehorchen, neigte den Kopf und murmelte, ihre Verlegenheit mit einer Notlüge bemäntelnd:

»Verzeiht mir, edle Dame, aber ich hatte einen Augenblick vergessen, wo ich war. Meine Augen waren geblendet! Ich glaubte mich am Wohnsitz der Königin der Keshaiyi, der Feen unseres Volkes.«

Ein hochmütiges Lächeln der Befriedigung hellte das übellaunige Gesicht der Dame auf. Bei ihrer niederen Herkunft gefiel ihr jede Schmeichelei, und mochte sie noch so dick aufgetragen sein.

»Steh auf!« sagte sie zu ihr. »Oder setz dich auf dieses Kissen. Was ich dir zu sagen habe, kann lange dauern.«

Sie wies auf ein auf den Stufen ihres Bettes liegendes Kissen. Cathérine ließ sich darauf gleiten, während die Gräfin sich aufs Bett setzte. Ihr Blick lag unverwandt auf Cathérines Gesicht, es so eingehend betrachtend, daß es schon peinlich wurde. Nach einem Augenblick, welcher der jungen Frau eine ganze Ewigkeit schien, murmelte die schöne Gräfin:

»Du bist wirklich sehr schön … zu schön! Du wirst nicht zum Großkämmerer zurückgehen! Du könntest auf lange Sicht gefährlich werden, denn was die Frauen anlangt, ist er dumm. Und du, du machst mir einen intelligenten Eindruck.«

»Was soll ich dann tun?« wagte Cathérine zu fragen. »Wenn ich nicht zurückkehre, riskiere ich …«

»Nichts riskierst du! Wenn du mir angemessen dienst, werde ich dich vielleicht behalten, und du wirst nichts zu befürchten haben. Wenn nicht …«

Der in der Schwebe gelassene Satz klang so drohend, daß es Cathérine nicht danach verlangte, sein Ende wissen zu wollen. Sie mußte sehr aufpassen, geschickt manövrieren und keine Fehler begehen. Sie begnügte sich, demütig den Kopf zu senken und darauf zu warten, was folgte.