»Und ich muß hierbleiben. Man braucht mich, weißt du!«
Indessen verging der Sergeant der Bewaffneten draußen vor Ungeduld. Er schlug mit seiner gepanzerten Faust das Filztuch beiseite, das den Karren verschloß, und steckte den Kopf hinein.
»Beeil dich ein wenig, Frau! Ich habe meine Befehle! Genug geredet!«
Als einzige Antwort umarmte Cathérine Tereina noch einmal und steckte das Fläschchen in ihren Almosenbeutel.
»Danke, Tereina, und paß auf dich auf. Ich werde sehen, ob ich etwas für Fero tun kann. Leb wohl!«
Behende glitt sie aus dem Karren und ging zu den Bewaffneten.
»Gehen wir zurück. Ich bin fertig!«
Sie umringten sie von neuem, schritten durch den versammelten, schweigsamen Stamm und stiegen den Graben zur Zufahrtsrampe wieder hinauf. Im Vorbeigehen erkannte Cathérine Dunicha, das Mädchen, das sie zum Zweikampf herausgefordert hatte, und wandte den Kopf ab. Aber nicht so schnell, um nicht aus dem Augenwinkel den vor Haß brennenden Blick der Zigeunerin zu erhaschen. Wahrscheinlich machte Dunicha sie für die Verhaftung Feros verantwortlich und haßte sie jetzt ohne Zweifel hundertmal mehr als zur Zeit des Kampfes … Cathérine andererseits zürnte ihr nicht … da Dunicha Fero liebte, hatte sie jedes Recht, die zu hassen, die ihn ihr weggenommen hatte und für die er jetzt sterben sollte! Trotzdem nahm sie sich vor aufzupassen; Dunicha war nicht die Frau, nur passiv zu hassen und nicht nach einer Gelegenheit zur Rache zu suchen.
Ein Trompetenstoß hinter ihr ließ sie sich umwenden. Der Tag war jetzt sehr klar … Unter den Sonnenstrahlen flimmerte die Loire zwischen ihren grünen Ufern wie ein Feuerstrom, und von diesem unter den Brücken vorbeifließenden blendenden Grund hoben sich die prächtigen Farben eines imposanten Zuges ab. Ritter in Kriegsharnischen, die sich deutlich von einer Schar Damen in hellen Kleidern im Sattel friedfertiger Zelter unterschieden, umgaben eine große Sänfte, deren blauseidene Vorhänge, mit Goldlilien bestickt, zurückgeschlagen waren. Darin saßen, sorgsam in weißes Musselin gehüllt, eine Dame, eine Amme, die ein Baby trug, zwei Kammerzofen und drei kleine Mädchen zwischen drei und acht Jahren. Eine Kompanie Arkebusiere, Pagen und Herolde gingen dem großen Gefährt voraus, dem voran ein Standartenträger ein großes Banner schwang, auf dem Cathérine mit plötzlich stärker klopfendem Herzen das Wappen Frankreichs verschlungen mit dem von Anjou bemerkte. Unwillkürlich war sie stehengeblieben, aber der Sergeant drängte sie schon mit den Bogenschützen auf die grüne Böschung.
»Die Königin! Platz für die Königin! Und vergiß nicht niederzuknien, Zigeunerin, wenn unsere Gute Dame vorüberkommt!«
Cathérine bedurfte dieser Mahnung nicht. Marie d'Anjou, Königin von Frankreich, war eine furchtsame, schüchterne Frau, aber sie hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis, und Cathérine war lange Monate eine ihrer Ehrendamen gewesen. Es war zwar höchst unwahrscheinlich, daß sie sie in ihrer Vermummung als Zigeunerin wiedererkennen würde, doch in der Kleidung der Dienerin eines hochgestellten Hauses, in der Linnenhaube, die ihr Haar verbarg, blieben als Maskierung nur noch ihr etwas dunklerer Gesichtsteint und ihre schwarzen Augenbrauen übrig. Schon in der vergangenen Nacht, während sie sich aufs Bett setzte, hatte die Dame La Trémoille ihre neue Kammerzofe mit nachdenklichen Augen betrachtet.
»Komisch!« hatte sie gesagt. »Mir scheint, daß ich dich schon irgendwo gesehen habe. Du erinnerst mich an jemand … aber ich weiß nicht, an wen!«
Cathérine hatte diese glückliche Gedächtnislücke gesegnet und schnell geantwortet, daß die edle Dame sich wahrscheinlich an eine ihrer Schwestern erinnere, die zum Tanzen ins Schloß gekommen sei. Es war nicht nötig, daß die Gräfin zu lange in ihrem Gedächtnis nachforschte. Und tatsächlich schien sie nicht mehr darüber nachzudenken. Dies jedoch wäre eine Katastrophe, wenn die Königin sie wiedererkennen würde! …
Als die königliche Kavalkade, von den Freudenrufen der aus Amboise herbeigeeilten Leute verfolgt, in ihrer Nähe vorbeikam, beeilte sie sich, niederzuknien und höchst demütig den Kopf zu senken … um so mehr als im selben Augenblick ein Trupp von Herren aus dem Schloß ritt, um die Herrscherin willkommen zu heißen, und dieser Trupp von Gilles de Rais angeführt wurde.
Glücklicherweise schenkte er ihr keinerlei Aufmerksamkeit, und als die Sänfte hinter den Vorwerken der Festung verschwunden war, glaubte Cathérine, den Kopf wieder heben zu können. Nur um die Beine eines vor ihr haltenden Pferdes zu sehen, während eine jugendliche Stimme trocken fragte:
»Was hat diese Frau getan, Sergeant? Und warum hast du sie verhaftet?«
Der hochmütige Ton ließ Cathérine erröten, die sich, ohne eigentlich zu wissen, warum, schuldig fühlte. Außerdem konnte der Fragende kaum älter als zehn Jahre sein. Mager, mit gelbem Teint, schwarzem, glattem Haar, war dieser Junge mit breiten, knochigen Schultern, einer großen Nase und einem Paar kleiner schwarzer, seltsam lebhafter und für ein so junges Wesen scharfsinniger Augen versehen. Er hatte nichts Verführerisches an sich, aber aus der hochmütigen Art, wie er den Kopf hielt, aus der Schönheit des Pferdes, dessen Zügel er fest mit den nervösen Händen umfaßte, und besonders aus seiner teils roten, teils schwarzweißen Kleidung, Leibgedinge der Prinzen königlichen Blutes, schloß Cathérine, daß sie den Dauphin Louis, den ältesten Sohn des Königs, vor sich hatte.
Schnell beeilte sich der Sergeant, rot vor Stolz zu antworten:
»Ich habe sie nicht verhaftet, Monseigneur, ich begleite sie lediglich auf Befehl der Sehr Hohen und Sehr Edlen Dame de La Trémoille.«
Mit offenem Mund sah Cathérine den Dauphin die Schultern zucken, sich hastig bekreuzigen und dann ungeniert auf den Boden spucken.
»Zweifellos irgendeine maurische Sklavin! Ich hasse dieses verfluchte Gelichter, aber bei dieser Dame erstaunt mich nichts! Die ähnelt …«
Er beendete den angefangenen Satz nicht, denn ein anderer Kavalier war herbeigeeilt und flüsterte ihm jetzt ins Ohr, ohne Zweifel, um ihm mehr Mäßigung in seinen Äußerungen anzuraten. Der Anblick dieses Kavaliers ließ Cathérine bis zu den Wurzeln ihres Haares erröten und verwandelte ihre Unruhe in Panik. Trotz des Panzers, der den Mann völlig umschloß, hatte sie das auf das Panzerhemd gestickte Kreuz von Jerusalem erkannt und besonders das schöne, helle Gesicht unter dem hochgeschobenen Visier des Helmes. Pierre de Brézé! Der Mann, der sich in Angers auf den ersten Blick in sie verliebt und auf der Stelle um ihre Hand angehalten hatte! Er war in das Komplott gegen La Trémoille verwickelt und stellte Cathérine nicht bloß. Aber sie mußte eine überraschte Bewegung bei ihm befürchten, da er sie so unerwartet am Wegrand wiedertraf!
Trotzdem, als sie ihn wiedersah, empfand sie eine plötzliche, unerklärliche Freude und konnte sich nicht bezähmen, ihn mit Bewunderung anzublicken. Er war wirklich sehr schön, dieser Pierre de Brézé, und von sehr edler Gestalt auf seinem großen grauen Schlachtroß! Der starke Eisenpanzer schien seine großen Schultern nicht zu drücken, auch nicht die lange Eschenlanze, die er auf seinen Schenkel gestützt hatte. Die Stimme des jungen Mannes riß sie aus ihren Gedanken.
»Monseigneur«, sagte Brézé, »wir verspäten uns, und die Königin wartet auf uns!«
Aber während er noch sprach, blieb sein blauer Blick an dem Cathérines hängen, zur selben Zeit, in der ein leises Lächeln um die festen Lippen des Ritters spielte. Es war nur ein kurzer Blick, ein flüchtiger Augenblick, aber die junge Frau las darin die ganze Leidenschaft, die er für sie empfand! Er war nur ihretwegen hier, dem Mißfallen des Königs und dem Haß La Trémoilles die Stirn bietend, indem er mit der Eskorte der Königin in dieses Schloß kam, wo er alles andere als erwünscht war! Er hatte sie nicht nur wiedererkannt, sondern fand auch noch ein Mittel, ihr ohne ein Wort, ohne eine Bewegung seine Liebe von neuem zu gestehen. Doch so diskret sein Lächeln auch gewesen war, es war dem scharfen Blick des Prinzen Louis nicht entgangen, der dem Ritter einen spöttischen Blick zuwarf.
»Hm! Es scheint, Herr Ritter, daß Ihr einen ebenso schlechten Geschmack habt wie die Dame de La Trémoille! Gehen wir!«
Ohne sich weiter um Cathérine zu kümmern, gab der Dauphin seinem Pferd die Sporen und zwang Brézé auf diese Weise, ihm zu folgen. Er wandte sich nicht um, aber Cathérines Blick folgte der Gestalt des jungen Mannes, bis sie unter dem Gewölbe verschwunden war. Als sie sich einen Augenblick später wieder auf den Weg machte, füllte sich ihr Herz mit Vertrauen und neuem Mut! Hatte sie nicht am Arm Brézés eine Schärpe aus schwarz-silberner Seide bemerkt, die Trauerfarben, die sie ihm als die ihren bezeichnet hatte und die er treu trug?
Er hatte sich zu ihrem Ritter erklärt, und offensichtlich wollte er es bleiben. In Zukunft würde sie in diesem Schloß, in dem ihr alles Angst einjagte, seine Anwesenheit als Beruhigung und Ermutigung empfinden. Wenn es sein mußte, würde sie ohne Furcht zu sterben wissen, in der Gewißheit, gerächt zu werden, denn sie erinnerte sich des Schwurs, den er ihr auf den Knien geleistet hatte. Wenn sie scheiterte, würde er La Trémoille mit eigenen Händen töten, bereit, dafür seinen Kopf dem Henker auszuliefern.
Trotzdem zwang sich Cathérine, während sie über die Kettenbrücke schritt, diese süßen Gedanken zu verjagen, so tröstlich sie auch waren! in diesem selben Schloß gab es noch einen zweiten Mann, der möglicherweise ihretwegen sterben würde …
Zehntes Kapitel
Als Cathérine und ihre Wächter in den Schloßhof traten, wimmelte er von Menschen. Diener des Schlosses hatten sich zum Gefolge der Königin gesellt, luden das Gepäck ab und halfen den Offizieren und Würdenträgern beim Absteigen. Sie gewahrte sogar die dürftige Gestalt des Königs, der seine Gemahlin zeremoniös zur Treppe geleitete. Unwillkürlich suchte sie in der Menge der Damen und Ritter ein kühnes Profil, breite Schultern, einen heißen Blick, doch schon führten die Bogenschützen sie zu der kleinen Turmtreppe, die zum Zimmer der Dame de La Trémoille hinaufführte.
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