Sie fand die Tür verschlossen und davor Violaine, in einen weiten Mantel gehüllt. Mit einem Zeichen schickte das junge Mädchen die Soldaten fort, trat aber nicht zur Seite, um Cathérine vorbeizulassen.
»Du kannst nicht eintreten, Zigeunerin!«
»Warum nicht?«
Violaine würdigte sie keiner Antwort, sondern begnügte sich, mit den Schultern zu zucken. In der Tat drang trotz des dicken Eichenholzes, aus dem die Tür bestand, ein heftig geführter Wortwechsel ans Ohr der jungen Frau. Sie erkannte die erregte, schrille Stimme der Gräfin.
»Ich werde dieses Mädchen behalten, solange es mir paßt! Und ich rate Euch, mich nicht daran zu hindern!«
»Welche Fliege hat Euch gestochen, daß Ihr Euch in meine Angelegenheiten mischt? Wozu braucht Ihr dieses Mädchen?«
»Das ist meine Sache! Habt Geduld … Ich werde sie Euch zurückgeben, wenn ich sie nicht mehr brauche.«
Die Stimmen wurden gedämpfter, aber Cathérine hatte verstanden. Die beiden Gatten waren sich ihretwegen in die Haare geraten … und sie hatte nichts von der Frau zu erwarten, die sie zu beherrschen geglaubt hatte. Auf Violaines Gesicht spiegelte sich dieser Gedankengang wider, und sie brach in ein Lachen, ein böses Lachen aus, dann sagte sie leise:
»Überrascht dich das? Was hast du dir eigentlich erhofft? Wolltest du Ehrendame werden?«
Nun zuckte Cathérine mit unechter Ungezwungenheit die Schultern: »Ich hoffte, daß noble Damen die Dienste anerkennen, die man ihnen leistet … Aber was spielt es schon nach allem für eine Rolle!«
Die Gelassenheit, die sie vortäuschte, mußte die Ehrendame beeindruckt haben, denn sie hörte auf zu lachen und warf Cathérine von unten einen mißtrauischen Blick zu, ehe sie sich hastig bekreuzigte, als hätte sie plötzlich den Teufel getroffen. Die Unterhaltung stockte, überdies öffnete sich die Tür, La Trémoille stürzte heraus, in weitem rotem, goldbesticktem Mantel, der im Zugwind seiner wütenden Hast klatschte. Als er Cathérine erkannte, blieb er kurz stehen, maß sie mit funkelnden Augen von oben bis unten und rannte dann, ohne ein Wort zu sagen, mit einer für einen Mann seines Umfangs unglaublichen Wendigkeit die Treppe hinunter.
Cathérines Blick kreuzte sich mit dem Violaines mit der Unversöhnlichkeit zweier Degenklingen. Das Geräusch der Schritte des dicken Kammerherrn auf der Treppe nahm ab. Ein verächtliches Lächeln krümmte die vollen Lippen der Ehrendame, die mit einer nachlässigen Bewegung die eichene Flügeltür aufstieß.
»Jetzt kannst du eintreten.«
Mit erhobenem Kopf ging Cathérine an ihr vorüber und hatte die Befriedigung, die Tür hinter ihrem Rücken zuschlagen zu hören …
»Nicht soviel Krach, Violaine«, rief die Dame La Trémoille gereizt. »Ich habe scheußliche Kopfschmerzen!«
Schon angezogen, aber noch nicht frisiert, durchmaß sie ihr Zimmer, das in einer fürchterlichen Unordnung war. Mit einem Blick sah Cathérine eine Fülle von Kämmen, Fläschchen, Haarnadeln und Salbennäpfchen, alles vor dem Eintritt des Großkämmerers stehen- und liegengelassen. Der Streit zwischen den Gatten mußte alles durcheinandergebracht haben. Mit innerem Lächeln hatte sie das erregende Gefühl, in den Käfig des einen der beiden wilden Tiere eingedrungen zu sein, die die großen Herren und die Prinzen in ihrem Zwinger so sorgsam behüteten. Der Schakal war fort, blieb also nur noch das böse Weibchen, hundertmal gefährlicher als er; aber Cathérine hatte sich geschworen, dieser Frau nicht das Vergnügen zu machen, sie zittern zu sehen. Sofort wandte sich der Zorn der Gräfin gegen sie.
»Mein edler Gatte ist mehr in deine dunkle Haut verschossen, als ihm guttut! Jedenfalls scheint mir das so! Meine Güte, er führt sich auf wie ein brünstiges Tier …«
»Wenn er in meine Haut verliebt ist«, sagte Cathérine kalt, »dann hat er sie dennoch nicht genossen. Euer Ruf, edle Dame, hat mich davor gerettet …«
»Gerettet? Was soll das heißen? Was kann ein Mädchen wie du besseres erhoffen als einen großen Herrn? Vergißt du, daß ich seine Frau bin?«
»Ich bin Eure Dienerin. Und die Befehle, die ihr mir gegeben habt, lassen mich annehmen, daß ich es vergessen könnte.«
Der Zorn der Dame ließ sofort nach, durch die Kälte ihrer Gesprächspartnerin gedämpft. In diesem Augenblick, auf dem Höhepunkt ihres Wutanfalls, hatte sie versucht, an der ersten Person, die ihr unter die Krallen kam, ihr Mütchen zu kühlen. Aber die Frau, die sich so selbstsicher benahm, hatte keine Furcht, und in diesem Moment erinnerte sie sich, daß sie ihre Dienste brauchte. Mit fieberhafter Stimme fragte sie:
»Hast du, worum ich dich bat?«
Cathérine nickte zwar zustimmend, kreuzte aber die Arme über der Brust, als wollte sie das verteidigen, was sie in ihr Mieder gesteckt hatte.
»Ich habe es, aber ich habe noch einiges zu sagen …«
Die Hand der Gräfin streckte sich schon aus, während ihre habsüchtigen Augen zwischen den dicken, braungetönten Lidern funkelten.
»Sag's schnell … und gib her! Ich bin in Eile!«
»Gestern habt Ihr mir für diesen Trank Gold angeboten. Ich habe abgelehnt, ich lehne nach wie vor ab … aber ich will etwas anderes!«
Ein leises Lächeln verzog die Lippen der Dame, aber ein unheimliches Licht flackerte in ihrem Blick.
»Du hast es ja bereits gesagt: Du willst mir dienen. Gib her!«
»Jawohl, ich habe es gesagt, und ich wiederhole es, aber heute morgen haben sich die Dinge geändert. Unser Stammesführer ist Gefangener in diesem Schloß. Er hat den Tod zu gewärtigen. Ich möchte sein Leben!«
»Was geht mich das Leben eines Wilden an? Gib dieses Fläschchen her, wenn du nicht willst, daß ich es dir durch meine Frauen entreißen lasse.«
Langsam zog Cathérine das Fläschchen aus ihrem Brustschleier und nahm es in die Hand. Ihre Augen trotzten dem Zorn der Gräfin, während über ihre roten Lippen ein unmerkliches Lächeln glitt.
»Hier ist es! Wenn man aber auf mich losgeht, werfe ich es zu Boden, wo es zerbrechen wird. Wir haben keine Flaschen aus Gold oder Silber, wir Zigeuner … nichts als Ton! Und Ton ist zerbrechlich. Eure Frauen werden nicht die Zeit haben, es mir zu nehmen. Ich werde es entzweimachen … ebenso, wie ich es zerbrechen werde, wenn Fero den Seinen nicht zurückgegeben wird!«
Auf dem verkrampften Gesicht ihrer Gegnerin konnte sie den Kampf sehen, den die Wut, die Leidenschaft und die Begierde gegeneinander führten. Das letzte gab den Ausschlag.
»Warte einen Augenblick. Ich werde sehen, was sich machen läßt.«
Ohne sich die Mühe zu machen, ihr Haar hochzustecken, hüllte die Gräfin Kopf und Schultern in ein grünes Seidentuch und ging hinaus. Allein geblieben, setzte Cathérine sich auf die am Kamin aufgehäuften Kissen. Die Luft dieses Raumes erstickte und ängstigte sie gleichzeitig. Alle diese zu schweren Parfüme kamen ihr wie die Ausdünstung der giftigen Frau vor, die hier wohnte. Ihre fiebrigen Finger suchten unter ihrem Kleid die harten Umrisse des Dolches, liebkosten den ziselierten Griff, als wollte sie Hilfe von ihm erbitten. Wie oft hatte die Hand Arnauds sich um diese Waffe geschlossen, so daß sie etwas von seiner Kraft auf sie übertragen haben mußte … Doch als sie die straffe Gestalt ihres Gatten wieder heraufbeschwor, stiegen ihr die Tränen in die Augen, brennend und groß vor Schmerz … Was war zu dieser Stunde von seinem kräftigen Körper, seinem schönen Gesicht noch übrig? Wie weit hatte die Lepra sie schon verwüstet? … Eiskalter Schrecken durchfuhr sie, als sie an die Leprakranken dachte, die sie auf seinem Weg getroffen hatte, fürchterliche Ruinen von grauem Fleisch, die nichts Menschliches mehr an sich hatten und die mitunter zum Grab der Heiligen pilgerten, um eine unmögliche Heilung zu erflehen … Diese Frau, die soeben hinausgegangen war, war die Ursache allen Übels, das über Arnaud gekommen war und das ihr das Herz brach. Mit welcher Lust hätte sie ihr die Klinge ins Herz gebohrt, die jetzt bei der Berührung mit ihrem Fleisch warm geworden war! Aber sie mußte warten … immer noch warten! Mit Überdruß vergrub Cathérine den Kopf in ihren Händen und versuchte, die schmerzlichen Bilder zu verdrängen, die ihren Mut brachen. Plötzlich stellte sich eine andere Gestalt vor ihrem geistigen Auge ein: die eines blonden Mannes, dessen helle Augen sie zärtlich anblickten und der am Arm eine schwarzweiße Binde trug. Dieses Bild war schön, beruhigend und süß. Dennoch vertrieb Cathérine es auch, wie eine Entweihung, als hätte Pierre de Brézé versucht, ihr Herz zu zwingen, das Bild Arnauds daraus zu verbannen …
Die Rückkehr der Dame de La Trémoille riß sie aus ihren Gedanken. Die Gräfin musterte die kauernde junge Frau einen Augenblick von oben bis unten und lächelte dann, doch aus diesem Lächeln las Cathérine eine Grausamkeit heraus, die sie aufmerken ließ.
»Komm«, sagte sie. »Du wirst zufrieden sein!«
Wie in der vergangenen Nacht gingen sie eine hinter der anderen hinaus, aber es gab keine Mauertür. Sie stiegen zum Hof hinunter, überquerten ihn und umgingen den Schloßturm, um zum Gefängnisturm zu gelangen. Auf dem Weg erkannte Cathérine Tristan l'Hermite bei einer Gruppe von Stallknechten, die auf einem großen Stein Würfel spielten. Als sie vorüberkam, wandte er sich um und folgte ihr mit den Augen. Sein Blick war so gleichgültig und unbewegt wie üblich, aber aus seiner Beharrlichkeit schloß die junge Frau, daß er sich fragte, was sie in dieser Gesellschaft in den Gefängnissen zu suchen habe.
Eine Pforte im Rundgewölbe, so niedrig, daß man sich bücken mußte, um durchzugehen, öffnete sich am Fuß des Turmes. Kaum über die Schwelle getreten, spürte Cathérine, wie eine plötzliche Kälte ihre Schultern einhüllte. Die Sonne, die Wärme hielten sich draußen, außerhalb dieser Welt der Finsternis und der Leiden. Im hinteren Teil eines niederen Gewölbes, das als Wachstube diente, wo einige Bewaffnete im rauchigen Licht einer Öllampe Karten spielten, ging eine Treppe nach unten … Auf ein kurzes Händeklatschen der Gräfin stand einer der Soldaten auf, nahm eine Fackel, zündete sie an der Öllampe an und ging die Treppe hinunter voran. Aber auf diese Einzelheiten achtete Cathérine nicht, denn seit sie in die Wachstube getreten war, war ein fürchterliches Geräusch an ihre Ohren gedrungen, so daß ihr das Blut in den Adern gerann: das Echo eines menschlichen Stöhnens, das seltsamerweise gleichzeitig deutlicher und schwächer wurde, je weiter man hinabstieg. Als die beiden Frauen auf dem ersten Absatz angekommen waren, war dieses Stöhnen zu einem Röcheln geworden. Mit zusammengeschnürter Kehle und entsetzt erblickte Cathérine die schmale, aus reinem Eisen gemachte und mit riesigen Sperriegeln ausgerüstete Tür, die sich auf diesen Absatz öffnete. Durch ein vergittertes Guckloch drang ein unheilverkündendes rötliches Licht. Von da kamen die Wehklagen, gleichzeitig auch die regelmäßigen dumpfen Schläge, die mit dem Röcheln im selben Rhythmus zu fallen schienen.
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