»So, da bist du fürs erste zu Hause«, sagte der Folterknecht. »Gib deine Hände her!«

Sie reichte sie ihm widerstandslos, und die dicken Handschellen klappten über den zerbrechlichen Gelenken zu. Der Mann zögerte einen Augenblick.

»Du hast hübsche Hände«, sagte er, »Damenhände … Schade! Es gibt Tage, wo mein Beruf reichlich traurig ist.«

»Warum übt Ihr ihn dann aus?«

Über das stumpfe Gesicht des Folterknechts glitt flüchtig ein Ausdruck naiver Überraschung, während eine Art Lächeln seine gelben Zähne entblößte.

»Aber … weil ich keinen anderen kenne! Mein Vater hat dasselbe vor mir gemacht und sein Vater vor ihm! Es ist ein schöner Beruf, weißt du, der einen weit bringen kann, wenn man tüchtig ist! Es gibt da Finessen, die einem viel Lob eintragen können. Vielleicht werd' ich eines Tages vereidigter Oberhenker einer großen Stadt! Ah, wenn nur der König nach Paris zurückkehrte, das wäre zu schön!«

Mit einem Entsetzen, das sie nicht beherrschen konnte, starrte Cathérine auf die noch frischen Blutflecken, die den groben Oberkörper des Mannes beschmutzten. Er bemerkte ihren Blick und deutete ein verlegenes Grinsen an.

»Nun, ich will dir keine Angst einjagen! Du würdest mich für ein brutales Tier halten! Versuch zu schlafen, wenn du kannst.«

Sie fürchtete, ihn gekränkt zu haben, und in dem Wunsch, ihn sich nicht zum Feind zu machen, fragte sie:

»Wie heißt Ihr?«

»Es ist nett von dir, mich danach zu fragen. Das passiert mir nicht oft, mußt du wissen. Ich weiße Aycelin der Rote … ja, Aycelin. Meine Mutter sagte, es sei ein hübscher Name …«

»Sie hatte recht«, sagte Cathérine ernst. »Es ist ein hübscher Name.«

Cathérines Augen gewöhnten sich ziemlich schnell an die Dunkelheit ihres Verlieses. So winzig das Kellerfenster war, erlaubte es wenigstens, Tag und Nacht und die Dinge zu unterscheiden, die sie umgaben. Die Gefangene dankte dem Himmel, daß sie nicht in eins jener Löcher geworfen worden war, tief unter der Erdoberfläche, in die nie ein Lichtstrahl drang, wie das, welches sie in Rouen kennengelernt hatte.

Auf dem verfaulten Stroh ihrer Zelle sitzend, ließ sie die Stunden an sich vorüberrinnen. Trotz ihrer Schwere erlaubten die Fesseln ihren Händen jede Bewegung, und bald merkte sie, daß sie sie mit ein wenig gewaltsamer Nachhilfe vielleicht von ihren Gelenken streifen könnte. Ihre Hände waren so schmal, so zart … Doch besser wär's, es im Augenblick nicht zu versuchen, denn es mußte Schmerzen mit sich bringen, die es ihr nicht gestatten würden, sich die Eisen wieder anzulegen.

Und es gab noch einen weiteren Grund, zufrieden zu sein: Man hatte sie nicht durchsucht, und der Dolch war immer noch da, ermutigend und hart zwischen ihren Brüsten. Gelobt sei Gott, daß er sie gehindert hatte, ihn vorhin zu ziehen! Man hätte ihn ihr entrissen, und sie hätte ihn nie mehr zurückbekommen. Ihm würde sie es zu verdanken haben, daß sie den Folterungen mit Gewißheit entginge, die die Gräfin ihr zugedacht haben mußte. Ein schneller Stoß, und alles wäre vorüber. Sie würde unter dem höhnischen Blick ihrer Feindin nicht vor Schmerzen schreien … Trotzdem konnte sie die Bangigkeit nicht verscheuchen, die ihr die Kehle zudrückte; was würde wirklich mit ihr geschehen? Die Geräusche des Schlosses drangen kaum zu ihr herunter, gedämpft durch die Tiefe und Dicke der Mauern, und trotzdem schien es ihr, als höre sie in einem bestimmten Augenblick von fern eine Art Wehklage, schauerlich und abgerissen. Sie vermutete, daß es das Geheul des Stammes angesichts des gemarterten Leichnams seines Anführers sein müsse. Sie stellte sich die Schreie der Frauen vor, ihr gelöstes, mit Staub bedecktes Haar, ihre Finger, die blutende Spuren über die tränenüberströmten Gesichter zogen, die monotonen Gesänge eines vom Schmerz gebeugten Volkes, vielleicht die Verwünschungen auch gegen diejenige, für die Fero gestorben war!

»Mein Gott!« betete sie stumm. »Gib, daß sie mich verstehen, daß sie mir verzeihen! Besonders Tereina! Es wird ihr solchen Schmerz bereiten! … Hab Mitleid mit ihr …«

Würde ihnen wenigstens Zeit bleiben, den Leichnam mit dem Zeremoniell, das sie neulich nachts gesehen hatte, dem Fluß anzuvertrauen? Die Dame hatte befohlen, sie zu verjagen, und La Trémoille hatte keinen Einspruch erhoben. Es schien ihr, als hörte sie die Sergeanten des Königs Befehle brüllen, als hörte sie das Klatschen der Peitschen der Soldaten, die mit der Austreibung der Vaganten beauftragt waren … Doch eine Stimme sang, eine Frauenstimme, tief und schön. Und Cathérine hatte dieses geheimnisvolle, herzzerreißende Lied schon gehört …

Plötzlich wurde sie sich bewußt, daß die Stimme nicht in ihrer Phantasie, sondern in Wirklichkeit sang … und sehr nahe! Genau gesagt, auf der anderen Seite der Mauer. Sie verstand sofort, und von einem Freudentaumel mitgerissen, wollte sie zu der Mauer stürzen, durch die der Gesang drang. Aber die Ketten, die sie vergessen hatte, spannten sich brutal und warfen sie mit schmerzenden Handgelenken auf den Boden zurück, während ihr Tränen in die Augen schossen. Doch die Fesseln konnten ihre Stimme nicht unterdrücken:

»Sara! Sara! Bist du da? Ich bin's …« Sie biß sich auf die Zunge. In ihrer überschwenglichen Freude hätte sie fast gerufen: »Ich bin's, Cathérine!« Sie hatte gerade noch genug Geistesgegenwart, um sich zu fangen: »Ich! Tchalaï …« Dann lauschte sie mit gespitzten Ohren. Der Gesang in der benachbarten Zelle war verstummt. Noch einmal rief sie: »Sara, ich bin hier!« Wieder ein Augenblick der Stille … und endlich, mit unaussprechlicher Erleichterung, hörte sie:

»Gott sei gelobt!«

Die Stimme klang schwächer als im Lied, und Cathérine begriff, daß es nicht leicht sein würde zu sprechen. Da man schreien mußte, um gehört zu werden, konnte es sogar gefährlich werden. Nun, um so schlimmer! Es war schon eine große Freude zu wissen, daß Sara in ihrer Nähe war! Und hatte Tristan nicht gesagt, daß er über Sara wachen werde? Vor kurzem erst war er Cathérine mit den Augen gefolgt, als sie die Dame de La Trémoille ins Gefängnis begleitet hatte. Er mußte erstaunt gewesen sein, sie ohne Cathérine wieder zum Vorschein kommen zu sehen, und daraus seine Schlüsse gezogen haben. Ein wenig beruhigt, rappelte sich Cathérine wieder auf und kehrte zu ihrem Strohhaufen zurück. Wenn die Gräfin sie nicht schon in den folgenden Stunden umbringen ließ, hatte sie eine Chance, zu überleben. Ins Herz der finstersten Gefängnisse dringt die Hoffnung am leichtesten ein, und Cathérines Hoffnung erwachte wieder.

Dennoch verfolgte sie das Neigen des Tages im Kellerfenster mit einiger Bangigkeit. Wenn die Nacht erst angebrochen wäre, säße sie hier in völliger Finsternis … Tatsächlich verschwammen schon die Einzelheiten ihrer düsteren Umgebung. Das Dunkel verschlang die schwarzen, feucht beschlagenen Mauern, und es kam der Augenblick, in dem Cathérine nicht einmal mehr den hellen Fleck ihrer Hand zu sehen vermochte. Ihr war, als überflutete sie tiefes und gefährliches Gewässer …

Doch als hätte sie Cathérines Angst in der Tiefe ihres Kerkers erraten, durchdrang die Stimme Saras die Schwärze der Nacht.

»Schlafe! Die Nächte sind jetzt kurz …«

Es stimmte. Der Sommer brach an, und der Tag war unendlich länger als die Nacht. Angestrengt nach oben starrend, gelang es Cathérine sogar, das kleine, blassere Viereck des Fensters dicht unter der Decke zu unterscheiden. Ein wenig entspannt, ließ sie sich auf ihr Stroh sinken und schloß die Augen …

Hatte sie schon geschlafen, als ein ganz leises Geräusch sie auffahren ließ? Sie war es so gewohnt, mit der Gefahr zu leben, daß ihr Schlaf nie mehr tief war … Sie verhielt sich unbeweglich, spitzte die Ohren und hielt den Atem an. Es war das kaum vernehmbare Knarren ihrer Tür, das sie geweckt hatte. Jemand trat ein oder war schon eingetreten … Sie nahm das hauchzarte Geräusch unterdrückten Atmens wahr, ein leises Knirschen gegen den Stein der Wand, und ihre Herzschläge stockten … Wer war da?

Der Gedanke kam ihr, daß es vielleicht Ratten seien, und dabei standen ihr die Haare zu Berge; aber das Geräusch vorhin war von der Tür hergekommen, dessen war sie sicher. Und dann, einen Augenblick später, hörte sie wieder das leise Atmen, näher jetzt … noch näher! In kalten Schweiß gebadet, hob sie vorsichtig die Hand, sorgfältig darauf bedacht, daß ihre Ketten nicht klirrten, schob zwei Finger in ihr Kleid, zog den Dolch heraus, faßte ihn fest und nahm die Hand ebenso vorsichtig wieder herunter. Entsetzliche Angst bohrte in ihren Eingeweiden. Unversehens sah sie sich wieder, Jahre zurückliegend, im alten Schloßturm von Malaien, wo sie sich jede Nacht gegen die Attacken des Rohlings hatte verteidigen müssen, den man ihr als Kerkermeister gegeben hatte. Alles fing von neuem an … Aber diesmal, wer konnte es sein … und in welcher Absicht?

Ihre Angst bedrängte sie so, daß sie die Zähne zusammenpressen mußte, um ihre Fassung zu bewahren. Jetzt war der Mann ganz nahe … denn es war ein Mann, sie merkte es am Geruch.

Plötzlich warf sich etwas Massiges über sie, und sie stieß einen Schrei aus, der bis in die hintersten Höfe zu hören sein mußte. Das Gewicht, das sie zu Boden drückte, schien ihr ungeheuer, und sie begriff schnell, daß der Unbekannte versuchte, sie zu erdrosseln. Zwei rauhe Hände griffen ihr an die Kehle, umspannten ihren Hals. Saurer, widerlicher Atem strich über ihr Gesicht. Sie wand sich unter dem Mann, um ihren Hals freizubekommen, aber es gelang nicht. Die Hände drückten zu, drückten … Vom Instinkt der Selbsterhaltung, von wildem Lebensdrang getrieben, hob sie schließlich den bewaffneten Arm und stieß ihn mit aller Kraft hinunter. Die Klinge bohrte sich bis zum Heft in einen Rücken. Der auf ihr liegende Körper zuckte jäh zusammen, während ein kurzer Schrei dem Mann entfuhr. Ihrer Kraft beraubt, glitten seine Hände langsam an den Seiten herunter. Etwas Warmes und Klebriges sickerte auf sie … Der Dolch hatte richtig getroffen. Der Mann war mit einem einzigen Stoß getötet worden … Vor Angst mit den Zähnen klappernd, gelang es Cathérine mit einiger Mühe, die Leiche auf die Seite zu schieben. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür der Zelle. Zwei Männer, einer mit einer Fackel, stürzten herein und blieben wie versteinert stehen, als sie Cathérine blutüberströmt und in Ketten neben einer Leiche fanden. Sie hob die Augen wie eine Schlafwandlerin, erkannte ohne jede Reaktion Tristan l'Hermite und den Henkersknecht Aycelin.