Mit dem Ärmel wischte sich La Trémoille den Schweiß vom Gesicht. Seine Augen brannten wie Kohlen.
»Die Tempelritter …«, stammelte er mit trockener Kehle. »Weiter!«
Sie spreizte ihre gefesselten Hände in einer Geste der Ohnmacht.
»Man sagt noch, daß sie, bevor sie starben, Zeit gehabt hätten, den größten Teil ihrer Reichtümer zu verstecken, und daß ihre Verstecke mit unverständlichen Zeichen versehen wurden. Der Mann, der die edle Dame interessierte, soll diese Zeichen entziffern können …«
Enttäuschung malte sich auf den feucht glänzenden Zügen des dicken Mannes. Er war sichtlich verstimmt und zögerte auch nicht, es zu zeigen. Die Schultern hebend, brummte er:
»Also müßte man wissen, wo diese Bezeichnungen sich befinden.«
Ein engelhaftes Lächeln huschte über Cathérines Gesicht. Ihr auf den dicken Mann gerichteter Blick war reine, offene Liebenswürdigkeit.
»Vielleicht sollte ich's nicht sagen, Seigneur, aber Ihr seid so gut zu mir gewesen … und die Dame so grausam! Sie hatte mir die Begnadigung Feros versprochen und hat ihn unter der Peitsche sterben lassen. Ich glaube, sie weiß, wo diese Zeichen sind … Neulich, in der Nacht, habe ich sie gehört. Sie glaubte, ich schliefe. Sie sprach von einem Schloß, in dem die Führer der Mönchssoldaten gefangengehalten wurden, bevor sie auf dem Scheiterhaufen starben, aber ich erinnere mich nicht mehr an den Namen!«
Dies war so raffiniert gesagt, daß La Trémoille alles Mißtrauen verlor und sogar vergaß, daß er je mißtrauisch gewesen war. Wieder packte er Cathérine:
»Erinnere dich, ich befehle es dir! … Du mußt dich erinnern! Ist es Paris, im großen Turm des Temple? Ist es da? … Sprich!«
Sie schüttelte sanft den Kopf:
»Nein … es ist nicht in Paris! Ein Name wie … äh, es ist schwer … ein Name wie Ninon …«
»Chinon! Das ist es! Bestimmt Chinon, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja«, sagte Cathérine, »aber sicher bin ich nicht. Gibt es da einen sehr dicken Turm?«
»Riesig! Der Schloßturm von Coudray! Der Großmeister der Tempelritter, Jacques de Molay, ist dort mit anderen Würdenträgern während des Prozesses eingesperrt gewesen!«
»Dann sind die Inschriften in diesem Turm«, sagte Cathérine ruhig.
Der dicke Mann hatte sich aufgerichtet und schritt jetzt im Übermaß seiner Erregung im Kerker auf und ab. Sie beobachtete ihn mit wilder Freude. Es war Arnaud, der ihr von dieser Geschichte einst berichtet hatte. Eines Abends, nach der Zerstörung von Montsalvy, hatte er über ihr Elend geseufzt und ihr erzählt, wie ein früherer Montsalvy, Ritter des Tempels, zusammen mit zwei anderen Ordensbrüdern vom Großmeister beauftragt worden war, den fabelhaften Schatz zu bewahren. Er war kurze Zeit später gestorben, die Lippen über einem Geheimnis versiegelt, zu dem allein der Großmeister den Schlüssel besaß.
»Man erzählt sich«, hatte Arnaud gesagt, »daß der Großmeister in seinem Gefängnis, im dicken Turm von Chinon, verschlüsselte Zeichen niedergeschrieben habe … leider unlesbar. Ich habe sie gesehen, als ich da unten war, habe ihnen aber keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich war reich, ohne Sorgen … Jetzt würde ich den fabelhaften Schatz gern finden, um Montsalvy wieder aufzubauen.«
An diese Unterhaltung hatte sie sich in Angers erinnert, als es darum gegangen war, einen Köder zu finden, mit dem La Trémoille nach Chinon gelockt werden konnte! Jetzt war der Köder ausgeworfen, der Fisch hatte angebissen … Tiefe Erleichterung bemächtigte sich Cathérines. Selbst wenn sie nicht mehr lebend aus diesem Kerker herauskäme, konnte sie wenigstens sicher sein, daß La Trémoille nach Chinon gehen, daß die Falle hinter ihm zuschnappen, daß sie schließlich gerächt sein würde!
Mit leichterem Herzen beobachtete sie, wie er in ihrem Gefängnis wie ein Bär im Käfig auf und ab ging, und glaubte, durch seine Adern das Goldfieber wie ein Gift rinnen zu sehen. Sie hörte ihn murmeln:
»Diesen Mann … muß man finden! Ich muß seinen Namen erfahren! Dann werde ich schon wissen, wie ich ihn zum Reden bringe …«
»Seigneur«,unterbrach sie leise, »gestattet Ihr mir, Euch einen Rat zu geben?«
Er starrte sie an, als sei er erstaunt, sie noch da zu finden. Seine Leidenschaft hatte ihn sie vergessen lassen.
»Sag's ruhig! Du hast mir einen großen Dienst erwiesen.«
»Wenn ich Ihr wäre, Seigneur, würde ich nichts sagen, um kein Aufsehen zu erregen. Ich würde nach Chinon gehen, mit dem Hof … selbst mit dem König, wenn nötig! Und ich würde die edle Dame überwachen lassen. Es ist unmöglich, daß Ihr den Mann, der sie interessiert, dort nicht entdeckt …«
Diesmal hellte sich das feiste Gesicht auf. Ein listiges, grausames Lächeln breitete sich über die schwammigen Züge und glättete die Runzeln wie Öl das Wasser.
Er hob seinen leeren Beutel auf, nahm die Laterne und schlug mit der Faust gegen die Tür.
»Kerkermeister! He! Kerkermeister …«
Er wandte sich zum Gehen, sie stieß einen Schrei aus …
»Seigneur! Habt Mitleid mit mir! Ihr werdet mich nicht vergessen, nicht wahr?«
Aber er hörte sie kaum noch.
Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu.
»Ja, ja … sei ganz ruhig! Ich werde dran denken! Aber nimm dich in acht und schweige, oder …«
Sie hatte verstanden. Sie hatte mit einemmal jeden Wert in seinen Augen verloren. Vor der fabelhaften goldenen Aussicht, die sich vor ihm auftat, hatte er sogar vergessen, wie sehr es ihn noch vor kurzem nach ihr gelüstet hatte. Ob sie lebte oder stürbe, interessierte ihn wenig. Als einziges zählte nur der Schatz … Morgen, vielleicht noch in dieser Nacht, würde er mit dem Hof nach Chinon aufbrechen. Cathérine hatte ihre Aufgabe gelöst, aber sie befand sich in größerer Gefahr als je, denn sie war sicher, daß die Dame de La Trémoille vor ihrem Aufbruch alles tun würde, um sie umbringen zu lassen! Und wer konnte sagen, ob Pierre de Brézé und Tristan l'Hermite Zeit genug haben würden, ihr zu Hilfe zu eilen? Wieder zog sie den Dolch aus ihrem befleckten Kleid, drückte ihn an die zitternden Lippen.
»Arnaud«, murmelte sie, »du wirst gerächt werden! Ich habe alles getan, was ich tun mußte! Jetzt erbarme Gott sich meiner!«
Aber die letzten Stunden der Nacht verrannen still, ohne daß jemand sie im Kerker aufsuchte.
Als Aycelin um Mittag mit einem Napf, in dem in einer Flüssigkeit von undefinierbarer Farbe einige Kohlstrünke schwammen, einem Krug und einem Stück Schwarzbrot in Cathérines Zelle trat, schien er völlig niedergeschlagen. Sein grobes, unausgeprägtes Gesicht unter dem rasierten Schädelrund trug den Ausdruck tiefer Traurigkeit. Er stellte den Napf mit dem Brot und dem Wasser zu Cathérines Füßen nieder.
»Hier ist dein Mittagessen«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Ich hätte dir viel lieber was Besseres gebracht, weil du deine Kräfte brauchst! Iß trotzdem.«
Mit dem Fuß schob Cathérine die abscheuliche Suppe beiseite, auf die sie nach dem Hühnchen La Trémoilles keinen Appetit mehr verspürte.
»Ich hab' keinen Hunger«, sagte sie. »Aber warum sagst du, ich brauchte meine Kräfte?«
»Weil du für heute nacht damit rechnen mußt! Nach dem Abendläuten wird man dich holen, und ich, ich muß … Aber du wirst mir verzeihen, nicht wahr? Es ist nicht meine Schuld, weißt du! Ich muß meine Pflicht tun …«
Cathérines Kehle zog sich zusammen. Sie hatte verstanden, was der Folterknecht sagen wollte. In dieser Nacht würde sie unter den Augen der Dame de La Trémoille zu Tode gefoltert werden … Panik bemächtigte sich ihrer wie ein Sturmwind. Dank des Dolches konnte sie sich der Folter entziehen, aber nicht dem Tod, und gerade jetzt wollte sie nicht sterben. Sie wollte es nicht mehr! In ihrer Freude über die Verwirklichung ihres Plans, da sie nun wußte, daß La Trémoille bereit war, nach Chinon zu gehen, hatte sie in dieser Nacht gedacht, nichts anderes mehr sei wichtig und das Sterben müsse ihr leichtfallen in dem Bewußtsein, gerächt zu werden … Jetzt aber, angesichts dieses Henkers, der sich zum tragischen Herold ihrer letzten Stunde machte, wies sie ihr Geschick mit aller Kraft zurück. Sie war jung, war schön, sie wollte leben! Sie wollte aus diesem Loch heraus, die Sonne wiedersehen, den weiten blauen Himmel und alle Pflanzen, die Gottes Willen über die Erde ausstreute. Sie wollte ihren Sohn wiedersehen, ihren kleinen Michel, die Berge der Auvergne und jenen grauenerregenden Ort, an dem ihr Liebster langsam dahinsiechte … Arnaud! Sie wollte nicht so weit von ihm entfernt sterben! Seine Hand noch einmal berühren, nur ein einziges Mal … und dann sterben, ja! Aber nicht vorher!
Jäh hob sie den Kopf, den sie gesenkt hatte, um ihn ihre Erregung nicht sehen zu lassen.
»Hör zu!« sagte sie mit drängender Stimme. »Du mußt den Mann finden, der gestern nacht hierhergekommen ist … den, von dem du sagtest, du schuldest ihm viel!«
»Den Diener Monseigneurs des Großkämmerers?«
»Ja, den! … ich kenne seinen Namen nicht, aber du wirst ihn sicherlich mühelos erkennen. Geh und such ihn. Sag ihm, was du mir eben gesagt hast!«
»Und wenn ich ihn nicht finde? Monseigneur hat viele Diener …«
»Du mußt ihn finden! Unbedingt! Da es dich so sehr bekümmert, mir weh zu tun … Ich flehe dich an, such ihn!«
Sie war aufgestanden. Mit ihren zitternden Händen umklammerte sie die riesigen Pranken des Folterknechts; mit ihren tränenfeuchten großen Augen flehte sie ihn an. Er hatte gezeigt, daß er Mitleid mit ihr fühlte. Sie witterte in diesem stumpfen Wesen eine Art Sympathie. Er mußte um jeden Preis Tristan benachrichtigen, sonst würde der Flame in dieser Nacht zweifellos zu spät kommen. Sie wäre schon tot. Hatte der Folterknecht nicht gesagt ›nach dem Abendläuten‹?
"Cathérine de Montsalvy" отзывы
Отзывы читателей о книге "Cathérine de Montsalvy". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Cathérine de Montsalvy" друзьям в соцсетях.