Der Folterknecht trat vor und knüpfte die Stricke auf. Cathérine kniete am Fuß einer der Säulen nieder, den Rücken ihrer Feindin zugekehrt. Sie kreuzte die Hände auf der Brust, senkte den Kopf, krümmte den Rücken und zog sachte den Dolch heraus. Ihr Herz klopfte wie rasend. Sie war sich bewußt, daß die anderen Folterknechte sich in den hinteren Teil der Kammer zurückgezogen hatten. Zweifellos wollten sie das Spektakel ihres letzten Gebetes genießen. Sie umspannte fest die Waffe und richtete die Spitze gegen ihr Herz, wollte zustoßen, tief …

Ein Verzweiflungsschrei entfuhr ihr. Aycelin hatte sie brutal herumgedreht und ihr die Waffe entrissen. Sie glaubte sich verloren. Doch in der Folterkammer geschahen jetzt einige merkwürdige Dinge. Ihrem Schrei hatten Schreckensrufe der Gräfin und ihrer Ehrendame geantwortet … Wie im Traum sah Cathérine sie kreischend aneinandergeklammert, während die drei Folterknechte sich mit den Bewaffneten herumschlugen.

Verblüfft stellte die Verurteilte fest, daß sie gute Arbeit leisteten. Aycelin hatte den Cathérine entrissenen Dolch schon in die Kehle eines der Soldaten gestoßen. Seine beiden Gehilfen fochten bereits mit Degen, die sie, man wußte nicht, woher, zum Vorschein gebracht hatten. Der Kampf war kurz, die Folterknechte handhabten ihre Waffen mit diabolischer Fertigkeit. Bald lagen vier Leichen auf den abgewetzten Fliesen, und zwei der Angreifer richteten ihre Degenspitzen auf die bloßen Kehlen der beiden Frauen.

»Banditen!« brüllte die Gräfin. »Kanaillen! Was wollt ihr?«

»Nichts Besonderes von Euch, edle Dame«, sagte Aycelin unter seiner Kapuze mit der gedehnten Stimme Tristan l'Hermites. »Nur Euch daran hindern, ein weiteres Verbrechen zu begehen.«

»Wer seid Ihr?«

»Gestattet mir, Euch zu sagen, daß Euch das nichts angeht … Fertig, ihr andern?«

Der eine der Folterknechte hatte Cathérine aufgehoben, während ein anderer, der einen Augenblick verschwunden war, mit Sara wiederkehrte. Die beiden Frauen fielen sich wortlos in die Arme. Sie waren unfähig zu sprechen, so sehr schnürte ihnen die Erregung die Kehle zu.

Ohne seine Gefangenen aus den Augen zu lassen, befahl Tristan:

»Knebelt diese edlen Damen, und zwar fest! Dann sperrt jede in eine Einzelzelle!«

Der Befehl wurde mit bewundernswerter Schnelligkeit ausgeführt. Die wutschnaubende Dame de La Trémoille und Violaine verschwanden in ihre Kerker.

»Ich würde ihnen gern die Kehle durchschneiden«, meinte Tristan, »aber sie haben noch ihre Rolle zu spielen. Ohne seine Frau ginge La Trémoille zweifellos nicht nach Chinon!«

Während er noch sprach, nahm er die Kapuze Aycelins ab, die er sich geborgt hatte, und ging mit einem breiten Lächeln auf Cathérine zu.

»Ihr habt gut gearbeitet, Dame Cathérine. Jetzt ist es an uns, Euch hier herauszubringen!«

»Was habt Ihr mit Aycelin gemacht?«

»Der schläft augenblicklich seinen Rausch aus, den er sich mit dem mit einem Schlafmittel versetzten Wein angetrunken hat, um sich Mut für Eure Folterung zu machen.«

»Aber die anderen Folterknechte? Wer sind sie?«

»Ihr werdet sehen!«

Eben kamen die beiden Knechte zurück und nahmen wie auf Befehl gleichzeitig die Kapuzen ab. Plötzlich feuerrot geworden, erkannte Cathérine Pierre de Brézé, aber der andere – ein brauner, stämmiger, vierschrötiger Mann mit intelligentem Gesicht – war ihr unbekannt. Der junge Seigneur kniete, als sei es die natürlichste Stunde und der natürlichste Ort der Welt, vor Cathérine nieder und küßte ihr die Hand.

»Wenn ich Euch nicht hätte retten können, wäre ich jetzt tot, Cathérine.«

Mit einer spontanen Bewegung streckte sie ihre Hände nach ihm aus und umschloß sein Gesicht mit einer leidenschaftlichen Gebärde.

»Wie ich Euch Dank schulde, Pierre … Wenn ich bedenke, daß ich eben noch an Gott und den Menschen verzweifelte!«

»Ich wußte, daß Ihr Euch mit dem Dolch vor der Folter töten würdet«, sagte Tristan, damit beschäftigt, den toten Soldaten die Uniformen auszuziehen. »Ich habe Euch überwacht und fürchtete, daß Ihr den Todesstoß zu früh ausführen würdet.«

Sara war vor Freude in Schluchzen ausgebrochen, als sie Cathérine wiedergefunden hatte, aber nun faßte sie sich allmählich. Mit dem Ärmel über ihre Augen wischend, fragte sie:

»Wir sind noch nicht draußen. Was machen wir jetzt?«

»Ihr und Cathérine, desgleichen Tristan, werdet die Uniformen der Soldaten anziehen. Ich und Jean Armenga, den ich Euch hiermit als Stallmeister Ambroise de Lores vorstelle, wir werden wieder unsere übliche Kleidung anlegen«, sagte Brézé. »Darauf gehen wir in den Hof hinaus. Neben dem Tor stehen schon die gesattelten Pferde. Wir steigen auf, und ich setze mich an die Spitze des Trupps, um Euch aus dem Schloß herauszuführen. Ich habe einen Passierschein.«

»Wer hat Euch den gegeben? La Trémoille?« fragte Cathérine lächelnd.

»Nein. Die Königin Marie. Sie ist eine der Unsrigen … und viel weniger langweilig, als man glaubt. Ich führe Euch bis zur Grenze des Gebiets von Amboise, dann kehren wir, Armenga und ich, ins Schloß zurück, während Ihr Euren Weg fortsetzt. Die Dame wird sich mit ihrem Los inzwischen abgefunden haben, aber wir müssen uns jetzt beeilen! Man weiß nicht, was noch alles passieren kann. Ich darf Euch bitten, Euch umzukleiden, Cathérine, und auch Euch, gute Dame!«

Schon schnürte Cathérine ihr Kleid auf und drängte Sara zur Eile, die schon bei dem Gedanken, sich in Männerhosen zwängen zu müssen, knurrte, denn das verabscheute sie über alles. Aus einer Truhe förderten die drei Männer die Kleidungsstücke zutage, die Brézé und der Stallmeister dort versteckt hatten, während Cathérine und Sara sich in den Schatten zurückzogen, um ihre Kleidung zu wechseln. Es ging sehr schnell. Sie begnügten sich mit dem enganliegenden Lederwams und ließen die schweren Kettenhemden zurück. Die mit dem königlichen Wappen versehenen Überhänge würden genügen, um die Illusion zu vervollständigen. Die Helme, die Hals- und Schulterpanzerung und die festen Schuhe, viel zu groß natürlich, waren schon unförmig genug …

Als Pierre de Brézé sie so ausstaffiert wiedererscheinen sah, konnte er sich eines Lachens nicht enthalten.

»Ein Glück, daß es Nacht sein wird … und daß andere Kleider Euch zwei Meilen von hier erwarten werden. So würdet ihr nicht weit kommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.«

»Wir werden unser Bestes tun«, sagte Sara. »So einfach ist das nicht!«

Inzwischen trat Pierre auf Cathérine zu und nahm eine ihrer Hände in die seinen. Tiefe Bewegung zeigte sich in seinem klaren Blick.

»Wenn ich dran denke, daß ich Euch sofort verlassen muß, Cathérine! Ich würde so gern über Euch wachen! Aber ich muß im Schloß bleiben … Man würde meine Abwesenheit bemerken und sich darüber wundern.«

»Wir werden uns wiedersehen, Pierre, in Chinon!«

»Ihr werdet euch nie wiedersehen, wenn ihr euch nicht beeilt!« wandte Tristan ein. »Vorwärts … Geht voraus, Messire!«

Pierre de Brézé und der Stallmeister setzten sich an die Spitze des kleinen Trupps. Vorsichtig nahm man die abschüssige Treppe, die zur Wachstube führte. Trotz des Gewichts ihrer Ausrüstung, die schwer auf ihr lastete, glaubte Cathérine, ihr Herz singen zu hören. Noch nie hatte sie sich so erleichtert, so glücklich gefühlt! Obwohl sie dem Tod schon so nahe ins Angesicht geblickt hatte, würde sie weiterleben … Gab es ein wunderbareres, berauschenderes Gefühl? … Ihre viel zu großen Stiefel glitten auf den feuchten, ausgetretenen Stufen aus. Sie stolperte, tat sich weh, aber sie achtete nicht darauf … Es kam ihr nicht einmal der Gedanke, daß sie sich möglicherweise der langen, schweren Pike würde bedienen müssen, die sie mitschleppte … Es schien ihr, als brauche sie nichts anderes zu tun, als nur Pierre de Brézé zu folgen. Den blanken Degen in der Hand, ging er voran. In der Wachstube waren zunächst zwei Soldaten außer Gefecht zu setzen …

Es wurde schnell und lautlos erledigt. Geknebelt und gefesselt wurden die Soldaten auf den Boden gelegt.

»Jetzt hinaus!« sagte Pierre. »Und möglichst ohne viel Geräusch!«

Im Hof brannten nur einige wenige Feuertöpfe, die zu nichts dienten, als die Nacht noch schwärzer erscheinen zu lassen. Doch kaum aus dem Turm getreten, hob Cathérine in einem Gefühl der Dankbarkeit die Augen gen Himmel. Er sah wie dunkler Samt aus, den die fahlen Streifen der Milchstraße durchzogen. Nie war ihr die Luft süßer und köstlicher vorgekommen … Von Tristan und Sara flankiert, sah sie vor sich die breiten Schultern Pierres, der voranschritt. Er hatte den Degen in die Scheide geschoben, aber die Waffe war jederzeit griffbereit … Jean Armenga bildete den Schluß. Er ging dicht hinter ihr, vielleicht um zu verhindern, daß den auf der Mauer wachenden Soldaten ihre für einen Kriegsmann ungewöhnlich kleine Statur auffiel. Man kam nah am Schloßturm vorüber, vor dessen Pforte zwei schwer auf ihre Piken gestützte Soldaten vor sich hin dösten, und Cathérine hob instinktiv die Augen zu den Stockwerken empor. Bei Gilles de Rais war alles dunkel, doch bei La Trémoille brannten Kerzen … Das Goldfieber schien den dicken Mann wach zu halten … Die Aufregung des Tages war einer tiefen Ruhe gewichen. Die Anwesenheit der Königin hatte den zu lauten Vergnügungen eine Grenze gesetzt, und die Reisevorbereitungen hatten jedermann ermüdet … Der riesige Hof war leer, mit Ausnahme der Zugänge zu den Wachstuben, wo man die Umrisse einiger Soldaten bemerkte. Im Gehen flüsterte Cathérine Tristan zu:

»Diese Soldaten da drüben … werden sie uns nicht festnehmen?«

»Das würde mich wundern. Es sind Wachen der Königin, die wir heute abend auf Posten ziehen ließen. Ich weiß nicht, was Ihr La Trémoille erzählt habt, aber Ihr habt ihn derart aus der Fassung gebracht, daß alles heute nacht im Schloß kopfsteht.«