Cathérine hatte nicht gezögert. Sie hatte sich auf einen Schemel gesetzt und Sara eine Schere gereicht.

»Los, schneid alles heraus, was schwarz ist!«

Mit einer wahren Flut von Seufzern hatte sich Sara ans Werk gemacht. Als sie fertig war, trug Cathérines Kopf nur noch ein dichtes goldenes, an den Spitzen einen Hauch dunkler getöntes Stoppelfeld, das sie nach Knabenart frisierte. Sie sah mit dieser kurzen Haartracht wie ein junger Page aus, verlor jedoch seltsamerweise nichts von ihrer Weiblichkeit.

»In ein paar Monaten werde ich wieder präsentabel sein«, sagte sie, sich mit lustigem Lachen im Spiegel betrachtend. »Bis dahin wird niemand etwas merken. Dem Himmel sei Dank, daß die Kopfbedeckungen und Hauben, die man zur Zeit trägt, das Haar völlig verstecken. Gewisse Damen rasieren sich sogar über der Stirn und an den Schläfen.«

»Das ist abscheulich!« stellte Sara fest. »Und ich will dich nicht so sehen.«

»Hab keine Angst, ich mich auch nicht!«

Nun in eine schwarzseidene Robe unter einem Damastumhang von derselben Farbe gekleidet, war Cathérine mit ihrer hohen, halbmondförmigen Haube aus gestärktem schwarzem Musselin, die ihr Gesicht einrahmte, wieder eine Edeldame geworden, während Sara die bequemen Kleider einer Dienerin aus gutem Hause angelegt hatte und Tristan sein schwarzes Wildlederwams trug. Die Passanten und Klatschweiber unter den Türen drehten sich um, als die so schöne und strahlende Frau in ihrer strengen Trauerkleidung vorbeikam.

Nachdem sie durch das Tor von Verdun geritten waren, folgten die drei Reisenden einer belebten Straße. Da der Tag sich seinem Ende zuneigte, lungerte alle Welt friedlich zwischen Fleischbänken und Werktischen herum, während Kinder, mit Krügen bewaffnet, Wein oder Senf holen gingen. Eine leichte Brise ließ die an ihrem Eisengestänge hängenden bunten Schilder knarren. Durch die geöffneten Fenster konnte man die Herdfeuer in den Küchen sehen, um die sich die Hausfrauen an den Kochtöpfen zu schaffen machten. Gewiß, die Boutiquen waren nicht so reichlich wie sonst mit Waren versehen. Der Krieg hatte dem Königreich so verheerend zugesetzt, daß nichts aus dem Ausland hereinkam und die Lebensmittelversorgung schlecht war, aber die schöne Jahreszeit war angebrochen, und die Erde brachte in diesem Land, durch das der Engländer nicht gekommen war, trotz allem noch vieles hervor. Die Tuchmacher, Kürschner und Spezereiwarenhändler waren am meisten betroffen, da sie der großen Messen von einst beraubt waren, doch die Obst- und Gemüsehändler boten schönes Gemüse und sogar frische Blumen an. Der Fluß gab seinen Fisch, das Land sein Geflügel … Ein feiner Duft nach Kohl und Speck erfüllte die Straße, und Cathérine mußte lächeln.

»Ich habe Hunger!« sagte sie fröhlich. »Und Ihr?«

»Ich könnte mein Pferd verspeisen«, erwiderte Tristan mit einer fürchterlichen Grimasse. »Ich hoffe nur, daß diese Herberge gut ist.«

Alle drei genossen die Atempause dieser friedlichen Reise nach den tragischen Ereignissen von Amboise und vor den Gewalttätigkeiten, die sie hier erwarteten. Es war wie eine Aufheiterung zwischen zwei Gewittern, der Zwischenakt eines Dramas.

Sie gelangten an eine Kreuzung, wo Frauen schwatzend um einen Brunnen standen. Nicht weit von ihnen spielten Kinder Wurfscheibe, und auf einem Stein unter dem Vordach eines Hauses predigte ein Mönch in schwarzer, abgewetzter Kutte, gestikulierte heftig mit den Armen und verkündete lauthals, daß der Stein, auf dem er stehe, einst der guten Jungfrau von Orléans zum Absteigen vom Pferd gedient habe, als sie wie von Gott gesandt gekommen sei, um den edlen Dauphin zu finden, und daß sie eines Tages wiederkommen würde, um den Antichristen zu verjagen … Eine Gruppe von Frauen und Männern umstand ihn und sagte zu allem ja und amen. Die Häuser hier schienen schöner, mit höheren Giebeln, neuerem Fachwerk und edler geformten Türmchen versehen zu sein als in der übrigen Stadt. Cathérine begriff, daß dies der Grand Carroi war, das Herz Chinons, und Tristan machte sich auf die Suche nach dem Gasthof. Er war ein wenig weiter entfernt, und man konnte von der Straßenkreuzung aus sein prächtiges Schild sehen, bei dessen Bemalung mit Farben nicht gespart worden war und auf dem der große Saint-Mexme unter seinem Heiligenschein äußerst würdig aussah, aber entsetzlich schielte.

Sie ritten dem Eingang zu. Cathérine und Sara blieben im Sattel, während Tristan hineinging, um nach dem Wirt zu fragen. Es war wahrhaftig ein schöner Gasthof, blitzend vor Sauberkeit. Die kleinen, mit Blei eingefaßten Scheiben glänzten wie winzige Sonnen, spiegelten die Flammen in den Kaminen drinnen wider, und die schönen geschnitzten Balken über der Tür schienen blitzblank abgestaubt zu sein. Bald kehrte Tristan zurück, von einem stattlichen Individuum mit einem riesigen, fast das ganze Gesicht bedeckenden Bart begleitet. Aus dem Gestrüpp von Bart, Augenbrauen und Schnurrbart in einem schönen Mausgrau, das den Mann recht gut kleidete, sprang eine imposante Nase hervor, die die graziöse Form einer Stülpnase annahm, und darüber funkelte ein schwarzer, nicht eben beruhigender Blick. Aus dem peinlich sauberen weißen Linnen, das ihn umhüllte, aus der hohen Mütze und dem mächtigen Messer, das er vor dem Bauch trug, schloß Cathérine jedoch, daß es Meister Agnelet, der Besitzer des Gasthofs ›Zum Kreuz des Großen Saint-Mexme‹, sein müsse, und unterdrückte ein Lächeln. Dieser Agnelet erinnerte ganz gewaltig an einen alten Luchs! …

Die imposante Persönlichkeit verbeugte sich vor ihr mit allen Anzeichen tiefen Respekts, und dem weißen Aufleuchten inmitten seines Bartes entnahm Cathérine, daß sie lächelte.

»Es ist mir eine große Ehre, edle Dame, Euch unter meinem Dach zu bewillkommnen. Die Freunde des Herrn de Brézé sind hier zu Hause … Aber ich fürchte, ich kann Euch nur ein kleines Zimmer geben, wenn auch gut eingerichtet. Gestern kam die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Königs, unseres Herrn, und bestimmte Zimmer sind im voraus dafür reserviert worden.«

»Macht Euch keine Sorgen, Meister Agnelet«, entgegnete Cathérine, die dargebotene Hand ergreifend, die ihr vom Pferd helfen wollte, »solange Ihr uns nur beherbergt, meine Begleiterin und mich, und wir bei Euch ungestört sind, wird alles gut sein. Was nun Messire Tristan betrifft, meine ich, daß ihr …«

»Sorgt Euch nicht um mich, Dame Cathérine«, unterbrach der Flame. »Ich reite gleich nach dem Abendessen weiter.«

Cathérine hob die Brauen.

»Ihr reitet weiter? Wohin?«

»Nach Parthenay zum Konnetabel, zu meinem Herrn! Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Aber ich werde nur hinreiten und wiederkommen. Meister Agnelet, Ihr wißt, was Ihr zu tun habt?«

Der Wirt kniff ein Auge zu und lächelte verschmitzt wie ein Komplice:

»Ich weiß, Messire … Die Herren werden benachrichtigt werden, und die edle Dame ist bei mir völlig in Sicherheit. Macht Euch die Mühe einzutreten, Ihr werdet augenblicklich in Eurem Zimmer bedient werden.«

Von Meister Agnelet geleitet, traten die drei Reisenden in die Herberge, während zwei Bedienstete die Pferde in den Stall führten und ein dritter sich um das Gepäck kümmerte.

Eine beleibte Frau, deren rote Wangen gelackt zu sein schienen und auf deren fleischigen Lippen der Schatten eines Schnurrbärtchens prangte, die aber ein Goldkreuz um den Hals und ein Kleid aus schönem, feinem Barchent trug, kam eiligst herbei, um Cathérine ihre Reverenz zu erweisen. Agnelet stellte sie mit echtem Stolz vor.

»Meine Frau Pernelle! Sie ist Pariserin!«

Mit viel geziertem Getue führte die Pariserin Cathérine durch den Speisesaal und öffnete eine kleine Tür, die auf einen schönen, mit Steinfliesen belegten und mit Blumen geschmückten Hof hinausging. Von ihm aus strebte eine Holztreppe zur gedeckten Galerie hinauf, auf welche die Zimmer gingen. Sie schritt bis ganz ans Ende der Galerie und öffnete eine hübsche, geschnitzte Eichentür.

»Ich glaube, Madame wird sich hier wohl fühlen! Zumindest wird es ruhig sein.«

»Habt Dank, Dame Pernelle«, erwiderte die junge Frau. »Ich bin, wie Ihr seht, in Trauer und wünsche vor allem Ruhe und Frieden.«

»Gewiß, gewiß!« sagte die Wirtin. »Ich weiß, wie das ist … Aber wir haben ganz in der Nähe die Kirche Saint-Maurice, deren Pfarrherr voll Verständnis und Zuvorkommenheit ist. Man muß ihn hören, in der Predigt oder bei der Beichte! Seine Stimme ist eine Linderung für die gemarterte Seele und …«

Offenbar kannte Meister Agnelet, der unten geblieben war, sein Ehegespons nur allzu gut, denn er rief dröhnend:

»Holla, Frau! Kommt herunter, und laßt die edle Dame sich ausruhen!« – und schnitt so den Wortschwall der Dame Pernelle ab. Cathérine lächelte ihr zu:

»Schickt mir meinen Begleiter, Dame Pernelle, und richtet uns schnell das Abendessen her. Wir sind müde und ausgehungert.«

»Sofort, sofort …«

Nach einem letzten Knicks verschwand die gute Dame und ließ Cathérine und Sara allein. Die Zigeunerin inspizierte bereits das Zimmer, prüfte die Weichheit der Matratzen, das Türschloß und den Fensterverschluß. Das Fenster ging auf die Straße hinaus und erlaubte einen Blick auf das Kommen und Gehen der Passanten. Das Mobiliar war einfach, aber von guter Qualität, aus Eiche und Gußeisen. Und was die freundliche hellrote Tapete betraf, so machte sie aus diesem kleinen Raum einen Ort, in dem es sich angenehm wohnen ließ.

»Hier sind wir gut untergebracht«, meinte Sara befriedigt. Doch als sie Cathérine aufrecht am Fenster stehen und abwesend hinausblicken sah, fragte sie: »Woran denkst du?«

»Ich denke«, erwiderte die junge Frau lächelnd, »daß ich Eile habe, hier fertig zu werden, und daß, so komfortabel diese Herberge auch sei, ich mich nicht verspäten möchte. Ich … ich möchte meinen kleinen Michel wiedersehen! Du kannst nicht wissen, wie er mir fehlt! Es ist schon so lange her, daß ich ihn gesehen habe!«