Sie antwortete nicht, von plötzlicher Erregung erstickt. Ihr Herz hatte wie rasend zu schlagen begonnen. Sie fühlte, daß sie wie eine Jungfrau errötete, weil Pierre in die vier Silben ihres Namens mehr Liebe gelegt hatte als in ein Gedicht. Sie verspürte das heftige Verlangen, ihm die Hände entgegenzustrecken, um ihn näher heranzuziehen, zu ihr … In diesem Augenblick tauchte der Mond über einem Dachgiebel auf, flimmerte auf den Schiefern, versilberte sie, warf seinen Schein in die Straße und umhüllte mit ihm die reglose Gestalt des jungen Mannes, bevor er das Fenster erhellte und ins Zimmer glitt. Instinktiv hob Cathérine den Arm gegen das allzu helle Licht und trat einen Schritt zurück. Aber sie hatte noch Zeit, zu sehen, wie er ihr eine Kußhand zuwarf …
Es war jetzt zu hell, und es war unvorsichtig, sich noch einmal zu zeigen, aber die Versuchung war zu stark. Es verlangte sie danach, sein zu ihr emporgehobenes, von Leidenschaft gezeichnetes Gesicht noch einmal zu sehen … Sie neigte sich vor und konnte ein bedauerndes Lächeln nicht unterdrücken: Die Straße war leer. Pierre war verschwunden … Langsam schloß Cathérine den hölzernen Laden und das Fenster, zündete die Kerze an, nahm den für einen Moment auf dem Tisch abgelegten Strauß wieder auf und roch mit geschlossenen Augen daran, ließ sich vom Duft der Rosen berauschen. Die heiße Stimme, die eben noch aus dem Dunkel zu ihr gesprochen hatte, klang ihr im Ohr …
Das Gesicht in den Blumen vergraben, lauschte sie ihr nach, als sie plötzlich die spöttische Stimme Saras vernahm. Die Zigeunerin hatte schon geschlafen und mußte durch das Licht geweckt worden sein.
»Erstaunlich, diese Herberge! Ich hatte gar nicht bemerkt, daß Rosen in ihren Mauern sprießen!«
Jäh aus ihrem Traum gerissen, warf Cathérine ihr einen wütenden Blick zu, doch nach einem Augenblick mußte sie lachen. Kerzengerade im Bett sitzend, hatte Sara mit ihren dicken, straff auf die Schultern fallenden angegrauten Zöpfen eine ungeheuer komische Würde, die von dem neckischen Funken in ihren Augen Lügen gestraft wurde.
»Sie sind schön, nicht wahr?« murmelte die junge Frau.
»Sehr schön! Ich wette, sie kommen direkt vom Schloß, und ein gewisser Seigneur hat sie gebracht.«
»Du brauchst gar nicht zu wetten. Es stimmt … Er hat sie mir heraufgeworfen.«
Das leise Lächeln schwand von Saras Lippen. Sie schüttelte mit einer Andeutung von Traurigkeit den Kopf.
»Du bist schon soweit, ihn Er zu nennen?«
Cathérine wurde puterrot und wandte sich ab, um ihre Verwirrung zu verbergen, während sie sich zu entkleiden begann. Sie antwortete nicht, aber offenbar wollte Sara eine Antwort haben.
»Sag mir ehrlich, Cathérine. Was empfindest du eigentlich für diesen schönen blonden Ritter?«
»Was soll ich darauf antworten?« entgegnete die junge Frau gereizt. »Er ist jung, er ist schön, wie du ganz richtig bemerktest, er hat mich gerettet, und er liebt mich … Ich finde ihn charmant, das ist alles.«
»Das ist alles …«, äffte Sara nach. »Das ist schon viel. Hör zu, Cathérine: Ich weiß besser als irgend jemand, was du gelitten hast und wie du noch immer unter deiner Einsamkeit leidest, aber …«
Sara zögerte, senkte die Nase, sichtlich verärgert über das, was sie sagen wollte. Cathérine stieg aus ihrem Kleid, ließ es um ihre Füße zu Boden gleiten und bückte sich, um es aufzulesen.
»Aber?« fragte sie.
»Paß auf, daß du nicht wieder dein Herz verlierst. Ich gebe zu, daß dieser schöne Seigneur alles besitzt, was eine Frau verführen kann. Ich bin auch sicher, daß seine Liebe ehrlich ist und daß er deinem Leben eine große Süße geben würde. Ich weiß, daß er dir liebenswert erscheint. Nur – ich kenne dich, ich weiß, daß du nicht lange mit einer anderen Liebe glücklich wärst, weil der Mann, dessen Namen du trägst, dich zu tief gezeichnet hat, als daß du ihn vergessen könntest.«
»Wer spricht von vergessen?« murmelte Cathérine mit beunruhigter Stimme. »Wie könnte ich Arnaud vergessen, da ich doch nur für ihn gelebt habe?«
»Dadurch, daß du dich von einem anderen überreden ließest, in Zukunft für ihn zu leben. Ich wiederhole: Ich kenne dich. Wenn du dich gehenließest, würde eines Tages, früher oder später, die alte Liebe wieder ihre Rechte fordern, das Bild Arnauds würde den anderen verdrängen, und du würdest dich noch einsamer fühlen, noch verzweifelter und, um das Unglück vollzumachen, voller Gewissensbisse, wortbrüchig geworden zu sein … und du würdest dich deiner schämen.«
Sehr aufrecht in ihrem langen weißen Hemd, die Augen ins Weite gerichtet, schien Cathérine abwesend. Aber sie murmelte mit tiefem Schmerz:
»Dennoch warst du es, die mir nach der Nacht mit Fero riet, mich ohne Gewissensbisse der Lust hinzugeben. Brachtest du mir damals mehr Nachsicht entgegen, weil es sich um einen Mann deiner Rasse handelte?«
Sara erblaßte. Drückendes Schweigen breitete sich zwischen den beiden Frauen aus. Dann stand die Ältere langsam auf, trat zu der anderen.
»Nein, nicht weil es sich um einen der Meinen handelte. Sondern weil ich wohl wußte, daß Fero keine Chance hatte, dein Herz zu rühren. Und die Lust ist gut, Cathérine, wenn man jung und gesund ist. Sie befreit den Geist, entspannt den Körper, läßt das Blut schneller und heißer durch den Körper rinnen, während die Liebe knechtet und manchmal – zerstört … Wenn ich wüßte, daß dein Herz bei diesem Ritter nichts riskierte, würde ich dich ihm geradezu in die Arme werfen. Einige Nächte der Wollust würden dir guttun, aber du gehörst nicht zu denen, die sich ohne Zärtlichkeit hingeben. Und das würde … dem Einsiedler von Calves, deinem Gatten, großen Schmerz bereiten! Er braucht dich, muß wissen, daß du ihm beistehst, sein Martyrium zu ertragen. Jeder hält dich für eine Witwe, und deine schwarzen Schleier täuschen dich selbst. Für alle, selbst für das Gesetz, für die Kirche, bist du Witwe, da er beim Eintritt ins Siechenhaus aus der Reihe der Lebenden gestrichen worden ist. Aber er lebt, Cathérine, er lebt noch, und in deinem Herzen lebt er noch am meisten. Wenn du ihn daraus verjagst … dann, ja dann wird er wirklich tot sein! Aber du wirst immer wissen, daß er es nicht ist!«
Hinter Cathérine stehend, vermochte Sara ihr Gesicht nicht zu sehen.
Doch während sie sprach, bemerkte sie, daß der Kopf mit dem zu kurzen blonden Haar sich senkte und die schmalen Schultern sich beugten. Das Echo ihrer Worte hallte in der Tiefe des Herzens der jungen Frau wider, die kaum vernarbte Wunde wieder aufreißend.
Schmerzlich murmelte Cathérine:
»Du bist grausam, Sara! Ich habe schließlich nichts anderes getan als an den Rosen gerochen …«
»Nein, mein Herz. Du warst immer offen und ehrlich dir und anderen gegenüber. Sei es auch jetzt. Du hast dich von der Dankbarkeit auf einen gefährlichen Weg führen lassen, der nicht der deine ist. Der deine wird dich zu den Bergen der Auvergne zurückführen, zu Michel und nach Montsalvy.«
Ganz sachte zog sie die junge Frau an sich, bettete deren Kopf in die Höhlung ihrer Schulter und streichelte zart die Wange, über die eine Träne rollte.
»Zürne deiner alten Sara nicht, Cathérine. Sie würde dir ihr Leben und ihren Anteil am Paradiese geben, um dich glücklich zu sehen. Sie liebt dich wie ihr eigenes Fleisch. Aber«, fügte sie mit bebender Stimme hinzu, »du mußt wissen, daß sie einen Teil ihres Herzens deinem Gatten geschenkt hat, diesem Arnaud, voller Dünkel, Leidenschaft und Schmerz, den sie eines Nachts wie ein Kind, dessen Leben zerstört und dessen Liebe verdammt war, hat weinen sehen … Erinnerst du dich?«
»Schweig«, schluchzte Cathérine. »Schweig … Du weißt genau, daß kein anderer Mann jemals seinen Platz einnehmen könnte … daß ich nie jemand so lieben könnte, wie ich ihn geliebt habe … wie ich ihn noch liebe!«
Gewiß war sie ehrlich. Und doch konnte sie aus ihren Gedanken den Widerschein eines Lächelns, das Blitzen blauer Augen nicht verbannen … Oben, auf dem Turm, schlug Marie Javelle Mitternacht. Sanft, aber fest führte Sara Cathérine zum Bett. Der Rosenstrauß blieb unbeachtet auf dem Tisch …
Am nächsten Abend spielte die Frage der Liebe keine Rolle mehr, und Cathérine dachte auch gar nicht mehr daran, denn die Stunde des Handelns rückte heran. Gegen Ende des Tages war Meister Agnelet bei Cathérine erschienen und hatte ihr respektvoll, doch ohne unnütze Umschweife mitgeteilt, daß er sie Schlag Mitternacht holen werde.
»Wohin werden wir gehen?« fragte die junge Frau.
»Nicht weit, gnädigste Dame. In meinen Hof, um es genau zu sagen, aber ich muß Euch bitten, sowenig Geräusch wie nur möglich zu machen. Es sind nicht alle Gäste dieser Herberge eingeweiht!«
»Ich weiß, Meister Agnelet. Darf ich Euch fragen, ob diejenigen, die Ihr erwartet habt, inzwischen eingetroffen sind?«
»Alle, Madame. Monseigneurs de Lore und de Coétivy spielen seit gestern morgen Schach, und der Seigneur de Bueil ist soeben in der Stadt angekommen. Aber er ist zum Schloß hinaufgegangen …«
»Warum das?«
»Er ist der Neffe des Großkämmerers, und obgleich er der Königin Yolande dient, wird er noch empfangen. Vergeßt es nicht, edle Dame! Um Mitternacht!«
Der Rest des Tages kam Cathérine weniger lang vor. In kurzem würde sie wissen, woran sie war. Entweder hatte der Anschlag Erfolg, dann wäre es zweifellos ein leichtes für den jungen Karl von Anjou, La Trémoille beim König zu ersetzen. Es würde außerdem die Rückkehr in Gnaden bedeuten und das Recht, endlich ohne Maske und am hellichten Tage zu leben. Oder der Anschlag mißlang … dann würde nichts die Verschwörer vor dem Zorn des Großkämmerers retten. Es würde den Tod aller bedeuten, ohne Ansehen des Geschlechts und des Ranges …
Nachdem das Abendläuten verklungen war, trat Cathérine mechanisch ans Fenster, öffnete es jedoch nicht, übrigens würde Pierre de Brézé in dieser Nacht nicht den Verliebten unter dem Fenster seiner Schönen spielen. Er hatte Besseres zu tun, und sie würde ihn im Kreise der anderen Ritter wiederfinden. Außerdem fühlte sich Cathérine zu angespannt, um noch Gedanken daran zu verschwenden.
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