»Sollten wir nicht auf die Befehle des Konnetabels warten?« warf Brézé ein.
»Die Befehle? Welche Befehle?« knurrte Gaucourt. »Wir haben zu arbeiten, und zwar schnell, übrigens … wo ist eigentlich Meister Agnelet geblieben? Er muß noch eine stattliche Menge Wein hier in seinem Keller haben. Ich sterbe vor Durst!«
»Er ist draußen«, sagte Jean de Bueil. »Auf Wache …«
Aber es blieb ihm keine Zeit, seinen Satz zu beenden. Der Wirt in Person trat bereits ein, mit seiner Öllampe bewaffnet, hinter sich zwei staubbedeckte und offensichtlich erschöpfte Männer, deren Anblick Cathérine einen Ausruf der Freude entlockte, denn der erste der beiden war kein anderer als Tristan l'Hermite. Es war Prégent de Coétivy, der sie begrüßte.
»Ah! L'Hermite! Rosnivinen! Wir erwarten euch. Ich nehme an, ihr bringt uns die Befehle des Konnetabels?«
»In der Tat«, erwiderte Tristan. »Hier ist Messire Jean de Rosnivinen, der ihn bei der … Ausführung … vertritt! Denn, wohlverstanden, es kann keine Frage sein, daß er etwa selbst käme. Ihr kennt alle die Feindschaft, die der König für ihn hegt. Unser Herr darf nicht an einen Racheakt glauben, sondern an eine Maßnahme der öffentlichen Gesundheitspflege!«
Während er sprach, näherte er sich Cathérine und verneigte sich respektvoll vor ihr.
»Monseigneur der Konnetabel hat mich beauftragt, Madame, an seiner Stelle die schöne Hand zu küssen, die uns Chinon geöffnet hat. Er ist Euch zutiefst verbunden und hofft, daß Ihr ihn in Zukunft zu der Zahl Eurer ergebensten Diener rechnet!«
Diese kleine Ansprache hatte eine außergewöhnliche Wirkung. Cathérine spürte sofort, daß die Atmosphäre sich wandelte. Bislang, trotz ihrer höflichen Worte, hatte sie sich inmitten dieser Männer unbehaglich gefühlt. Sie spürte vage, daß die ihr erwiesene Ehrerbietung vor allem dem Namen Arnauds und der Erinnerung an ihn galt, nicht der Frau, die sie war. Ihr Verhalten mußte ihnen seltsam erscheinen, zu unüblich. Zweifellos waren sie der Meinung, daß sie, dem Brauch gemäß, die Durchführung ihrer Rache irgendeinem Kämpen hätte überlassen und das Ergebnis in Gebet und andächtiger Versenkung in einer Klosterzelle abwarten sollen. Aber sie hatte beschlossen, die Rolle, die sie sich zugeteilt hatte, bis zu Ende zu spielen. Was hatte es schon zu bedeuten, was die Männer dachten!
Ohne etwas zu sagen, nahm Raoul de Gaucourt ihre Hand und führte sie in den Kreis der Fässer, bat sie, sich zu setzen, und ließ sich neben ihr nieder.
»Nehmt Platz, Messeigneurs, und werden wir uns erst einmal einig. Es ist Zeit! Agnelet, bringt uns etwas zu trinken und verschwindet!«
Der Wirt beeilte sich zu gehorchen, stellte Becher und Krüge auf ein über zwei Fässer gelegtes Brett und verzog sich dann. Während er sich geschäftig tummelte, hatte Schweigen in der Grotte geherrscht. Erst als er verschwunden war, sah sich Gaucourt im Kreis der Versammelten um.
»Ihr wißt alle schon das Wesentliche. La Trémoille bewohnt den Turm von Coudray, von fünfzehn Armbrustschützen bewacht. Das heißt, daß ihr ohne mich euch ihm nicht nähern könntet. Unter meinem unmittelbaren Kommando habe ich die dreißig Mann, die die normale Garnison des Schlosses bilden. Mit dem König sind an die dreihundert Bewaffnete gekommen, alle dem Befehl des Kämmerers unterstehend, wohlgemerkt. Erste Frage, habt ihr Soldaten?«
»Ich habe fünfzig Mann, im Wald untergebracht«, antwortete Jean de Bueil.
»Das wird genügen«, entgegnete Gaucourt. »Wir werden uns die Überraschung zunutze machen, die wichtige Tatsache, daß das Schloß dazu zwingt, die Truppen auf dem ganzen Gelände zwischen dem Fort Saint-Georges und Coudray zu zersplittern, und daß ich, der Gouverneur, an eurer Spitze stehen werde. Andererseits liegt die Pforte, die ich euch, wenn wir uns einigen, morgen um Mitternacht öffnen werde und die sich dem Schloßturm am nächsten befindet, zwischen dem Mühlenturm und dem Vieleckturm … wo die stärkste Stütze La Trémoilles wohnt, anders ausgedrückt, der Marschall de Rais.«
Bei der Erwähnung Gilles' zuckte Cathérine zusammen und wurde blaß. Sie mußte die Zähne zusammenpressen, auf die Lippen beißen, um gegen die Furcht anzukämpfen, die in ihr aufstieg. In ihrer Freude, sich endlich ihrem Ziel zu nähern, hatte sie den schrecklichen Sire Blaubart vergessen … Doch Jean de Bueil antwortete:
»Auch ich wohne im Vieleckturm. Ich werde die Männer ins Schloß einlassen und dann mit Ambroise de Lore, zum Beispiel, in den Turm eindringen. Wir beide werden Gilles de Rais lahmlegen. Er wird sein Quartier nicht verlassen können.«
Das war so ruhig gesagt, daß ihre Furcht sich legte. Gilles de Rais hatte für diese Ritter nichts Erschreckendes. Der Gouverneur machte ein Zeichen der Zustimmung.
»Sehr gut! Ihr habt euch also mit de Rais zu beschäftigen. Ich selbst und Olivier Frétard, mein Stellvertreter hier, werden dafür sorgen, daß die Wachen soweit wie möglich ausgeschaltet werden, indem wir sie von Coudray ablenken. Die fünfzig Mann von Bueil, von Brézé und Coétivy angeführt, werden mit Rosnivinen und l'Hermite den Großkämmerer angreifen, der allein im Schloßturm wohnt.«
»Wo ist der König untergebracht?« fragte Cathérine.
»Im Mittelschloß, im Gemach, das hinter dem Großen Saal liegt. Die Königin wird ihn bitten, die Nacht bei ihr zu verbringen, was er ihr nie abschlägt, denn auf seine Art liebt er seine Frau ob ihrer Sanftmut und der Ruhe, die er bei ihr findet. Die Königin wird alles tun, ihn im Falle eines Alarms zu beruhigen … Die größte Schwierigkeit wird die Annäherung ans Schloß sein. Die Nächte sind hell, und die auf den Wällen stehenden Posten könnten sehr wohl Alarm schlagen … in welchem Falle alles verloren wäre. Ihr werdet also genauestens aufpassen, Messieurs, daß eure Leute keinerlei Rüstung tragen, keinen Harnisch, dessen Geräusch gefährlich sein könnte. Nichts als Leder oder Wolle …«
»Und die Waffen?« fragte Jean de Bueil kurz.
»Dolch und Degen für die Edelleute, Axt und Dolch für die Soldaten. Also wohlverstanden: Um Mitternacht werden wir das Pförtchen öffnen. Ihr dringt ein. Dann wenden Bueil und Lore sich zum Turm de Boisy, während die anderen sich mit dem Schloßturm beschäftigen. Coétivy und Tristan l'Hermite werden ihn mit zwanzig Leuten gegen jede Störung von außen abschirmen, während Brézé und Rosnivinen in den ersten Stock hinaufsteigen und La Trémoille erledigen!«
Mit einem Kopfnicken stimmten die Verschwörer zu. Dann erhob sich die helle Stimme Cathérines.
»Und ich?« fragte sie kalt, der Sprechweise Gaucourts entsprechend. Unmut schwoll in ihrem Herzen, als sie feststellen mußte, daß ihr keine Rolle zugewiesen worden war. Sie konnte nicht mehr schweigen.
Stille trat ein. Alle Blicke richteten sich auf sie, und sie las in allen die gleiche Mißbilligung, auch in dem Pierre de Brézés. Es war wieder Gaucourt, der sich zum Sprecher der allgemeinen Meinung machte.
»Madame«, sagte er höflich, aber fest, »wir haben Euch gebeten, heute nacht hierherzukommen, damit Ihr erfahrt, was unternommen werden wird. Das war ganz normal, und wir schulden es Euch. Was aber sonst zu tun bleibt, betrifft uns, uns Männer. Ihr habt unsere Dankbarkeit reichlich verdient, gewiß, jedoch …«
»Einen Augenblick, Herr Gouverneur«, unterbrach ihn die junge Frau und erhob sich. »Ich bin nicht nach Chinon gekommen, um nur Komplimente entgegenzunehmen, mir schöne Worte anzuhören und darauf ruhig in meinem Bett zu schlafen, während ihr euer Wild angreift. Ich möchte dabeisein!«
»Das ist nichts für eine Frau!« rief Lore. »Weg mit den Unterröcken beim Kampf!«
»Vergeßt, daß ich eine Frau bin! Seht in mir nur die Vertreterin Arnaud de Montsalvys!«
»Die Soldaten werden Eure Anwesenheit nicht begreifen!«
»Ich werde mich als Mann verkleiden! Noch einmal, Messeigneurs, ich möchte dabeisein! Das ist mein unbedingtes Recht! Ich beanspruche es!«
Wieder folgte Schweigen. Cathérine sah, wie sie sich mit Blicken berieten. Selbst Brézé war gegen ihre Anwesenheit, sie merkte es an seiner Haltung.
Nur Tristan wagte es, für sie einzutreten.
»Ihr könnt es ihr nicht verweigern«, sagte er ernst. »Ihr habt die ungeheuerliche Gefahr akzeptiert, die sie auf sich genommen hat, um euch diesen Angriff zu ermöglichen. Und nun weist ihr sie zurück! Sie um den Genuß des Sieges zu bringen wäre ungerecht!«
Ohne zu antworten, wandte Raoul de Gaucourt sich der in den Felsen gehauenen Treppe zu, setzte den Fuß auf die erste Stufe und drehte sich um.
»Ihr habt recht, Tristan! Es wäre ungerecht. Auf morgen also alle! Um Mitternacht!«
Es folgte keine Erwiderung. Niemand wagte den geringsten Einwand.
»Um Mitternacht!« riefen sie einstimmig.
Pierre de Brézé übersehend, der ihr die Hand bot, um sie zu ihrem Zimmer zurückzugeleiten, nahm Cathérine Tristans Arm.
»Kommt, mein Freund! Es ist Zeit für Euch, ein wenig auszuruhen!« sagte sie liebevoll, ihn zum Ausgang der Grotte ziehend. Sie lehnte es sogar ab, den unglücklichen Blick Pierres zur Kenntnis zu nehmen. Er hatte sie eben nicht unterstützt. Sie war böse auf ihn wie auf einen Verräter.
Als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, stützte Sara sich auf einen Ellbogen auf und sah sie an.
»Nun?« fragte sie.
»Morgen um Mitternacht …«
»Das ist nicht zu früh! Wir werden das Ende dieses verrückten Abenteuers erleben!«
Und zufrieden mit dieser Schlußfolgerung, drehte Sara sich auf die andere Seite und nahm ihren unterbrochenen Schlaf wieder auf.
Die Juninacht war klar und mild. In dem dunklen, eng geschnürten wollenen Wams, das sie trug, wurde es Cathérine zu heiß, während sie inmitten der anderen zum Schloß hinaufstieg. Neben ihr, in Tuchfühlung, gingen Bueil, Loré, Coétivy, Brézé und Rosnivinen. Tristan war der letzte, der mit den Bewaffneten den Zug schloß …
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