Der Trupp von mehr als fünfzig Mann bewegte sich, ohne mehr Geräusch zu verursachen als eine Armee von Schatten. Die Befehle Jean de Bueils waren deutlich und genau, kein Harnisch, dessen Stahl hätte klirren können. Die Männer trugen nur Lederzeug, aber an allen Gürteln hingen Dolche und Äxte. Es war unmöglich, auf ihren verschlossenen Gesichtern etwas zu lesen. Schweigend, diszipliniert wie eine gut geölte Kriegsmaschine, stiegen sie im Gleichschritt zu den immer näher rückenden Umfassungsmauern hinauf. Der Schatten des Vieleckturms fiel über sie und bot ihnen Schutz.
Als Kulisse für einen Mord kam diese schöne, klare und blaue Nacht Cathérine seltsam vor. Sie hätte sie sich schwarz, undurchdringlich und ein wenig neblig gewünscht; trotzdem war sie von stolzer Freude erfüllt. Sie war diejenige, die diese Männer in Marsch gesetzt hatte! Wenn sie hier waren, angesetzt zu dieser tödlichen Jagd, bei der jeder den Kopf riskierte, dann nur, weil sie es mit verbissener Beharrlichkeit so gewollt hatte. In wenigen Minuten würde sie siegreich oder unwiderruflich besiegt sein, und als sie vor kurzem aus der Herberge aufgebrochen war, hatte sie sich mit letzten Ermahnungen von Sara verabschiedet.
»Wenn ich nicht wiederkomme, kehrst du nach Montsalvy zurück und wirst meinem Gatten sagen, daß ich für ihn gestorben bin. Und dann wirst du über Michel wachen.«
»Unnötig«, hatte Sara ruhig erwidert. »Du wirst zurückkehren!«
»Woher weißt du das?«
»Deine Stunde ist noch nicht gekommen, ich fühl's!«
Doch je mehr sie sich dem Schloß näherte, desto mehr schien es Cathérine, als ob Sara zur Abwechslung auch einmal unrecht haben könne. Der Trupp, der ihr beim Aufbruch kolossal vorgekommen war, schien zusammenzuschrumpfen, je höher die neue Mittelfeste unter ihrer Verkleidung aus glänzendem blauem Schiefer aufstieg. Sie ließ sich einen bangen Seufzer entschlüpfen, und schon wollte Pierre de Brézé, der neben ihr ging, ihre Hand ergreifen. Aber sie zog sie brüsk zurück … Es war nicht die Stunde für liebevolle Zärtlichkeiten; in diesem Augenblick wollte sie für diese Männer nur ein Waffengenosse sein.
»Cathérine«, sagte der junge Mann vorwurfsvoll, »weshalb flieht Ihr mich?«
Sie brauchte nicht zu antworten. Coétivy übernahm es für sie:
»Still!« befahl er. »Wir sind bald da.«
In der Tat waren sie auf dem Gipfel des Hügels angelangt, am Fuß des Walles, auf dem man die Wachen unterscheiden konnte. Im Schloß brannte kein Licht. In den königlichen Gemächern schlief der König ohne Zweifel in seinem großen Bett neben Königin Marie, die die Augen wahrscheinlich weit geöffnet hielt. Sie hatte versprochen, wach zu bleiben, um ihren Gemahl im Falle des Alarms zu beruhigen … Und dann, wie hätte sie auch schlafen können, da sie wußte, was passieren würde?
Auf eine gebieterische Bewegung de Bueils hin drückte sich der gesamte Trupp an die Festungsmauer und wurde so von den Wehrgängen aus unsichtbar, während der junge Hauptmann allein auf das verschlossene Pförtchen zuschritt. Unwillkürlich hielt Cathérine den Atem an. Zu ihren Füßen konnte sie die Stadt und ihre Spitzdächer im Mondschein schimmern sehen, in den Steingürtel der Umfassungsmauer gedrückt, die dem im Mondlicht flimmernd dahinziehenden Flusse folgte. Die tiefe Stimme Marie Javelles, die Mitternacht schlug, ließ sie zusammenfahren. Hinter dieser hohen, verschlossenen Pforte mußten Gaucourt und Frétard bereitstehen …
»Die Pforte öffnet sich«, flüsterte jemand.
Tatsächlich drang zitterndes gelbes Licht durch den Spalt. Der, welcher öffnete, trug eine Laterne. Cathérine gewahrte zwei in Eisen gekleidete Silhouetten. Der Gouverneur und sein Stellvertreter brauchten sich nicht zu verbergen und konnten ihre Harnische tragen. Einer hinter dem anderen glitten die Verschwörer durch den Eingang, den Frétard offenhielt. Cathérine kam nach Brézé, der sie mit einer nervösen Bewegung am Arm genommen und hinter sich hineingezogen hatte. Ärgerlich machte sie sich frei. Sie befand sich im Hof von Coudray, auf der anderen Seite des Mühlenturms, des westlichsten Werks des Festungskomplexes. Einige Klafter vor ihr ragte der riesenhafte, runde Turm empor, in dem ihr Feind schlief –, der Schloßturm, hinter dem man die Kapelle Saint-Martin bemerkte. Endlich am Ziel!
Gaucourt musterte jeden der Männer, die an ihm vorübergingen, hob die Laterne und zählte sie. Als der letzte vorbei war, schloß sich die Pforte ebenso leise, wie sie geöffnet worden war, dann setzte sich der Gouverneur an die Spitze des Trupps. Mit seinem Eisenhandschuh wies er auf den stumm aufragenden Schloßturm, über ihrem Kopf konnte Cathérine die langsamen, abgemessenen Schritte der Wachen auf dem Wallgang hören. Keiner blieb stehen. Das Unternehmen lief in eindrucksvoller Stille ab. Bueil und Lore wandten sich einem der Türme zu, während Coétivy und Tristan mit dem größten Teil der Männer lautlos im Schatten des Schloßturms untertauchten.
Als Cathérine durch eine schmale Pforte den Turm betrat, mußte sie mehrere Male tief atmen, denn die Schläge ihres Herzens erstickten sie. Instinktiv griff sie nach dem Dolch in ihrem Gürtel und umspannte das Heft fest mit der linken Hand. Schon glitten die Verschwörer wie die Glieder einer großen schwarzen Schlange im unsicheren Licht der rauchenden Öllampen zum oberen Stock hinauf, wo der Großkämmerer wohnte.
Die Wachen vor seiner Tür zuckten nicht mit der Wimper, als sie den Gouverneur erkannten. Sie wurden überwältigt, bevor sie auch nur den Mund öffnen konnten. Dann zersplitterte die Stille.
Durch die gewaltsam geöffnete Tür stürzten sich die Verschwörer in den großen Raum, in dem La Trémoille hinter Samtvorhängen schnarchte. Eine einzige goldziselierte Nachtlampe brannte, und im Dunkel der Vorhänge war undeutlich eine auf dem Rücken liegende Gestalt zu erkennen.
Es ging schnell. Vier Mann warfen sich über den unförmigen Leib, knieten sich auf ihn und überwältigten ihn. Unsanft geweckt, aber unfähig, sich aufzurichten, begann La Trémoille zu brüllen. Ein Degenknauf traf roh seinen Kopf und öffnete eine Schläfe. Aus der Wunde rieselte Blut.
»Tötet ihn!« schrie Cathérine, trunken von einer so intensiven rachsüchtigen Freude, daß sie sich nicht wiedererkannte. Sie riß den Dolch aus dem Gürtel, wollte vorstürzen, aber ein Mann, in dem sie Jean de Rosnivinen erkannte, entriß ihn ihr.
»Das ist keine Sache für Frauen!« knurrte der Bretone. »Gebt mir das!«
Mit einem Schritt war er am Bett und stieß La Trémoille mit aller Kraft die Waffe in den Leib. Der Kämmerer heulte auf. Auch andere Waffen schlugen zu, doch ohne den dicken Mann, der wie ein abgestochenes Schwein brüllte, zum Schweigen zu bringen.
Im Schloß war man durch seine Schreie aufgewacht. Besorgniserregende Geräusche wurden vernehmlich. In wenigen Minuten würden die Wachen herbeieilen.
»Er ist zu fett«, stieß Gaucourt angewidert hervor. »Die Dolche dringen nicht zum Herzen durch! Fesselt ihn, knebelt ihn und schafft ihn weg … Er muß das Schloß in weniger als fünf Minuten verlassen haben.«
»Wegschaffen?« wandte Cathérine ein. »Hängen wir ihn!«
»Dazu haben wir nicht die Zeit«, sagte der Gouverneur. »Auch keinen festen Strick. Bringen wir ihn nach Montrésor, ich habe draußen für jeden Fall Pferde bereitstellen lassen. Jemand muß Bueil unterrichten. Er soll Gilles de Rais fesseln und knebeln und unten zu uns stoßen!«
Im nächsten Augenblick war La Trémoille nur noch ein unförmiges, stöhnendes Bündel, über dem Knebel schienen seine Augen vor Angst aus ihren Höhlen zu quellen. In diesem Moment tauchte Olivier Frétard, der unten geblieben war, im Türrahmen auf:
»Der König ist erwacht! Er verlangt zu wissen, was dieser Lärm bedeutet. Er schickt seine Wachen!«
»Schnell, tragt ihn weg!« rief Gaucourt. »Ich gehe zum König …«
In wenigen Sekunden war unter Cathérines verblüfften Augen alles erledigt. Sechs Männern gelang es, den leblosen, blutenden Körper des dicken Mannes anzuheben und die Treppe hinunterzuschaffen. Im Nu wurde der Hof überquert, die Pforte erreicht. Pierre de Brézé hatte Cathérine hinter den anderen herziehen wollen, aber das wütende Gemetzel, der Geruch des vergossenen Blutes hatten ihre Widerstandskraft erschöpft. Ganz sanft sank sie neben dem großen Bett in Ohnmacht. Der junge Mann fing sie eben noch zur rechten Zeit auf und trug sie eiligst davon.
Die frische Nachtluft im Hof belebte sie wieder. Sie schlug die Augen auf, sah Brézés Gesicht ganz nahe dem ihren und blickte ihn verständnislos an. Doch alsbald kehrte ihre Erinnerung wieder, und mit einer geschmeidigen Bewegung der Hüften ließ sie sich aus den Armen gleiten, die sie hielten.
»Laßt mich los!« rief sie. »Dank, Messire … Wo ist La Trémoille? Was hat man mit ihm gemacht?«
Mit einer Geste wies Pierre auf den Trupp, der sich wie ein riesiger Tausendfüßler den Pfad zur Stadt hinunterbewegte.
»Da! Man trägt ihn weg! Nach Montrésor. Dort wird er gerichtet!«
Eine Blutwelle stieg der jungen Frau ins Gesicht.
»Und sie?« fragte sie zornig. »Seine Frau? Wollt ihr sie hier in Frieden lassen? Sie ist schlimmer als er, und ich hasse sie mehr, als ich ihren Mann gehaßt habe.«
»Man kann nicht zu ihr, Cathérine. Sie hat ihre Gemächer im Mittelschloß, neben denen des Königs … Wir müssen jetzt gehen.«
»Ah, wirklich?« schrie Cathérine wütend. »Nun, geht, wenn Ihr wollt! Ich bleibe hier! Es wird mir keine Ruhe lassen, bevor ich nicht mit ihr Schluß gemacht habe … Ich habe noch eine Rechnung zu begleichen!«
Während sie sprach, tastete sie nach der Scheide ihres Dolchs und war erstaunt, sie leer zu finden. Dann erinnerte sie sich, daß Rosnivinen ihn ihr entrissen hatte. Die Waffe war im Fett des dicken Kämmerers steckengeblieben. Der Bretone hatte sie wieder herausgezogen und weggeworfen. Sie mußte noch auf dem Steinboden des Zimmers liegen.
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