»Majestät, mein Sohn«, sagte sie, »möge es Eurer Gerechtigkeit und Eurem großmütigen Herzen gefallen, Cathérine, Gräfin de Montsalvy, Dame de là Châtaigneraie in Gnaden zu empfangen, die vor Euch kniet, um Eure Hilfe zu erflehen und um die Wiedergutmachung des vielfachen Unrechts und der grausamen Leiden zu bitten, die sie durch den ehemaligen Großkämmerer zu erdulden hatte.«
»Majestät«, fügte Cathérine sogleich mit Leidenschaftlichkeit hinzu, »ich fordere Gerechtigkeit für meinen in der Verzweiflung gestorbenen Gatten, für Arnaud de Montsalvy, der Euch stets treu diente, nicht für mich! Ich bin nur seine Frau!«
Der König lächelte, stieg zu der jungen Frau hinunter, nahm ihre beiden Hände, um ihr aufzuhelfen.
»Dame«, sagte er sanft, »eigentlich müßte der König zu Euren Füßen um Gnade bitten. Ich kenne all das Böse, das dem treuesten meiner Hauptleute zugefügt worden ist, und ich empfinde große Scham und großen Schmerz darüber. Heute kommt es darauf an, daß für Euch und Euren Sohn alles wieder wird wie früher und daß das Haus Montsalvy wieder hoch zu Ehren und zu Vermögen komme. Man rufe unseren Kanzler!«
Von neuem teilte sich die schillernde Menge, um Regnault de Chartres, Erzbischof von Reims und Kanzler von Frankreich, durchzulassen. Cathérine erkannte nicht wenig erstaunt den hochmütigen Prälaten, der einst ein Todfeind Jehanne d'Arcs gewesen war und sich zweifellos nur aus Vorsicht von La Trémoille losgesagt hatte. Instinktiv empfand sie eine Aversion gegen ihn, vielleicht seines hochmütigen Blicks und des berechnenden Zuges um seine Lippen wegen. Aber plötzlich fühlte sie, wie eine tiefe Röte ihre Wangen überzog. Einige Schritte hinter dem Kanzler ging ein Mann in staubbedeckter Kleidung und mit abgespannten Zügen: Pierre de Brézé. Er lächelte ihr zu, als er sie bemerkte, und Cathérine mußte, ob sie wollte oder nicht, das Lächeln zurückgeben. Aber sie hatte keine Zeit, sich Fragen zu stellen. Karl VII. wandte sich an Regnault de Chartres.
»Seigneur Kanzler, habt Ihr, was Messire de Brézé aus Montsalvy holen sollte?«
Statt einer Antwort streckte der Erzbischof die Hand aus, ohne Pierre anzusehen. Der junge Mann reichte ihm eine sichtlich beschmutzte, unansehnliche Pergamentrolle. Regnault de Chartres rollte das an allen vier Ecken durchlöcherte Pergament auf. Eine Blutwelle überflutete Cathérines Hals. Dieses Pergament, an den Rändern zerfetzt, beschmutzt, durchlöchert, halb vergilbt, kannte sie. Es war mit vier Pfeilen an die noch rauchenden Ruinen von Montsalvy geheftet worden; es war das Edikt, das Arnaud de Montsalvy zum Verräter an König und Königreich, zum Treubrüchigen und für immer Geächteten erklärte … Sie sah es zwischen den Fingern des Kanzlers zittern, wie sie es einst in Montsalvy im Abendwind hatte leise flattern sehen … Und dann geschah etwas: Ein in Rot gekleideter Mann trat vor, dem zwei Diener folgten, die einen mit glühenden Kohlen gefüllten eisernen Ofen trugen. Cathérine erkannte den Scharfrichter! Ihre Augen blickten verstört, während unkontrollierbare Angst sie befiel. Diese makabre rote Gestalt erinnerte sie an Vorkommnisse, die noch zu frisch und zu sehr mit Entsetzen geladen waren! Aber es war kein Mensch, den er hinrichten sollte.
Regnault de Chartres trat vor, die Pergamentrolle in den Händen. Seine Stimme durchdrang die Stille.
»Wir, Karl, der Siebente dieses Namens, durch die Gnade des allmächtigen Gottes König von Frankreich, befehlen, daß das Edikt, das den hochwohlgeborenen und hochedlen Seigneur Arnaud, Graf von Montsalvy, Seigneur de la Châtaigneraie im Lande der Auvergne, ebenso wie seine Nachkommen wegen Verrates mit dem Bann bestrafte, auf ewig hinfällig sei. Wir befehlen, daß besagtes Edikt als falsch, wahrheitswidrig und niederträchtig erklärt und an diesem heutigen Tage unter unseren Augen durch die Hand des Scharfrichters als Schandmal vernichtet werde …«
Der Kanzler zog eine Schere aus der Tasche, schnitt das abgenutzte rote Band ab, an dem das Große Staatssiegel Frankreichs hing, und reichte es dem König, nachdem er es respektvoll geküßt hatte. Dann übergab er die Pergamentrolle dem Scharfrichter. Dieser nahm sie mit einer Kneifzange und warf sie in den Ofen. Die feine Schafshaut krümmte sich, als sei sie mit einem eigenen Leben begabt, wurde dann schwarz und verbrannte mit einem unangenehmen Geruch, aber solange noch ein Stück davon übrigblieb, ließ Cathérine sie nicht aus den Augen. Erst als sie völlig von den Flammen verzehrt war, hob sie den Kopf und traf auf den Blick des Königs, der ihr zulächelte.
»Euer Platz ist bei uns, Cathérine de Montsalvy, bis Euer Sohn alt genug ist, um uns zu dienen. Seid in diesem Schloß willkommen, in dem Ihr heute abend Wohnung nehmen werdet. Morgen wird Euch unser Kanzler die Urkunden aushändigen, nach denen Euch Euer Vermögen und Eure herrschaftlichen Güter voll und ganz zurückgegeben werden. Dann wird unser Schatzkanzler Euch eine Summe Goldes auszahlen, die dazu bestimmt ist, Euch für das Unrecht, das Euch angetan worden ist, zu entschädigen. Leider kann das Gold nicht alles wiedergutmachen, und der König hat es nie zuvor so sehr bedauert.«
»Sire«, murmelte sie mit heiserer Stimme, »so Gott will, werden die Montsalvy fortfahren, Euch zu dienen, wie sie Euch immer gedient haben. Mein Dank an Euch sei mir verstattet, daß Ihr es ihnen von neuem vergönnt!«
»Geht nun und begrüßt Eure Königin. Sie erwartet Euch.«
Cathérine wandte sich zu Marie d'Anjou, die einige Schritte hinter ihr inmitten ihrer Hofdamen stand und ihr zulächelte. Spontan kniete sie zu Füßen dieser häßlichen und gütigen Frau nieder, die nicht wußte, was böse ist. Marie empfing Cathérine mit offenen Armen.
»Meine teure Cathérine«, sagte sie zu ihr, während sie sie umarmte, »ich bin so glücklich, Euch wiederzusehen! Ich rechne damit, daß Ihr Euren Platz unter meinen Damen wieder einnehmen werdet.«
»Eine gewisse Zeit, Madame … denn ich werde zu meinem Sohn zurückkehren müssen!«
»Das eilt nicht. Ihr werdet ihn holen lassen. Platz, meine Damen, für die Gräfin de Montsalvy, die zu uns zurückkehrt!«
Der Empfang, der Cathérine zuteil wurde, war schmeichelhaft. Sie kannte bereits einige unter ihnen und fand mit Freuden die hübsche Anne de Bueil, Dame von Chaumont, wieder, die sie in Angers getroffen hatte. Auch Jeanne du Mesnil sah sie, die sie noch von der Zeit her kannte, als sie Edeldame in Bourges gewesen war, und die Dame de Biosset; doch war sie bisher weder Madame de la Roche Guyon begegnet noch der Prinzessin Jeanne d'Orléans, der Tochter des lebenslänglichen Gefangenen von London. Sie war erstaunt, Marguerite de Culan nicht wiederzutreffen, die ihre Freundin gewesen war, und ein wenig bekümmert, als sie hörte, das junge Mädchen habe den Schleier genommen, aber sie war so glücklich, wieder in den ihr zukommenden Kreis, auf ihren richtigen Platz zurückzukehren, daß nichts sie allzusehr treffen konnte. Sie war wie ein Stein, den ein heftiger Sturmwind aus seiner Mauer gerissen und ein sorgfältiger Maurer wieder an Ort und Stelle unter seinesgleichen zurückgesetzt hat. Es war gut, sich wieder von Freunden umgeben zu fühlen, die hübschen, lächelnden Gesichter wiederzusehen, liebenswürdige Worte zu hören nach so vielen ermüdenden Ritten, so vielen dunklen Tagen! Einige Männer mischten sich jetzt unter die Damen, begierig, sich der Heldin des Tages zu nähern. Etwas berauscht sah sie den schönen Herzog von Alençon auf sich zukommen, dann den Bastard von Orléans, Jean de Dunois, der sie einst vor der Folter gerettet hatte, den Marschall de La Fayette und andere mehr. Sie wußte gar nicht, wem sie zuerst antworten, wem sie zulächeln sollte, und suchte unter den Männern Pierre, Pierre, der aus der Auvergne zurückkam und den sie dringend ausfragen wollte. Doch plötzlich hörte sie eine Stimme, deren Gaskogner Akzent fröhlich hinter ihr aufklang, und drehte sich um.
»Hatte ich nicht vorausgesagt, daß man Euch am Hof des Königs wiedersehen würde? Habt Ihr auch ein Lächeln für einen alten Freund übrig?«
Sie streckte dem Neuangekommenen beide Hände entgegen und kämpfte gegen das Verlangen an, sich ihm an den Hals zu werfen.
»Bernard der Jüngere!« sagte sie liebevoll. »Wie gut, Euch wiederzusehen! Ihr habt uns also nicht vergessen?«
»Ich vergesse meine Freunde nie«, erwiderte Bernard d'Armagnac mit plötzlichem Ernst, »besonders nicht, wenn sie Euren Namen tragen. Kommt mit …«
Er hatte sie am Arm genommen und zog sie beiseite. Man machte ihnen Platz. Die Gruppen formierten sich um den König und die Königinnen, das Hofleben nahm wieder seinen Gang, während man darauf wartete, daß zum Souper geblasen wurde. Cathérine, von nun an zugelassen, war in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Neben ihm gehend, betrachtete Cathérine prüfend das faunhafte Gesicht des Grafen de Pardiac. Dieses braune Gesicht mit den grünen Augen und den spitzen Ohren, fein und durchgeistigt, erinnerte sie an die grausamen und zärtlichen Stunden von Montsalvy. Bernard hatte sie vor dem Tod gerettet, Arnaud und sie, hatte ihnen in Carlat Zuflucht gewährt. Ohne ihn – weiß Gott, was aus ihnen geworden wäre! …
In einer Fensternische angelangt, blieb Bernard stehen, blickte Cathérine ins Gesicht und fragte plötzlich ernst:
»Wo ist er? Was ist aus ihm geworden?«
Sie erbleichte und sah ihn mit verstörter Miene an.
»Arnaud? Aber … wißt Ihr es denn nicht? Er ist nicht mehr …«
»Das glaube ich nicht!« erwiderte er mit einer heftigen Bewegung, die das unheilvolle, einen Augenblick heraufbeschworene Bild verscheuchte. »In Cariât haben sich Dinge ereignet, die ich nicht verstehe. Hugh Kennedy, den ich gesprochen habe, ist stumm wie ein Fisch, und jeder hier schwört, Arnaud sei tot. Aber ich, ich bin vom Gegenteil überzeugt. Sagt mir die Wahrheit, Cathérine, Ihr schuldet sie mir!«
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