Die junge Frau, die sich bis dahin im Schatten einer Säule gehalten hatte, trat ein paar Schritte vor, erschien im vollen Licht und hob kühn den Kopf, um dem Mönch direkt ins Gesicht zu blicken. Angst krampfte ihr Herz zusammen, als das einzige Auge Fray Ignacios sich auf sie richtete, aber sie hatte genügend Gewalt über sich, um nichts zu zeigen. Prüfend musterte sie dieses aus dem Nichts hervorgetretene Gesicht, mit einer wilden Gier auf ein Zucken, ein Anzeichen der Bestürzung, der Unruhe lauernd … Doch nein! Fray Ignacio neigte mit ernstem Anstand den Kopf, um die Frau zu grüßen, die in ein auf ihre Augen abgestimmtes veilchenblaues, durch einen Goldgürtel über einem weißen Seidenrock geschürztes Samtgewand gekleidet war.

Nichts in seinem verschlossenen Gesicht deutete das geringste Anzeichen eines Erkennens an.

»Nun?« sagte Don Alonso ungeduldig. »Zeigt ihm den Smaragd …«

Sie hob die schmale Hand in dem weißseidenen, goldverschnürten Ärmel, der ihre Finger zum Teil bedeckte, und hielt den Ring ins Licht, aber ihr Blick blieb fest auf dem Mönch haften. Ohne Erregung ergriff dieser die ihm dargebotene Hand, um den Stein zu prüfen. Seine Finger kamen ihr trocken und warm vor. Bei ihrer Berührung begann Cathérine zu zittern. Fray Ignacio warf ihr einen fragenden Blick zu, machte sich aber sofort wieder an die Prüfung des Steins, die günstig ausgefallen sein mußte, denn er schüttelte mit einer Bewunderung den Kopf, die in ihrem Übermaß die nervöse Erbitterung Catherines noch steigerte. War dieser Mann denn stumm? Sie wollte seine Stimme hören.

»Man kann wohl sagen, daß dieser Smaragd, den Ihr für mangelhaft haltet, Fray Ignacio sehr gefällt«, meinte der Erzbischof lächelnd.

»Kann er nichts sagen?« fragte die junge Frau. »Oder ist dieser heilige Mönch stumm?«

»Durchaus nicht. Aber er spricht Eure Sprache nicht.«

Tatsächlich antwortete Fray Ignacio auf die Frage, die sein Herr ihm stellte, mit langsamer und ernster Stimme … mit einer Stimme, die ebensogut die Garins, durch die fremde Sprache oder absichtlich entstellt, oder die Stimme eines anderen sein konnte.

»Ich werde Euch meine Smaragde zeigen«, beeilte sich der Erzbischof zu sagen. »Sie kommen fast alle aus dem Dschebel Sikait und sind von großer Schönheit …«

Während er sich entfernte, um eine in der Mitte des Raums stehende Truhe zu öffnen, hielt Cathérine, mit Fray Ignacio alleingeblieben, mit der Frage, die ihr auf den Lippen brannte, nicht länger zurück.

»Garin«, sagte sie leise, »bist du es? Antworte mir, um Gottes willen! Denn du erkennst mich, nicht wahr?«

Der Mönch warf ihr einen überraschten Blick zu. Ein leises, trauriges Lächeln löste leicht seinen fest verschlossenen Mund. Langsam schüttelte er den Kopf …

»No comprendo …«, sagte er leise, um sich sofort wieder seinem Topas zuzuwenden. Cathérine trat heran, als wollte sie den riesigen Stein ebenfalls näher betrachten. Der Samt ihres Gewandes berührte den groben Wollstoff der Mönchskutte. Zorn stieg in ihr auf. Die Ähnlichkeit, selbst aus nächster Nähe, schrie zum Himmel. Sie hätte schwören können, daß dieser Mann Garin war … und dennoch … die Schwerfälligkeit seiner Gesten, auch die heisere Rauheit seiner Stimme machten sie unsicher.

»Sieh mich an«, bat sie ihn flehentlich, »tu nicht so, als erkenntest du mich nicht. So sehr habe ich mich nicht verändert. Du weißt genau, daß ich Cathérine bin.«

Aber von neuem schüttelte der rätselhafte Mönch den Kopf. Hinter sich hörte Cathérine die schöne, sonore Stimme Don Alonsos, der sie rief, die Steine zu bewundern, die er soeben ausgesucht hatte. Sie zögerte kurz, warf Fray Ignacio einen schnellen Blick zu. Ruhig legten seine Hände, deren Bewegungen durch kein Zittern beeinträchtigt wurden, den großen Topas auf den Samt einer kleinen Truhe zurück, die noch andere seiner Art barg. Er schien die junge Frau bereits vergessen zu haben.

Die Stunde, die Cathérine in dem Kellerraum verlebte, mußte bei ihr den Eindruck eines Wachtraums hervorrufen. Ohne sie wirklich zu sehen, betrachtete sie die Steine von verschiedenem Glanz und großer Schönheit, die ihr Gastgeber ihr zeigte, aber ihre ganze Aufmerksamkeit galt der ernsten schwarzen Gestalt. Sie versuchte, eine Bewegung, einen Ausdruck, einen Blick zu erhaschen, die ihr vielleicht den Schlüssel zu diesem lebenden Rätsel hätten verschaffen können. Vergebens. Fray Ignacio hatte seine Arbeit wiederaufgenommen, als wäre er völlig allein. Er begnügte sich mit der gleichen kurzen Verneigung wie bei ihrem Eintritt, als Cathérine und Don Alonso die Schatzkammer verließen. Sie stiegen schweigend zu den Gemächern hinauf.

»Ich werde Euch in Euer Zimmer zurückführen«, sagte der Erzbischof liebenswürdig.

»Nein … bitte! Ich danke Euer Hoheit, aber ich möchte mich, bevor ich mit zurückziehe, noch nach dem Befinden meines Dieners erkundigen. Ich werde zu ihm gehen.« Sie wollte sich schon entfernen, besann sich aber eines Besseren und sagte: »Indes hätte ich gern etwas gewußt: Dieser Fray Ignacio scheint mir ein außerordentlicher Mensch zu sein. Ist er schon lange als Kustos all dieser Wunder tätig?«

»Sieben oder acht Jahre, glaube ich«, erwiderte Don Alonso ohne Mißtrauen. »Meine Leute haben ihn eines Tages Hungers sterbend auf der großen Landstraße gefunden. Er war von seinen Brüdern des navarresischen Klosters verjagt worden, wo er aus seinen seltsamen Praktiken einen Beruf gemacht hatte. Ich glaube, ich habe es Euch bereits erzählt: Man hielt ihn für einen Hexenmeister. Übrigens … ist er das nicht in gewissem Maße? Damals begab er sich nach Toledo, wo er sich in die Kabbala einführen lassen wollte. Aber all dies ist für Euch von geringem Interesse.

Ich verlasse Euch jetzt, Dame Cathérine, und begebe mich zur Ruhe. Ich fühle mich ziemlich erschöpft.«

Die Betrachtung seiner Schätze mußte die übliche Nervosität Don Alonsons noch verstärkt haben, denn bevor er sich entfernte, bemerkte Cathérine, daß sein Gesichtszucken ausgeprägter war als je.

Die letzten Worte des Prälaten hallten ihr im Kopf wider. Sie fuhr sich mit zitternder Hand über die feuchte Stirn … Sieben oder acht Jahre! … Es war zehn Jahre her, daß Garin gehenkt worden war. Hatte er sich dann durch ein Wunder in dieses navarresische Kloster retten können, aus dem er wegen Hexerei verjagt worden war? Oder hatte es das navarresische Kloster nie gegeben? Übrigens, dieser Vorwurf der Hexerei quälte sie. Garin liebte Edelsteine, und darin ähnelte er dem geheimnisvollen Mönch. Andererseits hatte Cathérine nie gesehen, daß er sich mit Alchimie beschäftigt hätte. Er hatte für alles mögliche Interesse, gewiß, aber es hatte in dem Haus der Rue de la Parcheminerie kein Laboratorium gegeben, auch nicht in Brazey. Mußte man daraus schließen, daß er sich verborgen hatte, um sich seinen geheimen Forschungen zu widmen? … Oder daß er nach dem Zusammenbruch seines Vermögens Geschmack daran bekommen hatte? Den märchenhaften Stein der Weisen zu finden – welche Verlockung für einen von allem entblößten Mann!

Jäh riß Cathérine sich aus ihrer Träumerei. Ohne weitere Überlegung wandte sie sich dem Hauptturm zu und tat so, als bemerke sie Tomas nicht, der plötzlich im Hof aufgetaucht war. Seit ihrer Ankunft begegnete sie dauernd diesem unheimlichen Pagen. Er tauchte auf ihrem Wege auf, wenn sie in die Kapelle, zum Hauptturm oder in jeden anderen Schloßteil ging, ohne daß sie jemals sein Nahen voraussehen konnte. Er richtete das Wort nie an sie, begnügte sich damit, sie mit Augen anzusehen, in denen sich Zorn und Begehrlichkeit die Waage hielten, doch nur von fern, ohne sich zu nähern. Cathérine, die diese lange Gestalt mit Unbehagen erfüllte, gab sich den Anschein, seine Gegenwart nie zu bemerken. An diesem Abend tat sie dasselbe und stieg, ohne anzuhalten, zu Gauthiers Zimmer hinauf.

Der Normanne erholte sich schnell von der Operation, die Hamza an ihm vorgenommen hatte. Seine außergewöhnliche Konstitution in Verbindung mit der peinlichsten Sauberkeit, mit der sein Arzt ihn umgab, dazu die ausgezeichnete Verpflegung, die im Schloß verabfolgt wurde, hatten ihn alle Gefahren überstehen lassen, die solche Eingriffe so oft tödlich ausgehen ließen. Leider jedoch schien der Riese das Gedächtnis verloren zu haben.

Gewiß hatte er die Klarsicht wiedergefunden, das völlige Erkennen dessen, was um ihn vorging, und sein Bewußtsein war wiederhergestellt. Aber an all das, was vor der Minute, in der er die Augen im Turmgemach aufgeschlagen hatte, vor sich gegangen war, hatte er keinerlei Erinnerung. Nicht einmal an seinen Namen konnte er sich erinnern, und über diesen Tatbestand geriet Cathérine in Verzweiflung. Als der maurische Arzt ihr mitgeteilt hatte, Gauthier habe das Bewußtsein wiedererlangt, war sie sofort zu ihm geeilt, doch als sie sich über das Bett gebeugt hatte, war sie von grausamem Schmerz heimgesucht worden. Der Riese hatte sie mit bewundernden Augen angeblickt, als sei sie eine Erscheinung, aber nichts hatte angedeutet, daß er sie wiedererkannte. Darauf hatte sie zu ihm gesprochen, hatte ihren Namen genannt, hatte wiederholt, daß sie Cathérine sei, die er doch wiedererkennen müsse … doch Gauthier hatte nur den Kopf geschüttelt.

»Verzeiht mir, Dame«, hatte er gemurmelt. »Gewiß, Ihr seid schön wie das Licht … aber ich weiß nicht, wer Ihr seid. Ich weiß nicht einmal, wer ich bin«, hatte er traurig hinzugefügt. »Du heißt Gauthier Malencontre. Du bist mein Diener und mein Freund … Hast du denn alles von früher vergessen, alle unsere Mühseligkeiten, Montsalvy … Michel? Sara … und Messire Arnaud?«

Beim Namen ihres Gatten erstickte ein Schluchzen ihre Stimme, aber in dem dumpfen Blick des Riesen blitzte kein Licht auf. Wieder hatte er den Kopf geschüttelt.

»Nein … ich erinnere mich an nichts.«