Gegen Mitternacht jedoch schien es ihr, als ob sich etwas Seltsames ereignete. Sie glaubte, die Tür der Kammer knarren zu hören. Sie richtete sich auf, horchte einen Augenblick und machte Gauthier ein Zeichen, sich still zu verhalten. Die Kerzen waren fast heruntergebrannt, gaben jedoch noch Licht genug, um erkennen zu lassen, daß die Tür sich nicht bewegte. Sonst war kein Geräusch zu hören … Da dachte Cathérine, sie sei das Opfer einer Täuschung gewesen, vergaß die Tür und wandte sich wieder ihrem Geliebten zu …
Der Morgen dämmerte beinah, als Gauthier endlich einschlief. Er sank in schweren, tiefen Schlaf und erfüllte den Turm mit einem sonoren Schnarchen, das Cathérine zum Lächeln brachte. Das waren die wahren Siegesfanfaren! Einen Augenblick betrachtete sie den Schlafenden; friedlich, gelöst, mit weichen, halbgeöffneten Lippen lag er da. Sein mächtiger, quer über dem zerwühlten Bett ruhender Leib hatte etwas Kindliches. Sie empfand tiefe Zärtlichkeit für ihn. Die Liebe, die er ihr geschenkt hatte, war, wie sie wußte, selten. Gauthier liebte sie um ihrer selbst willen, ohne etwas für sich zu beanspruchen, und diese Liebe erwärmte wieder ihr erstarrtes Herz.
Sie beugte sich über den Schläfer und küßte sacht die geschlossenen Lider. Dann zog sie sich hastig an, denn sie wollte noch vor Tagesanbruch wieder in ihrem Gemach sein. Es war nicht einfach, sich anzuziehen – die durchgeschnittenen Verschnürungen ihres Gewandes machten es ihr schwer –, aber es gelang ihr schließlich doch, sie mehr schlecht als recht zusammenzuknüpfen. Nachdem sie fertig war, glitt sie hinaus, lief auf Strümpfen die Steintreppe hinunter, um im Hauptturm keinen Widerhall zu erzeugen. Der Himmel über dem Schloß begann sich blaß zu verfärben. In den Gängen und Fluren brannten die Fackeln rauchend aus. Auf ihre Piken gestützt, nickten die Wachtposten hin und wieder ein. Cathérine gelangte in ihr Gemach, ohne einer lebenden Seele zu begegnen. Ihr Gewand wegwerfend, das sie mit beiden Händen an sich gedrückt hatte, sank die junge Frau mit einem wollüstigen Seufzer auf die frischen Laken ihres Bettes.
Sie fühlte sich müde, wie gerädert durch die leidenschaftliche Nacht, die sie durchlebt hatte, gleichzeitig aber merkwürdigerweise befreit von ihren Phantomen und beinahe glücklich. Gewiß, es war nicht das berauschende Aufgehen im Nichts, das nur Arnaud ihr geben konnte. In den Armen des einzigen Mannes, den sie jemals wirklich geliebt hatte, vergaß sich Cathérine, löste sich in Glück auf, gab jede Eigenpersönlichkeit auf, jeden Willen, um mit ihm ein Fleisch, ein Herz zu werden. Aber in dieser Nacht hatten die tiefe Zärtlichkeit, die sie für Gauthier empfand, ihr glühender Wunsch, seinen Geist dem gefährlichen Nebel des Wahnsinns zu entreißen, und der schmerzhafte Hunger ihrer Sinne die Leidenschaft vollkommen ersetzt. Sie hatte entdeckt, welche Befriedigung des Körpers und der Seele die Liebe eines feurigen und ehrlich verliebten Mannes geben konnte. Selbst das irritierende Problem, das Fray Ignacio darstellte, verkleinerte sich, wurde irgendwie weniger undurchsichtig …
Und was die kommenden Tage bringen würden, zu welcher Veränderung in ihrem Dasein ihre neuen Beziehungen zu Gauthier führen würden, darüber nachzudenken, weigerte sich Cathérine. Jedenfalls jetzt … Später … Morgen … Augenblicklich war sie müde, so müde! … Sie hatte nur Lust zu schlafen. Die Augen fielen ihr zu, und sie versank in ein glückliches Nichts.
Das leichte Streichen einer Hand über ihren Leib und ihre Schenkel weckte sie plötzlich. Es war noch sehr früh. Die Dämmerung brach gerade erst an. Trotz ihres verschlafenen Blicks entdeckte Cathérine sofort eine neben ihr auf dem Bett sitzende Gestalt, aber sie erkannte ihren Besucher nicht sogleich, weil sie noch im Halbschlaf war. Die morgendliche Kühle und das langsame Streichen der Hand, die sie unaufhörlich liebkoste, brachten sie jäh zu vollem Bewußtsein. Die Laken und Decken waren zurückgeschlagen und entblößten die fröstelnde junge Frau völlig. Im selben Augenblick bewegte sich die Gestalt, neigte sich über sie. Mit vor Grauen aufgerissenen Augen sah Cathérine endlich, daß es Tomas von Torquemada war, doch sie hatte Mühe, ihn zu erkennen, so dämonisch sah er aus. Die Augen waren unmäßig groß, seine Kinnbacken mahlten, er fletschte die Zähne, und in seinen Mundwinkeln hatte sich leichter Schaum gebildet … Entsetzt wollte sie schreien. Aber eine brutale Hand verschloß ihr den Mund. Sie versuchte, sie zurückzustoßen – vergebens. Eine Klaue griff nach ihrer Brust, ein heftiger Kniestoß zwang ihre Beine auseinander, während ein nackter Körper, mit kaltem Schweiß bedeckt und säuerlich riechend, sich auf sie warf.
Von Ekel gepackt, wand sie sich unter dem Jungen. Er gab ihr eine so heftige Ohrfeige, daß sie aufstöhnte. Er lachte leise. »Mach keine Geschichten, Hure! … Ich habe dich heute nacht gesehen, im Turm, mit deinem Diener! … Ah, du hast dich mit vollem Herzen hingegeben, liederliches Frauenzimmer! Die Männer, darauf verstehst du dich, was, Unzüchtige? Los, los, zeig mir, was du kannst! … Jetzt bin ich dran … Umarme mich, Dirne!«
Er unterbrach seine Beleidigungen durch feuchte Küsse, die Cathérine anwiderten, und dumpfes Wimmern, das fast ebenso abstoßend war. Er hielt die junge Frau mit nervöser, eisenharter Faust, versuchte aber wie wahnsinnig, sein Opfer zu besitzen, ohne daß es ihm gelang. Unter der knochigen Hand, die sich auf ihre Lippen preßte, glaubte Cathérine zu ersticken.
Sie dachte nicht mehr, war einzig von dem Instinkt getrieben, diese feuchte Scheußlichkeit, diesen ekelhaften, quälenden Traum abzuschütteln. Der wollüstige Dämon, der den Jungen beherrschte, war das Schlimmste, was sie je kennengelernt hatte. Nicht einmal Gilles de Rais war in dieser Hinsicht so abstoßend gewesen.
Einen Augenblick ließ der Druck der Hand auf ihrem Mund leicht nach. Sie machte es sich zunutze und biß derart wild zu, daß Tomas aufschrie und instinktiv die Hand zurückzog. Dann schrie sie mit aller Kraft, mit dem ganzen Instinkt eines Tieres in Gefahr … Er schlug auf sie ein, ohne sie zum Schweigen zu bringen, brüllte jetzt ebenso laut wie sie, von rasendem Haß hingerissen. Halb betäubt, hörte Cathérine kaum, daß heftig an ihre Tür getrommelt wurde, daß dröhnende Stöße gegen die Füllung krachten, daß Bretter und Eisenbeschläge polternd auf die Fliesen fielen. Sie sah noch Josse im ersten Sonnenstrahl auftauchen, mit einer Bohle bewaffnet, die er zum Aufbrechen der von Tomas verriegelten Tür benutzt haben mußte.
Der einstige Landstreicher stürzte sich auf das Bett, packte Tomas und schickte sich an, ihn gehörig zu verprügeln. Schnell unter die zerwühlten Bettdecken schlüpfend, schloß Cathérine die Augen, um nichts mehr zu sehen, konnte jedoch nicht umhin, das dumpfe Geräusch von Josses Fäusten auf dem Fleisch des Pagen zu hören, während er ihn mit der phantastischen Sammlung von Schimpfworten aus der Pariser Gosse überschüttete.
Ein letzter Fausthieb, ein letzter Fußtritt in den mageren Hintern des jungen Satyrs, und Tomas, nackt wie am Tage seiner Geburt, wurde wie ein Paket in den Gang hinausgeworfen. Kaum war er dort auf dem Boden gelandet, rappelte er sich auf und rannte eiligst davon, während Josse schimpfend die beiden kleinen Dienerinnen hinter einem Anrichtetisch hervorzog, hinter den sie sich zu Tode erschrocken geflüchtet hatten, als sie, angelockt durch den Lärm, erschienen waren. Er zeigte auf Cathérine, die sich in die Laken verkrochen hatte und nichts von sich sehen ließ als ihre noch immer entsetzten Augen.
»Kümmert euch um Dame Cathérine! Ich werde jetzt zum Seigneur Erzbischof gehen und ihm sagen, was ich von seinem kostbaren Pagen halte. Hat man je eine widerlichere Schweinerei gesehen? Geht's Euch einigermaßen gut, Dame Cathérine? Er schlug ja wie ein Wahnwitziger auf Euch ein, als ich dazwischenkam.«
Der friedfertige Ton des Parisers machte Cathérine Mut. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln.
»Ich muß von Kopf bis Fuß mit blauen Flecken bedeckt sein, aber es ist nichts Ernstliches. Danke, Josse. Ohne Euch … Mein Gott! Wenn ich daran denke! Ein so junger Bursche! Diesen Alpdruck werde ich lange nicht vergessen«, fügte sie, den Tränen nahe, hinzu.
»Die Jugend hat damit nichts zu tun. Ich habe den Eindruck, daß dieser Tomas von einem Dämon besessen ist. Man braucht ihn nur zweimal anzusehen, um zu verstehen, daß er das Pfaffentum im Blut hat … und die schlechten Keime des Lasters! Mir tut das Kloster jetzt schon leid, das er sich auswählt, und mir tut sogar Gott leid! Er wird an diesem Jungen einen schrecklichen Diener haben!«
Nachdenklich, mit gerunzelter Stirn, blieb Josse in der Mitte des Zimmers stehen und betrachtete, ohne sie eigentlich zu sehen, die Sonne, die jetzt in herrlichem Strahlenglanz aufging. Plötzlich murmelte er: »Der Junge hat seine Dresche bekommen, Dame Cathérine, aber es wäre besser, wenn wir nicht ewig hierblieben. Sobald Gauthier reisefähig ist …«
»Er ist es, glaube ich. Er hat sein Gedächtnis wiedergefunden.« Josse Rallard hob die Brauen und warf der jungen Frau einen offen überraschten Blick zu.
»Ist er wirklich geheilt? Als ich ihn gestern vor dem Abendgeläut besuchte, hatte sich sein Zustand noch nicht verändert.«
Cathérine, die von den beiden kleinen Dienerinnen auf wunde Stellen untersucht wurde, spürte, daß sie errötete. Sie wandte verlegen die Augen ab.
»Das Wunder ist heute nacht eingetreten«, sagte sie nur.
Es folgte eine kurze Stille, die Catherines Verwirrung vollständig machte.
»Ah, gut!« sagte Josse schließlich. »Dann können wir unsere Reise also so bald wie möglich fortsetzen.«
Und ruhig entfernte er sich und überließ Cathérine der Betreuung ihrer Dienerinnen.
Eine Stunde später ließ sich Don Alonso, außerordentlich verstimmt, bei Cathérine melden. Er schien nervöser, fieberhafter als je. Seine schönen Hände blieben keinen Augenblick ruhig, und selbst seine tiefe Stimme nahm gelegentlich einen scharfen, ungewöhnlich spitzen Ton an.
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