Er bot der jungen Frau redegewandte, oft wenig verständliche Entschuldigungen an, denen sie jedoch bald entnahm, daß er sich von Tomas trennen wollte.
»Dieser peinliche Zwischenfall hat den Ausschlag gegeben, meine Freundin. Morgen wird der Taugenichts zum Dominikanerkloster von Segovia aufbrechen, da er nun einmal so sehnlichst dorthin will, und möge es den guten Brüdern wohl bekommen! Ich wünsche ihnen viel Vergnügen.«
»Auch ich, Euer Ehrwürden, werde morgen abreisen, wenn Ihr gestattet.«
»Wie? Schon? Aber Euer Diener?«
»Ist vollkommen in der Lage, die Reise mit uns fortzusetzen. Ich bin Monseigneur sehr zu Dank verpflichtet, Eurer Güte, Eurer Großmut …«
»Aber, aber! Laßt das doch …«
Einen Augenblick musterte er die junge Frau. Auf einem hochlehnigen, steifen Kirchenstuhl sitzend, ganz in schwarzen Samt gekleidet, der, hochgeschlossen, ihren Hals bis zum Kinn und die Hände bis zu den Fingern bedeckte, war sie der Inbegriff von Würde und Huld in Person.
Er lächelte sie väterlich an.
»Nun gut, fliegt weiter, schöner Vogel! Aber ich werde Euch vermissen! Ja, ich werde Euch vermissen. Eure Gegenwart brachte Sonne in dieses düstre Schloß. Nun ja, so ist das Leben! Ich werde mich um die Vorbereitungen Eurer Abreise kümmern.«
»Monseigneur«, sagte Cathérine beschämt, »Ihr seid zu gütig!«
»Das hat nichts mit Güte zu tun«, entgegnete Don Alonso lachend, »Ihr wißt wohl, daß ich ein alter Ästhet bin, einzig und allein in Schönheit und Harmonie verliebt. Wenn ich daran denke, daß eine Frau wie Ihr in einem schlechten, mit Stroh gefüllten Karren reist, dann bekomme ich eine Gänsehaut. Ihr wollt mich doch nicht mein Leben lang zu Gewissensbissen und schlechten Träumen verdammen?«
Als einzige Antwort sank Cathérine auf die Knie und küßte respektvoll den Ring des Erzbischofs. Eine Welle der Bewegung glitt rasch über das dunkle Gesicht Fonsecas. Schnell erteilte er den priesterlichen Segen und legte dann die Hand auf das gesenkte Haupt.
»Ich weiß nicht, welches Euer genaues Reiseziel ist, meine Tochter, und ich frage Euch auch nicht danach. Aber eine Eingebung sagt mir, daß Ihr der Gefahr entgegengeht. Bedenkt, wenn die Prüfungen, die Euch erwarten, zu schwer sein sollten, daß Ihr hier einen Freund und eine Zuflucht habt. Der eine wie die andere werden Euch jederzeit väterlich aufnehmen«, schloß er, sich laut schneuzend, um seine Bewegung zu verbergen.
Und während er sich mit rauschenden Gewändern entfernte, verkündete Seine Hoheit, der Erzbischof von Sevilla, er werde jetzt seine Befehle geben, und untersagte der jungen Frau, sich in irgend etwas, das mit ihrer Abreise zu tun habe, einzumischen … Er verabredete sich mit ihr nur zur Mahlzeit zwei Stunden später.
Kaum war er verschwunden, als Cathérine hastig in den Hauptturm ging. Sie hatte Eile, Gauthier wiederzusehen, etwas enttäuscht darüber, daß er sich noch nicht aufgemacht hatte, sie zu suchen. Mit beiden Händen hob sie ihr Gewandt, stieg mit flinken Schritten die beschwerliche Treppe empor, stieß die nicht verschlossene Tür auf und stand vor ihrem Freund. Er saß auf dem Bett, den Kopf in den Händen, das Gesicht in den Handflächen verborgen, und man konnte unmöglich wissen, ob er in Gedanken versunken war, ob er schlief oder vielleicht sogar weinte. Seine Haltung verriet so viel Niedergeschlagenheit, daß Cathérine bestürzt war. Sie hatte gehofft, Gauthier glücklich vorzufinden, völlig ganz er selbst geworden und noch von Freude erfüllt über die vergangene Nacht. Aber augenscheinlich war es nicht so. Sie hatte sich auf alles, nur nicht auf dies gefaßt gemacht …
Flink kniete sie vor dem Riesen nieder und nahm seine großen Hände in die ihren. Sie waren feucht.
»Gauthier!« flüsterte sie erschüttert. »Was hast du denn?«
Er hob sein verweintes Gesicht, und in seinen grauen Augen lagen Ungläubigkeit und Verzweiflung zugleich. Er sah sie an, als sei sie nicht ganz wirklich.
»Mein Gott!« stammelte sie, ebenfalls dem Weinen nahe. »Du hast mir aber Angst gemacht!«
»Also«, murmelte er langsam, »war es doch kein Traum! Ihr seid es wirklich … ich habe nicht geträumt!«
»Was?«
»Diese Nacht … diese unvorstellbare Nacht! Ich bin also meinem Fieberwahn nicht zum Opfer gefallen! Seit langem hat sich soviel Seltsames in meinem Kopf abgespielt … soviel Unklares! Am Ende weiß ich nicht mehr, was wirklich war und was Phantasterei.«
Cathérine stieß einen unmerklichen Erleichterungsseufzer aus. Sie hatte schon gefürchtet, die Krankheit sei wieder ausgebrochen. Ruhig, sanft und mit viel Zärtlichkeit in der Stimme sagte sie: »Nein. In dieser Nacht bist du wieder ganz du selbst geworden. Und … du bist auch mein Geliebter geworden«, fügte sie unumwunden hinzu.
Er packte sie an den Schultern, starrte prüfend in das hübsche Gesicht, das ihn betrachtete.
»Wieso? Wieso seid Ihr auf einmal in meine Arme gekommen? Was ist geschehen? Wie ist es dazu gekommen? Ich habe mich in Montsalvy von Euch verabschiedet und finde Euch hier wieder … Übrigens, wo sind wir?«
»In Coca, in Kastilien. Beim Erzbischof von Sevilla, Don Alonso de Fonseca.«
Er wiederholte wie in einem Traum: »In Coca … In Kastilien! Wie sind wir hierhergekommen? Ich werde ganz irre!«
»Woran erinnerst du dich noch genau?«
»Meine letzte Erinnerung ist ein Gefecht. Die Banditen des Waldes von Oca, die mich gefangengenommen hatten, sind von den Alguazils angegriffen worden. Die Soldaten haben geglaubt, ich sei auch ein Räuber. Dabei muß ich mich wohl gewehrt haben. Ich bin verwundet worden. Es war ein furchtbarer Hieb. Ich glaubte, der Kopf würde mir zerspringen. Und dann … nichts mehr! Doch … doch … Ich erinnere mich, Durst gehabt, gefroren zu haben … Die einzige Erinnerung, die mir verbleibt, ist an einen heftigen Wind, an einen unaufhörlichen Wind …«
»Der Käfig«, dachte Cathérine und hütete sich, dieses schreckliche Folterwerkzeug zu erwähnen. Doch mußte sie Gauthier trotzdem helfen, sein Gedächtnis vollständig zurückzugewinnen.
»Wie bist du diesen Banditen von Oca in die Hände gefallen?« fragte sie. »Ein florentinischer Minnesänger, den du auf der Straße von Roncevaux getroffen hattest, hat mir erzählt, er habe dich in die Hände der navarresischen Bergbewohner fallen sehen. Er hat gesehen, wie sie deinen Leib in eine bodenlose Schlucht stürzten … und – warum soll ich es dir verheimlichen? – ich hielt dich deshalb für tot!«
»Ich habe es auch geglaubt. Ich war verwundet. Sie sind über mich hergefallen wie ein Wespenschwarm. Darauf zogen sie mich splitternackt aus und warfen mich in die Schlucht. Normalerweise hätte ich mir das Kreuz brechen müssen, aber die Götter haben mich beschützt. Ein Bäumchen hat meinen Fall aufgehalten, und als die Kälte mich wieder belebte, fand ich mich in seinen Ästen hängend vor, eine sehr schlechte Lage allerdings. Ich zitterte vor Kälte, ohne einen Fetzen auf dem Leib, und die Nacht brach an. Ich fühlte mich so schwach wie ein Kind, aber ich wollte leben. Trotz meines Blutverlustes konnte ich denken. Sollte ich wieder zum Saumpfad hinaufsteigen? Das war gefährlich: erstens wegen meiner Schwäche, die den Aufstieg fast unmöglich machte, und dann wegen meiner Angreifer. Wer konnte sagen, ob sie sich nicht noch immer auf dem Weg postiert hatten, um von der nahenden Dunkelheit überraschten Reisenden aufzulauern? Diesmal würden sie mich töten, bevor sie mich in die Schlucht würfen …
So weit war ich in meinen Überlegungen gekommen, als ich im Tal unter mir einige Feuer aufflammen sah. Das machte mir Mut. Ich dachte, es handle sich zweifellos um Schäfer oder Holzfäller, stieg langsam, mich am Felsen und Brombeersträucher klammernd, hinab. Ich kann Euch nicht sagen, wie lange dieser Abstieg dauerte, es wäre mir völlig unmöglich! Bald hatte ich nichts mehr, woran ich mich halten konnte, als die roten Flammen. Wie ich unten angekommen bin, ohne mir sämtliche Knochen zu brechen, ist mir heute noch rätselhaft …«
»Und«, fragte Cathérine, »die Schäfer haben dich aufgenommen und gepflegt?«
»Aufgenommen, ja, gepflegt, auch … aber es waren keine Schäfer!«
»Was denn?«
»Die Männer eines Raubritters, der die Gegend heimsucht – des Seigneurs Vivien d'Aigremont.«
Cathérine runzelte die Stirn. Diesen Namen hatte sie schon gehört, von Schreckensrufen der Klosterbrüder von Roncevaux und der Bauern von Saint-Jean-Pied-de-Port begleitet.
»Wie hast du dich aus der Affäre gezogen?«
»Genaugenommen, habe ich mich nicht aus der Affäre gezogen. Dieser Vivien d'Aigremont ist ein wildes Tier, einer dieser großen Raubvögel mit stets blutigen Krallen. Er hat mich nur aufgenommen, weil ich ihm einen Handelswert zu besitzen schien. Man hat mich gepflegt, gewiß, aber auch in Ketten gelegt, sobald ich kräftig genug war, sie zu tragen. So führte man mich nach Pamplona, wo das Raubtier mich als Sklaven verkauft hat, sehr teuer, glaubt mir! Ich bin eine respektable Summe Taler wert«, fügte Gauthier mit bitterer Ironie hinzu. »Der Bischof der Stadt hat mich gekauft, ich sollte seinen Hundezwinger versorgen. Die großen Doggen dort waren blutrünstig, weniger allerdings als ihr Herr. An dem Tag, an dem ihnen ein junger, lebender Knabe zum Fraß vorgeworfen wurde, bin ich, nicht ohne Mühe, geflohen. Mich trieb die Furcht, wieder eingefangen zu werden, denn ich wußte, was mir dann blühte: Mein Los wäre dasselbe gewesen wie das des unglücklichen Kindes. Aber ich kannte das Land und seine verfluchte Sprache nicht. Ein Mann, den ich traf und der mich verstand, hat mein Verderben besiegelt: Es war einer der Banditen von Oca. Er brachte mich zu seinen Brüdern. Ich habe nur die Ketten gewechselt … und den Hundezwinger. Noch einmal schmiedete ich Fluchtpläne, als die Alguazils kamen. Wegen meiner Größe haben sie mich zweifellos für den Anführer gehalten. Übrigens, wie hätte ich verstehen sollen, was sie sagten? Ich bin grün und blau geschlagen und gefangengenommen worden. Das Folgende kennt Ihr wahrscheinlich besser als ich.«
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