»Gewiß, ich kenne es.«

Zart strich Cathérine mit der Hand über die rauhe Wange des Normannen.

»Du hast furchtbar gelitten, Gauthier, aber, siehst du, ich war immer überzeugt, daß der Tod dir nichts anhaben könne: Du bist unzerstörbar … wie die Erde selbst!«

»Die Erde kann beben, sich aufbäumen; ich bin nur ein Mensch wie alle anderen.«

Doch als Catherines Hand zögernd auf seinem Gesicht verharrte, schob er sie sanft fort und sagte:

»Und jetzt zu Euch, Dame Cathérine! Wenn Ihr wollt, daß ich begreife, müßt Ihr mir … alles sagen, versteht Ihr?«

Sie wich zurück, die Augen plötzlich gesenkt, straffte sich und setzte sich auf eine Bank neben dem Fenster. Ohnehin hatte sie nie daran gedacht, einer Erklärung auszuweichen. Hatte sie in dieser Nacht, auf der Höhe ihrer sinnlichen Narrheit, ihm nicht versprochen: »Morgen werde ich dir alles sagen?«

»Du sollst alles erfahren. Ich hatte nicht die Absicht, dir die kleinste Tatsache zu verheimlichen. Der florentinische Minnesänger kam also zu uns und erzählte mir, er habe dich zugrunde gehen sehen …«

Der Bericht dauerte lange. Cathérine sprach langsam, unaufhörlich überlegend, was sie sagen wollte, um nichts zu vergessen. Sie ersparte ihm keine Einzelheit. Alles, was geschehen war: die Flucht von Montsalvy, die Wallfahrt zur Jungfrau von Puy, der Aufbruch mit den Pilgern, das Zusammentreffen mit Ermengarde de Châteauvillain und Josse Rallard, der Diebstahl der Rubine von Sainte-Foy, die Ankunft Jan van Eycks und der Brief des Herzogs von Burgund, die boshaften vertraulichen Mitteilungen Fortunats, die Flucht aus Roncevaux mit Josse, schließlich seine, Gauthiers, Rettung in Burgos und ihre gemeinsame Ankunft im roten Schloß des Erzbischofs Fonseca.

Gauthier unterbrach sie kein einziges Mal. Aber auch keinen Augenblick schweifte sein aufmerksamer Blick von ihr ab. Man hätte meinen können, er wollte sich vergewissern, ob sich die gesprochenen Worte in Übereinstimmung mit den Gedanken der jungen Frau befanden.

Als sie geendet hatte, stieß er nur einen tiefen Seufzer aus, stand auf, ging zum Fenster und stellte einen Fuß auf die Eckbank der Nische.

»Also«, sagte er langsam, »Messire Arnaud ist Gefangener der Mauren!«

Sofort überschwemmte zornige Eifersucht Cathérine wie eine bittere Woge.

»Gefangener aus eigenem Wunsch! Habe ich dir nicht erzählt, daß er dieser Frau aus eigenem Antrieb gefolgt ist? Habe ich dir die Worte Fortunats nicht berichtet? Die Ungläubige ist schöner als der Tag, hat er gesagt, und mein Gatte hat sich auf den ersten Blick in sie verliebt.«

»Und das habt Ihr geglaubt? Ihr, eine intelligente Frau? Ruft Euch die fanatische Anhänglichkeit Fortunats an seinen Herrn zurück! Erinnert Euch an die Besuche, die er jede Woche der Krankenstation von Calves machte, und das die ganze Zeit! Und Ihr wußtet nicht, da Ihr nicht da wart, wie groß seine Wut, sein Zorn waren, als der Seigneur de Brézé kam, als jeder glaubte, Ihr würdet wieder heiraten! Nie habe ich solche gehässigen Zornesausrufe, solche giftigen Schwüre gehört, daß Ihr für diesen Verrat zu bezahlen haben würdet. Fortunat haßte Euch, Dame Cathérine. Er hätte sonst etwas gesagt, um Euch zu kränken!«

»Darin hätte er nicht gelogen! Hat er nicht geschworen, verstehst du, hat er nicht bei seinem Seelenheil geschworen, daß Messire Arnaud im Palast seiner Prinzessin die Liebe erfuhr? Wer würde nur aus Haß bereit sein, einen Meineid zu leisten?«

»Mehr Leute, als Ihr glaubt! Auf jeden Fall ist es möglich, daß Messire Arnaud die Liebe da unten erfährt. Aber woher wißt Ihr, daß er sie erwidert? Im übrigen …«

Und Gauthier fuhr herum, blickte Cathérine scharf an, hoch über ihr aufragend. »Ihr wärt nicht aufgebrochen, Dame Cathérine, hättet diese verrückte Reise nicht unternommen, wenn Ihr nicht noch hofftet. Ihr wärt nach Montsalvy zurückgekehrt, vielleicht an den Hof König Karls, wo der Seigneur de Brézé Euch mit offenen Armen empfangen hätte … sofern Ihr Euch nicht der Liebe des Großherzogs des Abendlandes erinnert hättet. Eine Frau wie Ihr gibt sich nie geschlagen, das weiß ich besser als irgendeiner. Und daß Ihr glaubtet, Messire Arnaud sei Euch für immer verloren, das könnt Ihr anderen erzählen, Dame Cathérine! Ich werde das nie schlucken!«

»Bist du ganz sicher, daß ich ihm nicht nur seinen Verrat vorwerfen will? Mich an seiner Verwirrung weiden will, wenn ich ihn, einen Christen, einen Hauptmann des Königs, zu Füßen einer Mulattin gurren sehe, und daß ich dann …«

Jäh wurde Gauthier rot vor Zorn.

»Haltet mich nicht für einen Schafskopf, Dame Cathérine! Ihr wolltet einzig und allein dorthin reisen, um Eurem Gatten eine Szene zu machen?«

»Und warum nicht?«

Auf den Zehenspitzen stehend, mit verschränkten Armen, das Köpfchen hoch erhoben, sah sie wie ein junger Hahn in Kampfstellung aus. Zum erstenmal standen sie und der, der sie in der vergangenen Nacht so leidenschaftlich besessen hatte, sich wie Feinde gegenüber.

»Weil es nicht wahr ist. Weil Ihr stets nur ihn geliebt habt, weil Ihr Euch vor Wut verzehrt, ihn in den Händen einer anderen zu wissen, und weil Ihr weder Rast noch Ruhe haben werdet, und müßtet Ihr die schlimmsten Qualen erleiden, bis Ihr ihn wiederhabt … zurückerobert habt!«

»Damit er seinen Verrat büße!«

»Mit welchem Recht? Wer hat denn zuerst verraten? Sollen wir wieder von Sire de Brézé anfangen? Wenn er Eure Schönheit in so feurigen Ausdrücken beschrieb, mußte er sie ja gut kennen. Wenn Ihr ihm nicht Hoffnungen gemacht hättet, hätte er sicher nicht angenommen, daß Ihr ihn heiraten würdet. Und er, der Verbannte, der Einsiedler von Calves, welche Qualen hat er wohl ausgestanden, als er die Nachricht erhielt? Denn Fortunat hat mit nichts hinter dem Berg gehalten, müßt Ihr wissen. Ich an seiner Stelle wäre entflohen, hätte Euch aus den Armen Eures schönen Ritters gerissen und Euch mit diesen meinen Händen getötet, ehe ich mich selbst gerichtet hätte!«

»Vielleicht, weil du mich liebst«, sagte Cathérine bitter. »Er dachte nicht wie du …«

»Weil er Euch noch mehr liebt! Mehr als sich selbst, weil er sein Leiden geringgeachtet hatte, um Euch ein neues Glück erleben zu lassen. Glaubt mir, die Flammen der Eifersucht, die Euch verzehren, sind nichts im Vergleich zu denen, die ihn in seiner furchtbaren Einsamkeit verzehrt haben müssen! Glaubt Ihr, ich kann das letzte Bild vergessen, das ich von ihm habe? Von diesem Gekreuzigten, der in die Sonne ging, beim Totengeläut, unter dem Jammern der Dudelsäcke, in den Händen eine andere Sonne?«

Bei der Erwähnung des grausamsten Tages ihres Lebens schlug Cathérine die Augen nieder, aus denen Tränen quollen. Sie schwankte.

»Schweig!« flehte sie. »Schweig, um der Barmherzigkeit willen!«

»Also«, sagte er in milderem Ton, »hört auf, mich an der Nase herumführen zu wollen. Hört auf, Euch selbst an der Nase herumzuführen! Warum versucht Ihr, uns beide zu belügen? Wegen dieser Nacht?«

Sie öffnete jäh die tränenglitzernden Augen.

»Vielleicht wegen dieser Nacht, jawohl! Vielleicht habe ich keine Lust mehr, nach Granada zu gehen!«

»Zweifellos gibt es Tage«, sagte Gauthier überdrüssig, »an denen Ihr mit Euch selbst kämpft, bald von der Eifersucht auf die Stadt getrieben, in der Euer Gatte lebt, bald von der Versuchung gepackt, aufzugeben, zu Eurem Kind, in die Ruhe und Sicherheit eines normalen Lebens zurückzukehren. Was sich aber letzte Nacht zugetragen hat, hat dem nichts hinzugefügt.«

»Warum sagst du das?«

»Weil ich es weiß. Letzte Nacht habt Ihr mir ein wunderbares Geschenk gemacht … unverhofft, aber Ihr habt es aus zwei Gründen getan: einmal aus Mitleid …«

»Gauthier!« protestierte Cathérine.

»Jawohl! Einmal aus Mitleid, weil Ihr mich unter allen Umständen heilen wolltet, aber auch aus Trotz. Ihr übtet damit eine Art Rache aus, und außerdem wolltet Ihr damit die Traumbilder weniger grausam machen, die Eure schlaflosen Nächte heimsuchen.«

»Nein!« sagte Cathérine mit tränenerstickter Stimme. »Das ist es nicht … jedenfalls nicht allein«, verbesserte sie sich. »In dieser Nacht bin ich glücklich gewesen, ich auch, ich schwöre es dir!«

Ein reizendes Lächeln entspannte das verzerrte Gesicht des Normannen.

»Vielen Dank! Ich glaube wahrhaftig, Ihr liebt mich, Dame Cathérine, aber –«, und sein Finger wies auf die Brust der jungen Frau, auf das große Goldkreuz mit Perlen, das der Erzbischof ihr persönlich vor einigen Tagen umgehängt hatte und das auf dem Samt ihres Gewandes funkelte, »– wagt bei dem Gott, den Ihr anbetet, zu schwören, daß Ihr ihn nicht liebt, ihn, Euren Gatten, Euren Herrn! Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr ihn lieben werdet, solange Euch ein Atemzug zum Leben bleibt!«

Diesmal antwortete die junge Frau nicht. Sie senkte den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf.

»Seht Ihr«, sagte Gauthier sanft. »Und von dieser verrückten, wunderbaren Nacht, deren Erinnerung ich bewahren werde, die zu vergessen ich Euch aber bitte, wollen wir nie wieder sprechen …«

»Du liebst mich also nicht mehr?« fragte Cathérine kleinlaut. Es folgte eine drückende Stille, dann sagte der Normanne mit harter, heiserer Stimme leise:

»Die Götter meiner Ahnen wissen, daß ich Euch nie mehr geliebt habe! Aber eben wegen dieser Liebe flehe ich Euch an zu vergessen. Wenn Ihr es nicht tut, wird mein Leben eine Hölle sein … und ich werde Euch verlassen müssen. Wir werden jetzt weiterziehen, werden uns auf den Weg machen, der uns ins Königreich Granada führen wird. Ich werde Euch helfen, Messire Arnaud wiederzufinden …«

»Es gibt einiges, was du noch nicht weißt. Vielleicht habe ich nicht mehr das Recht, Arnaud de Montsalvy als meinen Gatten anzusehen.«