Aber sie kamen vom Regen in die Traufe. Nach nutzlosen Geplänkeln an den Grenzen Granadas zog das Heer des Konnetabels von Kastilien, Alvaro de Luna, wieder gen Valladolid, und das durchquerte Land hatte für die schlechte Laune infolge eines ruhmlosen und verlustreichen Feldzugs hart zu büßen. Auf ihrem Durchzug brandschatzten und plünderten die Soldaten Lunas wie in einem eroberten Land. Das Volk der Sierra, das so arm war, daß es mitunter von dem seltenen, den ausgedörrten Ebenen abgerungenen Gras lebte, stob beim Herannahen der Soldateska in alle Winde auseinander wie Spatzen vor dem Sperber. Die drei Franzosen hatten es ihnen nachgetan. In der Nähe von Jaén hatten einige Späher der Vorhut sie festgenommen, doch dank der Riesenkräfte Gauthiers und der Schlauheit und Geschicklichkeit Josses waren sie entwischt, glücklich, sich nur unter Zurücklassen ihrer Pferde aus dem Staube machen zu können. Übrigens war, wie Josse bemerkte, die maurische Grenze nicht mehr weit, und auf jeden Fall hätte man auf die Pferde verzichten müssen, denn Bettler waren selten beritten. »Aber man hätte sie verkaufen können!« hatte Gauthier als guter Normanne eingewandt.
»An wen? Es gibt in diesem schönen Land keine Menschenseele, die genug Geld hätte, auch nur ein Eselchen zu kaufen! Die Erde ist zwar reich, aber Jahr um Jahr streitet man sich in dieser Ecke, so daß nicht einmal mehr Gras wächst. Entweder machen die Sarazenen Überfälle nach Norden, oder die Kastilier kommen herunter, in der Hoffnung, die Reconquista zu vollenden … aber für das Volk nach Jaén und Umgebung bleibt immer dasselbe Ergebnis: verbrannte Erde.«
Mutig hatten die drei Gefährten sich zu Fuß auf den Weg gemacht, auf den kaum begangenen Pfaden der Gebirgskette bei Nacht marschierend, sich tagsüber verbergend und sich nach den Sternen richtend, die für den Pariser Landstreicher wie für den Waldriesen der Normandie anscheinend keine Geheimnisse bargen. Die letzte Strecke ihrer Wanderung war hart und erschöpfend gewesen, aber Cathérine hielt tapfer durch. Dieses unbekannte, beim Einbruch der Nacht so blaue Firmament, diese Sterne, größer und funkelnder, als sie sie bislang gesehen hatte, all dies sagte ihr, daß sie sich endlich dem fremden, faszinierenden und gefährlichen Ort näherte, wo Arnaud lebte.
Der Weg, den sie entlangzogen, sprach von Krieg, Leid und Tod. Manchmal stolperten sie in der Dunkelheit über eine unter einem Dornstrauch verwesende Leiche, oder während einer Rastpause bei Tag klang der unheilkündende Schrei der Aasgeier am blauen Himmel. Die großen schwarzen Vögel kreisten gewichtig umher, um sich dann plötzlich wie ein Stein auf irgendeinen Punkt in der Landschaft herunterfallen zu lassen. Als Cathérine jedoch von der Höhe der ausgetrockneten Sierra in der von der Sonne eines wundervollen südlichen Tages bereits übergossenen Morgendämmerung die Pracht Granadas erblickte, war sie vor Bewunderung stehengeblieben. In seinen Gebirgsschrein gebettet wie in das Herz einer riesigen Muschel, deren Perlmuttglanz das Meer widerspiegelte, lag es als Juwel am Rande eines grüngoldenen Tales, das die schneebedeckten Gipfel einer Sierra umschlossen.
Zahllose Quellen entsprangen den Bergen, vereinigten sich zu klaren Sturzbächen und erfrischten dieses wunderbare Land, das in den Himmel zu wachsen schien, und als Opfergeschenk errichtet, erhob sich auf einem kantigen Vorgebirge aus roten Felsen der rötlichste, schillerndste aller maurischen Paläste. Eine hohe Mauer, bestückt mit viereckigen Türmen, umschloß liebevoll ein verlockendes Durcheinander von Blumen, Bäumen und Lusthäusern. Stellenweise erriet man das Glitzern von Springbrunnen, den Wasserspiegel der Becken. Und selbst die rauhen Ziegelsteine der Festungswälle, die nicht gerade besondere Schönheit ausstrahlten, schienen die Harmonie und dieses glückliche Tal, in dem sich Reichtum und Überfülle wie ein erstaunlicher Seidenteppich ausbreiteten, nicht stören zu können.
Um den bezaubernden Palast herum stieg die Stadt stufenweise die Hügel hinan. Schlanke weiße oder rote Minarette ragten neben den grünen oder goldenen Kuppeln der Moscheen in die blaue Luft. Paläste erhoben sich über den Häusern, aber höher als sie alle ragte das imposante Gebäude der islamischen Universität, im Wettstreit mit dem gewichtigen Bau des großen Hospitals, dem Maristan, ohne Zweifel dem zu dieser Stunde am besten ausgestatteten Krankenhaus Europas.
Es war die Stunde des Sonnenaufgangs, die Stunde, in der von jedem dieser Minarette die durchdringenden Stimmen der Muezzins erklangen und die Gläubigen zum Gebet riefen.
Der Gebirgspfad bildete an dieser Stelle eine Art Plattform, von der aus man einen Rundblick über das gesamte herrliche Land hatte. Cathérine setzte sich auf einen Felsbrocken ganz am Rand des Vorsprungs, und die beiden anderen, die ihre innere Bewegung errieten, traten beiseite, um sie mit ihren Gedanken allein zu lassen, und machten in einiger Entfernung an einer Wegbiegung Rast.
Cathérine konnte die Augen nicht von dem zu ihren Füßen ausgebreiteten fabelhaften Land wenden. Da unten lag das lang ersehnte Ziel ihrer irrsinnigen Reise, die sie gegen jede Vernunft angetreten hatte, und sie war zu Tränen gerührt, daß es so schön war. War dies nicht das Land der Träume und der Liebe? Und konnte man hier anders leben als in Freude und Glück?
Sie hatte sich abgemüht, hatte gelitten, gezagt, Tränen und Blut vergossen, aber sie war angekommen! Angekommen! Schluß mit den endlosen Wegen, mit Horizonten, die sich immer weiter ausgedehnt, sich immer abgelöst hatten. Ein Ende mit den nagenden Zweifeln der Nächte, in denen sie schlaflos gelegen und sich gefragt hatte, ob sie diesen Ort jemals erreichen würde, den sie manchmal in Minuten des Kleinmuts gar nicht für wirklich, sondern für eine fixe Idee gehalten hatte. Vor ihr war Granada, zu ihren Füßen liegend wie ein zärtliches Tier, und ihre Freude war so groß, daß sie einen Augenblick die Gefahren vergaß, die ihr vielleicht noch drohten. Arnaud war jetzt nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, und sein Wohnsitz mußte dieser fabelhafte, so wohl bewachte Palast sein.
Wohl bewacht? … Zu gut bewacht! Der Gedanke ernüchterte sie, nahm ihr die Freude. Diese traumhaften Gärten stießen an eine Festung. Unter ihren grünen Palmen, unter ihrem dichten Laubwerk und ihren Rosen waren Soldaten, waren Waffen. Und die Frau, die sie haßte, ohne sie zu kennen, mußte alle Möglichkeiten besitzen, sich zu verteidigen und ihre Beute zu hüten. Wie konnte man die Pforten des Palastes erreichen, wie konnte man eindringen? Wie konnte man Arnaud in diesem Gewirr von Gäßchen, in dieser verschwiegenen Welt finden? Es hätte einer Armee bedurft, um mit dieser Stadt fertig zu werden, und Cathérine wußte wohl, daß die Heere des grausamen Konnetabels von Kastilien sich schon seit Jahren die Zähne an ihr ausbissen. Niemand hatte je die Grenzen Granadas verletzt, der lange genug danach am Leben geblieben war, um sich dessen zu rühmen.
Weil es sie verlangte, gegen die der Freude des Triumphes so schnell folgende Entmutigung anzukämpfen, kniete Cathérine in den Staub nieder, faltete die Hände und schloß die Augen. Minutenlang betete sie so inbrünstig wie zu Füßen der fremden kleinen schwarzen Jungfrau von Puy, flehte den Himmel an, er möge sich endlich ihrer erbarmen und ihr den Gatten wiedergeben, der mit ihrem Kind ihr einziges Gut auf dieser Erde darstellte. »Du wirst nicht zulassen, Herr, daß ich endlich dieses ferne Gestade erreicht habe, nur, um mich in die Gefahren des Meeres zurückzustoßen. Du kannst nicht wollen, daß meine Schmerzen vergebens waren, daß ich nur hierhergekommen bin, um mein Herz und meine Liebe auf immer zu verlieren, denn du bist die Gerechtigkeit! Und selbst wenn ich oft deinen Zorn verdient habe, wirst du es nicht geschehen lassen, weil du auch die Barmherzigkeit bist und ich dich anflehe!«
Eine Hand rührte sanft an ihre Schulter, und die junge Frau hob die Augen. Sie sah Josse, der sich über sie beugte und sie behutsam aufzuheben versuchte.
»In aller Offenheit zu beten, Dame Cathérine, wie unvorsichtig von Euch! Vergeßt Ihr denn, daß wir uns im Land der Ungläubigen befinden? Es gibt hier, wie Ihr seht, kein einziges Gotteshaus, nichts als die Moscheen, wo diese Ungläubigen zu ihrem Gott beten. Steht schnell auf! Wenn Euch jemand sähe …«
Mit mehr Nachdruck als Sanftmut stellte er sie wieder auf die Füße. Sie lächelte ihn aus ihrer schwarzen Vermummung an. »Verzeiht! Ich hatte es tatsächlich vergessen. Alles ist hier so schön! Ist dieses Land nicht das Paradies selbst? Und das, Freund Josse, erschreckt mich. Wenn man inmitten solcher Pracht lebt, ist alles andere ausgelöscht. Man will nicht mehr weit von diesen Bergen atmen, von diesen frischen Wassern, diesen Gärten. Und wie könnte ich meinem Gatten, der nur die Schrecken einer Krankenstation kannte, bevor er unser Land verließ, ernstlich böse sein, wenn er sich weigerte, von hier fortzugehen?«
»Messire Arnaud ist nicht der Mann, der ein verweichlichtes Leben und Blumengärten liebt«, unterbrach sie Gauthier kurz angebunden. »Ich kann ihn mir schlecht als Lautenspieler oder in Samt und Seide gekleidet, den Duft der Rosen einatmend, vorstellen. Den Degen, das Panzerhemd, solche Dinge liebt er und noch mehr das rauhe Leben im Lager und auf den Landstraßen. Und was dieses sogenannte Paradies betrifft …«
»Ein drolliges Paradies!« meinte Josse spöttisch. »Dieser Palast, diese Palaststadt vielmehr, die man Alhambra … ›die Rote‹ … nennt, ähnelt tatsächlich einer Rose. Doch es sind grausame Dornen unter ihren duftenden Blütenblättern. Seht nur!«
Die magere Hand des Parisers hatte zuerst auf die Linie der Bergkämme gedeutet, die von kleinen Forts durchsetzt war, deren Mauern nichts Liebliches an sich hatten. Hier Blumen, da Bäume, deren grüne Wedel von dem nach Orangen duftenden Wind sanft bewegt wurden, dort rauschende Palmen, aber auf den Zinnen der dunkle Blitz des Stahls, die schimmernde Spitze weißbeturbanter maurischer Helme. Dann zeigte die Hand Josses wieder auf den doppelten Festungswall von Granada hinunter, deutete auf die Raben, die auf merkwürdigen runden Gebilden saßen. »Abgeschnittene Köpfe!« sagte er nur. »Wie reizend!« Und Cathérine schauderte, doch ihr Mut verließ sie nicht. Die Falle war verlockend mit Blumen geschmückt und zweifellos gefährlich, aber sie würde ihr ihr Geheimnis mit bloßen Händen und nur mit ihrer Liebe bewaffnet entreißen. »Gehen wir!« sagte sie nur.
"Cathérine und die Zeit der Liebe" отзывы
Отзывы читателей о книге "Cathérine und die Zeit der Liebe". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Cathérine und die Zeit der Liebe" друзьям в соцсетях.