Beate stellte »der Herrin vom Eulenhaus« ihren Besuch für die allernächste Zeit in Aussicht, »auch solch eine Ankunft auf eigenen Füßen, einen Marsch, der den Haushaltungsärger wieder einmal aus dem Blute jagt«. Gleich darauf wandte sich der Wagen und fuhr heimwärts.

Baron Lothar hatte kein Wort mehr gesprochen, aber er hatte sich mit einer tiefen Verbeugung von Klaudine verabschiedet und dem alten Gärtner ein freundliches Wort zugerufen.

»Sapperlot, alles was wahr ist! Ich bin kein Freund von den Neuhausschen – ganz und gar nicht, im Gegenteil! Sie haben mehr Glück als Verdienst, und die Altensteiner müssen vor ihnen die Segel streichen – leider Gottes!« sagte Heinemann, während er die Hand beschattend über die Augen hielt und dem fortbrausenden Wagen mit langem Halse nachsah. »Aber das muß ihm der Neid lassen, ein bildschöner Soldat ist und bleibt er, auch in dem müllergrauen Rock, dem simplen. Bin ja auch Soldat gewesen, Fräulein, und weiß die Herren Offiziere zu taxieren. Ich glaube, wenn der vor seiner Schwadron reitet, da halten sich die Kerls noch einmal so stramm und stolz auf ihren Pferden. Wie's freilich inwendig aussieht, das weiß man ja – viel Übermut und ein krasser Dünkel auf die vornehme Heirat; und wie es mit dem da steht –« er machte mit Daumen und Zeigefinger die Geste des Geldzählens und streifte mit einem ängstlich fragenden Seitenblick das Gesicht seiner jungen Herrin – »hm, da nimmt man wohl auch, wo es zu haben ist?«

Klaudine lächelte. »Sie können ruhig sein, Heinemann, der Fund bleibt in Ihren Händen, Sie können damit tun, was Ihnen beliebt.«

»Was? Wirklich? Sie nehmen nichts, die da drüben?« Er war nahe daran, einen Freudensprung zu machen. »Ein Stein ist mir vom Herzen, ein Zentnerstein! Mir war zuletzt himmelangst, bis Sie kamen! Na, das wäre überstanden, Gott sei Dank! Nun sollen Sie aber einmal sehen, was der alte Heinemann kann, gnädiges Fräulein! Dem Kerl da in der Stadt, dem reichen Bolz, dem die Bienenväter hierzulande nie Wachs genug schaffen können, dem will ich seine Sparpfennige aus dem Leibe pressen, daß er ach und wehe schreien soll! Wir können's brauchen, gnädiges Fräulein, können's gerade jetzt gut brauchen, wo wir gewiß manchmal vornehmen Besuch kriegen. Und da darf es doch nicht zu armselig im Hause sein, sind wir schon unserer guten gnädigen Frau in der Erde schuldig! Ich nehme morgen das gute Zinn gleich mit in die Stadt zum Zinngießer, es muß wieder einmal ein bißchen aufgefrischt werden. Einen neuen Sahnegießer zum Kaffeegeschirr brauchen wir auch, und wie wär's denn, wenn wir in die gute Stube neue Vorhänge kauften? Fräulein Lindenmeyer hat nach der letzten Wäsche um all ihr Leben gestopft und geflickt, und wenn sie das auch pikfein macht, da und dort sieht man's doch.«

»Aber, mein Gott, wozu denn das alles?« fragte Klaudine erstaunt. »Fräulein Beate –«

»Ach, wer spricht denn von der? Die flickt und stichelt ja selbst alle alten Lappen und Läppchen zusammen und hängt sie wieder an die Fenster, die ist gar häuslich und sparsam und spottet nicht über einen zugestopften Riß!« Ei zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach Fräulein Lindenmeyers Eckstube. »Da drin sitzt sie, die Dorfklatsche, die Försterin aus Oberlauter, die alle neuen Nachrichten brühwarm aus der Residenz kriegt und sie nachher im Stricksack von Haus zu Haus trägt, bis es altbackene Semmeln sind. Wenn wir näher ans Haus kommen, da werden Sie's riechen, gnädiges Fräulein – eitel Zimt und Vanille! Fräulein Lindenmeyer hat nämlich vor Freude über den raren Besuch Schokolade gekocht, eine steife Schokolade – der Löffel bleibt drin stecken! Und morgen wird unser altes Mamsellchen wieder einmal auf der Nase liegen und ihre allerschönsten Magenschmerzen davon haben. Na meinetwegen! Die Nachricht, die uns der brave Postillon im Weiberrock zugetrager, hat, ist am Ende so ein bißchen Schmerzen wert. Unser Herzog hat nämlich unseren lieben, schönen Altensteiner Geroldshof gekauft.«

Klaudine stand noch neben dem Eibenbaum am Eingang des Gartens. Mit einer jähen Bewegung griff sie in die Zweige des Bäumchens, als taste sie nach einem Halt. Das Blut stürmte ihr nach dem Kopf und gleich darauf überzog eine tiefe Blässe ihr Gesicht.

»Du lieber Gott, wie Sie das angreift!« rief Heinemann erschrocken. »Ich alter Tapps, daß ich auch so mit der Tür ins Haus fallen muß! Aber an der Sache ist ja doch nichts mehr zu ändern«, – er schüttelte trübe den Kopf – »kein Tüttelchen! Und ist's denn nicht doch tausendmal besser, der Geroldshof kommt in solche Hände, als daß vielleicht ein reicher Fabrikant in den Stuben und Sälen spulen und spinnen läßt? Und Ihre schöne Jugend, gnädiges Fräulein! Fragen Sie doch die da unten«, – er zeigte auf den Boden unter seinen Füßen, den ehemaligen Kirchhof der Nonnen – »ob nicht eine jede mit tausend Freuden wieder aus dem einsamen Walde entwischt wäre, wenn sich nur ein Schlupfloch in den himmelhohen Mauern gefunden hätte! Sehen Sie, das ist ja das Schöne bei der Sache, Sie kommen wieder in Ihre Gesellschaft, in Ihr richtiges Element! Eine jede Blume will ja auch ihren besonderen Boden. Der ganze Hof zieht für den Sommer auf das Altensteiner Gut. Der Herzog will eine Milchmeierei eigens für seine junge Frau einrichten, sie soll ja an der Schwindsucht leiden, das arme Frauchen, und da soll nun die Luft im Kuhstall helfen.« Er kratzte sich hinter dem Ohr.

Die junge Dame ging langsam und schweigend tiefer in den Garten hinein. Ihre erblaßten Lippen waren wie im Krampfe geschlossen. Heinemann sah sie scheu von der Seite an. In diesem sanften, schönen Gesicht, das er kannte, seit es zum erstenmal die blauen, wundertiefen Augen aufgeschlagen hatte spiegelte sich ein Kampf ab, für welchen ihm das Verständnis fehlte.

Er sagte deshalb auch kein Wort mehr und machte sich am nächsten Gemüsebeet zu schaffen, und erst, als sie im Begriff stand, in das Haus zu gehen, kam er ihr nach und bat um Urlaub für den nächsten Tag, »von wegen des Wachshandels«. Sie nickte ihm mit einem matten Lächeln gewährend zu und ging die Treppe hinauf.

Droben, in ihrem stillen Zimmer, sank sie auf einen Stuhl und schlug die Hände mutlos vor das Gesicht. War alles umsonst gewesen? Durfte ihr wirklich die Versuchung nachschleichen, wohin sie auch flüchten mochte? Nein, nein, ihre Lage war nicht mehr so schutz- und hilflos, wie noch vor wenigen Wochen! Stand nicht ihr Bruder neben ihr? Und durfte sie jetzt nicht auch sagen: »Mein Haus ist meine Burg – ich kann und will es vor jedem verschließen, der meine Schwelle nicht betreten soll?«

6.

Am anderen Morgen wanderte Hcinemann frühzeitig nach der Stadt. Neben ihm her trabte ein Dorfjunge mit einem Handwagen, den der alte Gärtner mit jungem Gemüse für seine Kunden beladen hatte, der Handelsgang nach der Stadt sollte möglichst ausgenutzt werden. Das Zinngeschirr freilich hatte zu Hause bleiben müssen und zum Ankauf neuer Vorhänge war die Erlaubnis auch entschieden verweigert worden. Nicht ohne Besorgnis sah Heinemann dann und wann nach dem Hause zurück, bis das Baumgedränge keinen Durchblick mehr gestattete. Was er ärgerlich vorausgesagt hatte, war eingetroffen – Fräulein Lindenmeyer hatte Migräne. Sie lag zu Bett und brauchte Hilfe und Pflege. Gern wäre er zu Hause geblieben, allein er hatte schon beim Morgengrauen das Gemüse abgeschnitten, und das mußte fortgeschafft werden.

Nun war seine junge Herrin allein, denn der oben in der Glockenstube zählte nicht. Mit der Feder in der Hand war er ja nie in der wirklichen Welt. Da konnte alles um ihn her niederbrennen, wenn nur die Glockenstube stehen blieb und die Tinte nicht eintrocknete. Dieses Urteil entsprang jedoch keineswegs irgendwelcher Geringschätzung, im Gegenteil, Heinemann war voll Bewunderung, aber in seinen Augen war der gelehrte gnädige Herr einer, für den man in gewöhnlichen Dingen denken und sorgen mußte, wie für das liebe, unschuldige Ding, die kleine Elisabeth auch.

Nun, er hatte das Seine getan, um seiner jungen Herrin die Tageslast zu erleichtern, er hatte die Ziegen gemolken, frische Eier aus den Hühnernestern genommen und Zuckererbsen zum Mittagessen gepflückt. Kleingespaltenes Holz lag neben dem Herde, das Treppenhaus war sauber gefegt, und in Fräulein Lindenmeyers Eckstube stand die homöopathische Hausapotheke mit schriftlichen Anweisungen von seiner Hand – er verstehe sich aufs Kurieren wie kein anderer, versicherte Fräulein Lindenmeyer immer. Wie er dann aber tagsüber nie die Tür im Gartenzaun einklinkte, geschweige denn verschloß, so hatte er es auch heute achtloserweise unterlassen. Der am Zaun liegende Kettenhund schlug ja pünktlich an, sobald sich die Tür von außen her in den Angeln rührte, und was hätte denn aus dem Garten entwischen sollen? Das Hühnervolk hauste hinter einem absperrenden Holzgitter und die Hauskatze bewerkstelligte ohnehin ihre Waldbesuche durch die Fensteröffnungen der Kirchenruine. An das Kind, die kleine Elisabeth, hatte der alte Mann nicht gedacht. Sie war meist seine unzertrennliche Begleiterin im Garten, sie ging auf Tritt und Schritt mit ihm und plauderte unermüdlich, und während seine großen, schwieligen Hände rüstig arbeiteten, antwortete und erzählte er unverdrossen und rieb sich nur dann und wann an der Schürze die Erde von den Fingern, um dem Kinde den verschobenen Hut in die Stirn zu rücken oder der Puppe den aufgelösten Haarzopf mühselig wieder »zusammenzuwürgen«. Aber vor seinen Augen war das kleine Mädchen noch nie bis an die Tür gelaufen, und auch Klaudine wußte, daß es sich vor dem Kettenhund fürchtete. Deshalb war sie unbesorgt ihren Hausgeschäften nachgegangen, während das Kind im Garten spielte.

So war es gegen Mittag geworden. Die Tageshitze stieg. Nur selten zog eine vereinzelte segelnde Wolke träge über die Sonnenscheibe hin und warf auf den Garten einen kurzen Schatten, wohltuend und verdunkelnd, als ob ein riesiger Vogel seine Schwingen mitleidig über alle die hängenden und schmachtenden Blumenköpfchen breite Klaudine trat an ein Fenster und rief nach dem Kinde; aber sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme, so lautlos still war es draußen. Nur der Hund kroch mit rasselnder Kette aus seiner schwülen Hütte und sah mit gespitzten Ohren nach dem Fenster hinauf, wo gerufen wurde. Das Kind antwortete nicht, und auch sein helles Kleidchen war weder zwischen dem Gebüsch, noch in der Laube zu entdecken.