»Es sieht so drollig aus bei dir, Klaudine«, lachte Beate. »Aber, Herzenskind, du hast ja längst keinen Faden mehr in der Nadel und nähst mit wahrer Begeisterung! Siehst du, da ist er.«
Das schöne Mädchen im leichten, einfachen Kleide hatte dunkelrote Wangen vor Eifer.
»Nur Geduld, Beate, ich lerne es bald«, sprach sie und beschaute die Naht. »Ich werde dir nächstens noch bei deiner Näherei helfen können.«
»Na, das fehlte!« wehrte Beate ab. »Das Haus voller Frauensleute, die sich im Wege stehen, und du mir helfen, bei deiner vielen Arbeit? Die wenigen Stunden, die du erübrigst, solltest du deinem Klavier schenken und deiner Staffelei. Aber auf jemand anderen habe ich ein Attentat vor, und zwar auf die Berg. Glaubst du wohl, daß diese Person auch nur ein Strümpfchen strickt für das Kind? Und als ich ihr neulich von unserer feinsten selbstgesponnenen Wolle ins Zimmer trug und sagte: ›Hier, meine Beste, für das Kindchen kann schon immerhin zum Winter vorgesorgt werden, es ist kalt hier in den Bergen‹, bekommt sie eine kreideweiße Nase und sagt: ›Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Thekla, würde es sich nicht nehmen lassen, die Garderobe ihres Enkelkindes bis aufs I-Pünktchen zu besorgen, und wollene Strümpfe seien überhaupt ungesund.‹ – ›So?‹ fragte ich, ›sehe ich ungesund aus? Oder der Vater des Kindes? Und wir, meine Beste, haben in der Kindheit nichts weiter auf dem Leibe gehabt als selbstgesponnene Wolle von unserer Schäferei und selbstgewebtes Leinen, und damit sind wir groß geworden.‹ Sie wagte nicht zu antworten, aber das Gesicht! Sie suchte ihren Ärger zu verbergen und bemerkte dann sehr kühl, sie habe strenge Vorschriften von der Prinzeß. Heiliger Gott! Na, warum ist Lothar so dumm gewesen! Er ist doch der Vater! Aber als ich ihm nachher die ganze Sache erzählte, zuckte er die Schultern und schwieg. Ich sollte das Würmchen nur vier Wochen haben, du würdest Wunder erleben, Klaudine, es würde ebenso frisch wie die Dicke da.« Und sie zeigte auf das Kind, das an seinem kleinen Tisch eifrig mit Täßchen und Tellerchen spielte, welche Tante Klaudine heute früh aus ihrem eigenen Puppenschrank hervorgesucht hatte. »Übrigens«, fuhr Beate fort, »auch dir bekommt die frische naturgemäße Lebensweise. Du solltest dich nur einmal sehen jetzt, deine Augen so glänzend, und dazu der leise rosige Schimmer auf den Wangen, den du am Hofe ganz verloren hattest. Ein Glück, Schatz, daß hier keiner ist, dem du den Kopf verdrehen kannst, du –'«
Klaudine hatte sich lächelnd über die Maschine gebeugt und drehte das Rädchen. Sie bemerkte das Verstummen Beates nicht, nicht den verwunderten, fast erschreckten Blick, den diese auf die Landstraße hinaus richtete. Barmherziger Gott, das waren ja die roten, goldbordierten Livreen des Hofes, die dort unter den Bäumen auftauchten!
»Du, Klaudine, ich bitte dich!« rief sie, »die Herrschaften! Wahrhaftig, sie fahren hier heran!«
Klaudine stützte sich plötzlich wie ohnmächtig auf die Lehne der Bank. Mit erschreckten Augen sah sie hinüber auf die Wagen, die eben hielten. Durch den Mittelweg stürzte Heinemann in Hemdsärmeln, bemüht, die Arbeitsschürze abzustreifen, vermutlich, um in die alte Livree zu fahren. Fräulein Lindenmeyers Fenster klirrten so hastig zu, wie noch nie, und Beate wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Blick auf Klaudine.
»Was hast du?« flüsterte sie und faßte das Mädchen an der Hand. »Komm, wir müssen ihnen entgegengehen.«
Aber schon hatte sich das schöne Mädchen aufgerichtet, sie eilte hinunter und schritt so sicher der Gartenpforte zu, als gehe sie bei einem glänzenden Hofball über das spiegelnde Parkett, als trüge sie statt des einfachen Kleides aus roher Seide und dem schwarzen Taftschürzchen die stolze Schleppe aus mattblauem Samt, in der sie noch vor kurzem alle Anwesenden bezaubert hatte. Beate folgte ihr mit bewundernden Augen. Wie unendlich graziös sank eben die herrliche Gestalt in tiefer Verbeugung zusammen, wie demütig neigte sie die schöne Stirn unter dem Kuß der Herzogin!
Beate bog sich vor, um die Herren zu sehen. Mein Gott, da stand ja Lothar neben dem Herzog, und eben schickten sie sich an, dem Hause zuzugehen, die fürstliche Frau am Arme Klaudines. Rasch schlüpfte sie durch die Glastür in die Wohnstube und von dort in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die alte Dame stand vor dem Spiegel und stülpte die rotbebänderte Haube auf, die einen ebenso verzweifelten Eindruck machte wie ihre Besitzerin, deren Hände keine Nadel in die Haube zu stecken vermochten vor Zittern. Das alte Fräulein bot einen drolligen Anblick, sie hatte zwar schon die schwarze Kleidertaille angelegt, aber der Rock hing noch vergessen im Spinde mit den weit aufgesperrten Türen.
»Lindenmeyerchen, regen Sie sich doch nicht auf!« rief Beate belustigt, »sagen Sie mir lieber, wo die Kristallteller aufbewahrt werden, die noch von der Großmama stammen, und wo Klaudine die silbernen Löffel hat? Und dann setzen Sie sich in Ihren Lehnstuhl ans Fenster. Dafür genügt Ihre Toilette just, und betrachten Sie später in aller Ruhe die Herrschaften, wenn sie im Garten spazieren.«
Aber die alte Dame hatte so völlig den Kopf verloren, daß sie beteuerte, sie wisse sich in diesem Augenblick auf nichts, rein gar nichts zu besinnen, und wenn sie sich das Leben damit retten könnte. Lachend machte Beate die Tür zu und stieg die Treppe hinauf zu dem Träumer. Der hatte natürlich noch keinen Schimmer von der Ehre, die seinem Hause widerfuhr, und sah und hörte nichts als seine eigenen Gedanken. Sie schüttelte den Kopf und stand doch zaghaft vor der altersbraunen Tür, die in die Glockenstube führte. Ein helles Rot lag über ihrem Gesicht, als sie auf sein »Herein!« den Drücker bog, und plötzlich sah ihr Antlitz, dieses strenge Antlitz mit den starken Linien, mädchenhaft lieblich aus.
»Joachim, Sie haben Besuch«, sprach sie, »nehmen Sie Ihr köstliches Gewand und kommen Sie. Das herzogliche Paar ist unten.«
Als er den Kopf hob und sie ärgerlich und verwundert ansah, lachte sie, und das war wieder das nämliche Lachen wie vorhin.
»Aber eilen Sie doch! Die Hoheiten werden den Hausherrn vermissen. Ich komme nach mit einer Erfrischung.«
Unwillkürlich fuhr er sich in das üppige braune Haar. Das fehlte noch im Eulenhause, Allerhöchster Besuch! Was wollen sie bei dem Verarmten? Ah, Klaudine, sie wollen Klaudine wieder holen!
Mit finsterer Miene eilte er hinaus. Sie stand noch ein Weilchen in dem Gemach und sah sich um, scheu wie ein Kind, das zum erstenmal die Kirche betritt. Dann schlich das große robuste Mädchen auf den Zehen an den Schreibtisch und spähte herzklopfend mit purpurroten Wangen nach dem offenen Hefte, auf dem die Feder lag. Die Buchstaben dieser feinen leichten Schrift waren noch nicht getrocknet. Dort stand der Titel: »Einige Gedanken über das Lachen«. Sie schüttelte wie verwundert den Kopf und sah von dem Manuskript zu dem geöffneten Bücherschrank und da zuckte wieder ein Lächeln um ihren Mund, aber diesmal nicht schalkhaft, es war das Lächeln innerer herzlicher Befriedigung, und so ging sie hinunter in die Speisekammer, stellte frische, duftende Waldbeeren und Streuzucker auf einen Präsentierteller und kam, von Heinemann gefolgt, der in der längst nicht mehr getragenen Geroldschen Livree etwas wunderlich aussah, zu dem Tisch auf der Plattform, als just die Herzogin sich erhoben hatte, um den Wachskeller zu besuchen, der freilich nur noch den kleinsten Rest des Fundes barg.
Beate von Gerold war den Herrschaften bereits vorgestellt worden. Als ihr Bruder sich mit einer Prinzeß des herzoglichen Hauses vermählte, hatte sie ihre drei qualvollsten Lebenstage in der Residenz verbracht, hatte Besuche machen müssen und wieder empfangen, hatte diniert bei der Prinzeß Thekla und einen Empfang im Schlosse »überstanden«, wie sie sagte. Sie hatte einmal himmelblaue Seide, einmal gelblichen Atlas getragen und war sich sterbensunglücklich darin vorgekommen, und als sie zurück nach ihrem Altenstein gekommen, war sie mit köstlichem Behagen wieder in die dehnbare Trikottaille gefahren und hatte geschworen, lieber Steine zu klopfen, als bei Hofe zu leben. In Erinnerung hieran fiel ihre Verbeugung sehr wenig devot aus, und ihr Gesicht zeigte ganz den Ausdruck, den Joachim als barbarisch zu bezeichnen pflegte.
»Also in den Wachskeller, meine Herrschaften«, mahnte der Herzog und legte seiner Gemahlin fürsorglich das rote, golddurchwirkte Mäntelchen um die Schultern. Klau- dine nahm einen großen Schlüssel aus dem Körbchen, das neben der Nähmaschine auf dem Tische stand, und hieß Heinemann vorangehen. Joachim führte die Herrschaften. Sie selbst eilte in das Haus, um die noch immer fehlenden Löffelchen und Teller und ein Tafeltuch auszugeben.
Sie tat es mit zitternden Händen und um ihren Mund lag ein gramvoller Zug. »Warum?« fragte sie halblaut, »warum auch hierher?« Sie lehnte den Kopf an die Pfosten des alten Eichenschrankes, der das Linnen der Großmutter barg, als suchte sie eine körperliche Stütze in dem Sturme, der durch ihre Seele ging. »Nur ruhig«, flüsterte sie und preßte die Hand gegen die Brust, als wollte sie das stürmisch klopfende Herz gewaltsam zum Gehorsam zwingen. Als sie ein paar Minuten später sich anschickte, den Herrschaften in den Keller nachzufolgen, da war ihr ernstes, schönes Gesicht unbewegt wie immer.
»Halt!« sagte eine tiefe Stimme am Kellergewölbe, »bis hierher und nicht weiter! Sie haben keine Umhüllung, und dort unten ist es kühl.« Baron Lothar stand in dem dämmerigen Gewölbe und streckte die Hand gegen sie aus. »Wenn Sie Ihre Ungeduld noch ein wenig bemeistern könnten, Cousine«, fuhr er fort, und es klang fast wie Hohn, »ich höre die Herrschaften die Treppe heraufsteigen. Das war doch die Stimme Seiner Hoheit soeben? Oder irre ich mich?«
Sie hielt seinem Blicke stand und zuckte nur leicht die Schultern. Er sah sie so eigentümlich an, fast drohend.
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