»Es ist besser, wir erwarten die Hoheiten dort oben«, sprach er weiter, »hier –« er brach ab, denn sie hatte sich umgewandt und schritt die Stufen empor, die in den Flur des Hauses führten, und von dort, ohne sich umzusehen, auf den anmutigen Platz. Er folgte ihr und lehnte sich gegen den Pfosten der Glastür, indem er den einfach gedeckten Tisch musterte. Da erinnerte nichts an ein altes begütertes Geschlecht, es fanden sich nur einfache Glastellerchen und dünne verbrauchte Löffel. Das Silberzeug des Hauses stand ja in seinen Schränken, allein der Damast des Tischtuches zeigte das Wappen der Gerolds in den Ecken, ein Meisterstück der Webekunst. Die alte Dame hatte es ehedem mit hierher genommen auf ihren Witwensitz als eine Erinnerung an jenen Tag, da es zum erstenmal aufgelegen, an dem Tauftage ihres Sohnes.
»Unser Wappen«, sagte er und zeigte auf den springenden Hirsch, der einen Stern zwischen dem Geweih trug. »Er ist rein geblieben, dieser Schild, im Laufe der Jahrhunderte, nicht ein einzigesmal ward der Glanz des Sternes verdunkelt! Wohl kamen Unglücksfälle über das Geschlecht, wohl unterlag es der Macht des Schicksals, aber die Ehre hielten sie makellos, die Männer und – die Frauen, soviel ihrer waren bis heute.«
Das schöne Mädchen zuckte empor, als habe eine Schlange sie gebissen, und ein herzzereißender Blick aus den blauen Augen flog zu ihm hinüber, aber die Worte erstarben auf ihren Lippen, denn eben kamen die Herrschaften zurück und Lothar eilte ihnen entgegen. Der Herzog, neben Joachim gehend, folgte seiner Gemahlin, die den Arm der alten Freiin genommen hatte. Hinter ihnen schritt ein sonderbares Paar, Beate mit Palmer, den sie um Kopflänge überragte. Sie hörte mit dem Ausdruck lächelnder Verachtung auf sein eifriges Sprechen und suchte, am Tische angekommen, einen Stuhl, so weit wie möglich von ihm entfernt.
»Und der ganze große Keller war voll?« fragte die Herzogin, Platz nehmend, und ohne die Antwort zu erwarten, sprach sie lebhaft weiter: »O, Walderdbeeren, wie liebe ich sie! Wie tausendmal aromatischer duften sie, als die, welche man in den Gärten oder Gewächshäusern zieht! Weißt du, mein Freund«, wendete sie sich an den Herzog, der noch immer im Gespräch mit Joachim stand, »wir werden mit den Kindern in den Wald gehen und selbst Beeren suchen. Dabei ließe sich ein entzückendes Picknick arrangieren. Herr von Palmer, sorgen Sie dafür, daß man einen Platz ausfindig macht, wo Erdbeeren stehen, aber bald, bald! Wir wollen die schöne Zeit hier genießen.«
Man saß jetzt um den Tisch und Klaudine reichte ihren Gästen die Fruchtschale. Eben stand sie vor dem Herzog, er dankte mit kurzer Handbewegung, ohne sie anzusehen, und horchte auf Joachims Rede. Nun trat sie zu dem Neuhäuser. Auch er dankte. Sie schritt still nach ihrem Stuhl zurück und sah auf das Kind hernieder, das sich herzugeschlichen hatte und an ihren Schoß lehnte, und fuhr erst aus ihrem Sinnen empor, als die Herzogin sie anredete.
»Mein liebes Fräulein von Gerold, Sie müssen oft nach Altenstein kommen. Wir, mein Gemahl und ich, haben uns fest vorgenommen, alle Etiketterücksichten hier fallen zu lassen, wir wollen wie gute getreue Nachbarn miteinander leben, Ausflüge machen und uns besuchen. Die Neuhäuser werden wir auch überfallen, ja, ja, Fräulein von Gerold!« wandte sie sich an Beate, »ich muß mir Ihre vielgerühmte Musterwirtschaft einmal in der Nähe beschauen und hoffe, Sie ebenfalls auf Altenstein zu sehen.«
»Es wird unserem Hause eine unendlich große Ehre sein, wenn Eure Hoheit es mit Ihrer Gegenwart beglücken, aber mich wollen Hoheit gnädigst entschuldigen«, klang Beates tiefe Stimme entsetzlich wenig verbindlich und trocken. »Meine Wirtschaft leidet nicht, daß ich mich oft und lange vom Hause entferne, es ist nur anvertrautes Gut, und ich stehe dort an Stelle der Hausfrau meines Bruders. In Vertretung einer anderen ist man doppelt gewissenhaft, Hoheit.«
Die junge fürstliche Frau sah einen Augenblick befremdet zu der Sprecherin hinüber, dann flog der liebenswürdige Ausdruck von vorhin wieder über ihre Züge.
»Die Gerolds waren alle pflichttreu«, sagte sie freundlich, »das ist gut und lobenswert und ich muß den Korb wohl hinnehmen. Aber Sie, Fräulein Klaudine von Gerold, Sie! Ganz gewiß, auf Sie rechnen wir bestimmt. Ist es nicht so, Adalbert?«
»Verzeihung! Wie befiehlst du? Ich habe nicht verstanden, Elise.«
»Du sollst mir bestätigen«, sprach sie freundlich, »daß wir sehr auf Mamas Liebling rechnen bei unserer Anwesenheit in Altenstein, daß wir wünschen, Fräulein Klaudine von Gerold oft bei uns zu haben. Nicht, Adalbert?« Einen Moment blieb es still unter der Eiche. Die Abendsonne vergoldete jedes Blättchen mit purpurnem Schein; durch die Lücken des Geästes zuckten schimmernde Lichter und die zitternden Funken machten es wohl auch, daß Klaudines Antlitz in jähem Wechsel bleich und purpurn erschien.
»In der Tat, Fräulein von Gerold«, tönte es jetzt in ihr Ohr mit einer Stimme, die den Sturm in ihrem Herzen plötzlich beschwichtigte, so ruhig und gleichgültig klang sie. »In der Tat, die Herzogin sprach davon, mit Ihnen im Altensteiner Saale zu musizieren.« Und sich wieder zu Joachim wendend, fragte er: »Ja, wie wurde es? Ist der Mann gestorben an der Wunde, oder?«
»Er lebt, Hoheit, und wildert nach wie vor.«
Wenn der Herzog von Jagd und verwandten Dingen sprach, war er einfach für anderes verloren, das wußten sie alle. Nur Palmer lächelte ungläubig und schaute Klaudine an, deren Brust sich wie befreit hob.
»Wenn Hoheit befehlen«, sprach sie leise, »aber ich habe seit langer Zeit keinen Ton mehr gesungen. Mir fehlt die Muße jetzt.«
Ein leises Hüsteln der fürstlichen Frau ließ sie einhalten. Durch die Bäume kam der erste kühle Luftzug des Abends.
Der Herzog sprang empor. »Es wird Zeit«, sprach er; »die Wagen!«
Der herzogliche Diener, der unbeweglich an der Gartenpforte gestanden hatte, erhielt von Palmer einen Wink, und in kürzester Zeit waren die fürstlichen Gäste eingestiegen, und die Wagen brausten auf der Straße hin.
»Wir müssen wohl auch an den Abschied denken, Lothar?« sagte Beate zu ihrem Bruder. Er nickte bejahend und schüttelte Joachim die Hand. Als er sich zu Klaudine wenden wollte, war sie verschwunden.
Beate, die Sonnenschirm und Hut holen wollte, traf sie anscheinend ruhig in der Küche beschäftigt, ein Tellerchen mit Erdbeeren zu füllen für Fräulein Lindenmeyer, wie sie sagte.
»Na, wo steckst du denn? Wir wollen fort, Klaudine«, begann Beate und zog die gewebten seidenen Handschuhe an. »Das war übrigens ein recht bewegter Tag heute. Ich gratuliere dir zu dem gutsnachbarlichen Verkehr, es kann ja sehr gemütlich werden. Halte dir nur immer etwas im Hause, ein paar kleine Kuchen oder dergleichen, die gnädige Frau von Altenstein wird öfter kommen, sie gefällt sich in der Rolle, wie weiland Königin Luise auf Paretz. Ach Gott, Klaudine, bei dieser Armen ist es, glaube ich, die Angst, die Todesangst, die sie alles mögliche beginnen läßt. Aber ich muß fort, die dicke Berg wird schon Hunger haben, und in die Speisekammer können sie nicht, ich habe zugeschlossen. Leb wohl, Klaudine, komm bald einmal und bringe das Kind mit.« Sie drückte ihr die Hand und eilte hinaus.
Klaudine trug Fräulein Lindenmeyer die Erdbeeren hin und fand diese noch immer im Unterrock und der rot bebänderten Haube. Sie hielt die Kleine auf den Knieen und erzählte ihr eine Geschichte von einem wunderschönen Mädchen, das einen Prinzen heiratet.
»Einen Herzog«, verbesserte die Kleine, und Klaudine erblickend fragte sie: »Darf ich noch hier bleiben, Tante?«
Aber die Tante hörte nicht, sie horchte auf das Rollen eines Wagens, das im Walde verklang.
»O Jesus, Fräulein Klaudine!« rief Fräulein Lindenmeyer, froh, endlich über das große Ereignis sprechen zu können, »was ist unser allergnädigster Herr für ein schöner Mann! Jeder Zoll ein Herzog! Und wie er da durch den Garten schritt neben unserem Herrn, da fiel mir ein, was Schiller sagt: ›soll der Sänger mit dem König gehen, sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen.‹ Gnädiges Fräulein, ach, hätte es doch die Großmama erlebt, daß Sie da wie eine Familie auf der Plattform gesessen und Erdbeeren gegessen haben. Ach, Fräulein Klaudinchen!«
»Tante Klaudine, mir gefällt Onkel Lothar besser«, plauderte das Kind, »Onkel Lothar hat gutere Augen.«
Die junge Dame wandte sich plötzlich ab und schritt ohne ein Wort der Tür zu. Dann stieg sie die schmale Treppe hinauf und klopfte an Joachims Tür. Sie fand ihn, im Zimmer auf und ab gehend mit einem fast hilflosen Gesichtsausdrück.
»Ich bin völlig aus dem Sattel geworfen mit meinem Gedankengang«, klagte er. »Oh, meine schöne Einsamkeit! Klaudine, verstehe mich nicht falsch! Du weißt, wie sehr ich unsere fürstliche Familie liebe und verehre, wie stolz ich bin, daß meine schöne Schwester sie herzieht in unseren Waldwinkel. Aber, Klaudine, du bist böse, weil ich das sage?« fragte er, den Schatten in ihrem Gesicht erst jetzt gewahrend.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Joachim, weshalb wohl? Aber du tust mir leid, und wir wollen es ehrlich den Herrschaften sagen, daß du bei deiner Arbeit durch nichts – hörst du? – durch nichts gestört werden darfst.«
Er blieb stehen und strich ihr über die Wange. »Nein, Kleine«, erwiderte er, »als ehemalige Hofdame mußt du am allerbesten wissen, daß das nicht möglich ist. Es war eine hinreißende Liebenswürdigkeit von der Herrschaft, uns hier zu besuchen. Eine Abfertigung, wie Beate sie in ihrer derben Manier gab, darf sie von uns nicht hören. Diese Beate«, fuhr er fort, »benahm mir den Atem, als sie die Antwort herauspolterte. Ich verstehe Lothar nicht, der das so ruhig und gelassen mit anhören kann, mir ginge es durch und durch!«
»Aber deine Arbeit, Joachim? Sei versichert, die Herzogin würde untröstlich sein, erführe sie später, daß sie dich hinderte.«
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