Sie stand bei diesen Worten auf und machte sich wieder am Nähtisch zu schaffen, als wollte sie Klaudine nicht ansehen.
»Du bist so freundlich«, murmelte das Mädchen. Auch die Ausrede, daß sie ihre Pflicht daheim nicht lassen könne, ward ihr genommen. Es war, als ob sich alles gegen sie verschwöre.
»Aber du hast mir noch nicht gesagt, war Lothar in Altenstein?« fragte Beate zurückkommend.
»Er spielt mit Seiner Hoheit L'hombre.«
»O jemine, das soll immer sehr lange dauern! Wer sind denn die anderen Mitspieler?«
»Vermutlich der Adjutant oder der Kammerherr und – irgendeiner, vielleicht Palmer.«
»Ah – der! Richtig! Er sagte, er habe es eilig, als er sich von mir im Wagen verabschiedete. Ich bot ihm an, nach Altenstein zu fahren, aber er dankte, er sei gerade auf einem Spaziergang begriffen gewesen – bei diesem Regen, Klaudine – als er Frau von Berg getroffen habe. Er ziehe es vor zu gehen. Auch gut, sagte ich und ließ ihn laufen. Mir machte nur das Gesicht der guten Berg Spaß, als ich in den Wagen schneite. Kutscher und Kinderfrau erzählten mir nachher, Herr von Palmer sei schon öfter >zufällig< mit Frau von Berg zusammengetroffen, und die letztere fügte hinzu: ›Dann sprechen sie ja wohl Welsch‹, – womit sie ›Französisch‹ meint – ›denn ich verstehe kein Wort.‹ Aber mein Gott, da kommt ja Lothar schon! Sieh doch den Hund!«
Der prachtvolle Hühnerhund hatte sich erhoben und stand nun wedelnd vor der Stubentür. Ein rascher, elastischer Schritt näherte sich, und gleich darauf trat der Baron ein. Er sah einen Augenblick ganz bestürzt auf Klaudine, die sich erhoben hatte und ihr Spitzentuch wieder über den Kopf band.
»Ah! Meine gnädige Cousine«, sagte er, sich verbeugend, »und ich glaubte Sie noch in den Altensteiner Salons. Seine Hoheit brachen das Spiel so plötzlich ab, daß ich annahm, Sie wollten noch ein gemütliches Abendstündchen bei der Frau Herzogin verleben. Hoheit hatten übrigens entschiedenes Unglück im Spiel«, fuhr er fort, »indessen, das nahm er sichtlich für ein gutes Zeichen, er ist abergläubisch, wie alle großen Geister. Wenigstens nannte er mich mit Vorliebe heute abend ›Vetter‹, und das geschieht immer nur, wenn das Barometer sehr hoch steht.«
Er hatte bei diesen Worten den Hut aus der Hand gelegt und streifte die Handschuhe ab.
»Gib mir einen Trunk ehrlichen kühlen Bieres, Schwester«, bat er dann mit veränderter Stimme, »dieser süße französische Sekt und diese süßen Zigaretten sind mir entsetzlich zuwider. Aber wollen Sie schon fort, Cousine?«
»Bleib doch noch!« sagte Beate, und zu Lothar gewendet, fügte sie hinzu: »Sie ist freilich nicht ganz wohl, aber da die Herzogin ihr den Wagen gleichsam in die Stube schickte, blieb ihr nichts weiter übrig, als hinzufahren.«
Herr von Gerold lächelte und nahm das schäumende Glas, das ein Diener ihm brachte. »Allerdings«, sagte er und trank.
Klaudine, die während seines Sprechens aufgestanden war und das Tuch um ihre Schultern gezogen hatte, ward, als sie dieses Lächeln sah, bleich wie der Tod. Und plötzlich stand sie vor ihm, hoch aufgerichtet und stolz.
»Allerdings«, wiederholte sie mit zuckender Lippe, »ich konnte die Aufforderung Ihrer Hoheit nicht zurückweisen. Ich bin heute zu ihr gegangen und werde morgen wieder gehen und übermorgen und alle Tage, wenn Hoheit es befiehlt! Ich weiß, ich handle auch im Sinne Joachims, wenn ich einer Kranken ein paar Leidensstunden vergessen helfe, sei es nun die Herzogin oder das arme Weib, welches Taglöhnerdienste in unserem Garten versieht.«
Sie hielt plötzlich inne.
»Laß den Wagen vorfahren, Beate«, bat sie dann, »es ist hohe Zeit, ich muß heim.«
Einen Augenblick war das Lächeln von seinem Antlitz gewichen, jetzt aber zuckte es schon wieder um seinen Mund. Er verbeugte sich tief und wie zustimmend. »Gestatten Sie, daß ich Sie begleite«, sagte er nun und griff nach seinem Hut.
»Ich danke Ihnen, ich möchte allein sein!«
»Ich bedaure, daß Sie meine Gegenwart noch eine Viertelstunde ertragen müssen, aber ich lasse Sie nicht allein fahren.«
Sie faßte Beate um den Hals und küßte sie.
»Was hast du?« fragte diese. »Du zitterst ja?«
»Oh nichts, Beate.«
»Also laß es mich wissen, Klaudine, wenn du nicht daheim bist, ich hole mir dann die Kleine.«
Wieder fuhr sie in den schweigenden Wald hinein. Sie lehnte in der Ecke des Wagens, ihr Kleid hatte sie dicht an sich gezogen und mit ihrer Hand fest in die Falten gegriffen, als wollte sie irgend etwas zerdrücken, um ihre innere Empörung zu beschwichtigen. Neben ihr saß Lothar. Der Schein der Wagenlaterne streifte seine Rechte, an welcher der breite goldene Ehering blitzte. Kein Wort ward geredet in diesem lauschigen, seidengepolsterten kleinen Raum, der zwei Menschen abschloß von dem Unwetter und den Schrecken der Nacht. In dem Herzen des Mädchens wogte ein Sturm von Zorn und Schmerz. Was glaubte dieser Mann von ihr, was war sie in seinen Augen?
Sie vermochte es nicht auszudenken, denn schreckhaft klangen ihr die eigenen Worte in die Ohren: »Und morgen werde ich wieder hingehen, und übermorgen und alle Tage!«
Nun war der Würfel gefallen, was sie gesagt hatte, das tat sie, und sie tat das Rechte.
Sie beugte sich vor. Gottlob, dort schimmerte das Licht aus Joachims Fenster. Nun hielt der Wagen und der Schlag wurde aufgemacht. Baron Gerold sprang hinaus und bot ihr die Hand zum Aussteigen. Sie übersah es und ging der Pforte zu. Mit einer stolzen Wendung des Kopfes streifte sie ihn noch einmal, und da glaubte sie beim Scheine der Laterne, die der alte Heinemann mit hocherhobener Hand hielt, zu sehen, daß er ihr mit einem bekümmerten Ausdruck nachschaute. Aber das war wohl nur Einbildung gewesen.
Sie kam fast atemlos in das Haus, und hinter sich hörte sie das Rollen des Wagens, mit dem er nach Neuhaus zurückkehrte.
»Sie schlafen schon alle«, wisperte der alte Mann, indem er seiner Herrin die Treppe hinaufleuchtete, »nur der gnädige Herr arbeiten noch. Die Kleine hat bei Fräulein Lindenmeyer gespielt, und dann haben wir Erdbeeren mit Milch gegessen, es ging alles wunderschön. Das gnädige Fräulein brauchen gar nichts mehr zu tun, von Rechts wegen.«
Sie nickte ihm zu mit ihrem ernsten, blassen Gesicht und schloß die Tür ihres Stübchens hinter sich. Dort sank sie auf den ersten besten Stuhl und schlug die Hände vor das Gesicht. So saß sie lange, lange.
»Er ist nicht besser als die anderen«, sagte sie endlich und schickte sich an zu Bette zu gehen, »auch er glaubt nicht mehr an Frauenehre, an Frauenreinheit!«
Was hatte sie ihr genutzt, ihre Flucht? Glaubte nicht gerade er das schlimmste von ihr? Sein Lächeln, die Reden heute abend hätten es ihr gezeigt, auch, wenn sie es nicht schon längst gewußt hätte. Oh, die ganze Welt mochte denken von ihr, was sie wollte, wenn nur ihr Herz, ihr Gewissen rein blieb! Sie allein würde dafür sorgen, daß sie den Blick nicht niederzuschlagen brauchte.
Sie preßte die Lippen aufeinander. Wohl, sie würde ihm zeigen, daß eine Gerold selbst den trübsten, schlammigsten Weg zu gehen vermag, ohne sich auch nur die Schuhsohlen zu beschmutzen!
Sie erhob sich, zündete Licht an und blickte sich in ihrem Stübchen um; wie sah es hier aus! Die Spuren ihrer in Unordnung geratenen Gedanken zeigten sich erschreckend deutlich in dem sonst so zierlichen Raum, dort die Schranktür weit geöffnet, auf der Kommode Schleifen, Nadeln, Kämme in wirrem Durcheinander, verschiedene Kleider auf Betten und Stühlen, alles spiegelte so klar die Stunde der Unentschlossenheit wieder, die sie durchlebt hatte, ehe sie nach Altenstein fuhr. Sie wollte nicht, nein, sie wollte nicht gehen und fand doch nicht den Mut, sich mit einer Lüge entschuldigen zu lassen. Draußen hatten die Pferde ungeduldig gescharrt vor dem fürstlichen Wagen und eine Viertelstunde nach der anderen war verstrichen, bis Joachim zuletzt kam: »Aber, Schwester, bist du noch nicht fertig?«
Da war sie gegangen.
Sie begann aufzuräumen. Wie erleichtert atmete sie auf, als wieder Ordnung um sie herrschte. Ja, es war nun überhaupt alles geordnet, sie selbst hatte die Entscheidung getroffen in einem Augenblick des Zornes, des bittersten Wehes. Aber war es wirklich das Rechte?
10.
Frau von Berg saß in ihrem Zimmer im Neuhäuser Schlosse am Schreibtisch. Die Tür zum Nebenraum stand offen, dort wohnte das Kind mit einer Wärterin. Vor den Fenstern rauschte der Regen hernieder und winkten die nassen Zweige der Linden. Die Dame hatte sich in ein dickes wollenes Tuch gehüllt und schrieb. Die Erregung mochte wohl ihre Feder führen, denn diese jagte förmlich über das starke cremefarbige Papier und die Buchstaben waren so merkwürdig klein und flüchtig.
Sie war außerordentlich schlechter Laune, und als eben Beates laute Stimme vom unteren Hausflur bis hier herauf scholl, machte sie eine Faust und sah zornfunkelnd zur Tür hinüber. Wer stand ihr denn dafür, daß dieser Hausdrache nicht, kraft seines Amtes, wieder einmal bei ihr eindrang, um sich zu überzeugen, ob alles in Ordnung sei hier oben? Und das schlimmste blieb, daß man hier so machtlos war. Der Baron hatte ja kaum noch Augen für sein Töchterlein, und wo diese Augen waren, das wußte sie nur zu genau. Gestern abend hatte er sie ja noch bei Nacht und Nebel nach dem Eulenhause begleitet!
Sie blickte durchs Fenster, dann nickte sie, als ob ihr etwas besonderes einfiele, und schrieb weiter:
»Ich habe bereits gestern Prinzeß Thekla in meinem wöchentlichen Bericht über das Befinden ihres Enkelkindes verschiedene Andeutungen gemacht, die Prinzeß Helene in einen ihrer bekannten Wutanfälle versetzt haben werden. Es ist kaum glaublich, wie sehr diese junge Dame zur Eifersucht neigt. Nun, ich erzählte Ihnen ja öfter davon.
Übrigens, mein bester Palmer, hörte ich gestern abend im Vorübergehen an dem Wohnzimmer – ich kam aus der Plättstube, wo ich einen Wortwechsel mit dem Hausmädchen hatte – Sie glauben nicht, wie man sich ärgern muß in diesem gottbegnadeten Musterhaushalt, wenn man einmal etwas außergewöhnliches verlangt – ich hörte also im Vorübergehen, wie das Gänschen, genannt Schwan, ihrem allergetreuesten Verehrer mit erhobener Stimme erklärte, daß sie die Absicht habe, jeden Tag nach Altenstein zu pilgern! Somit hätte sich ja Ihre Prophezeiung als wahr erwiesen. Wie sagten Sie doch noch? ›Es gibt kein besseres Mittel, einen schüchternen Liebhaber um den letzten Rest gesunder Vernunft zu bringen, als ein wenig Versteck mit ihm zu spielen.‹ Sie sagen freilich, der Herzog ist abgekühlt, um so besser! Erlauben Sie mir aber, vorläufig noch einige geringe Zweifel an dieser Abkühlung zu hegen, ich glaube den Allergnädigsten besser zu kennen.
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