»Bester Herr Medizinalrat, Sie kennen ja die Herzogin. Eben hat sie übrigens bloß ein wenig gelacht.«
»Ich erlaube mir nur, Eure Hoheit nochmals darauf aufmerksam zu machen«, erwiderte der alte Mann sich verbeugend.
Der Herzog winkte sichtlich zerstreut und ungeduldig mit der Hand. »Guten Abend, lieber Westermann.«
Klaudine erschrak. Sie preßte sich tiefer hinein in die Dämmerung der Fensternische und blickte dem sich entfernenden Arzte mit seltsam bangen Augen nach. Sie war allein, allein mit dem Herzog. Das, was sie stets klug zu vermeiden gewußt, was er unverkennbar gesucht, heiß gesucht hatte, war geschehen. Aber vielleicht hatte er ihre Gegenwart vergessen, denn er schritt so erregt auf und ab im Zimmer. O, er würde sie nicht bemerken, das einzige Licht des Armleuchters genügte kaum, den nächsten Umkreis des Kamins zu erhellen, und sie stand geborgen hinter dem seidenen Vorhang der Fensternische.
In atemloser Angst verharrte sie, wie ein verfolgtes Reh, das dem Jäger nicht mehr zu entrinnen weiß. Sie hörte das Klopfen ihres Herzens so deutlich, wie seine gedämpften Schritte dort auf dem weichen Teppich. Dann zuckte sie empor, die Schritte näherten sich. Eine hohe Gestalt war unter den Vorhang getreten und eine Stimme, welche von einer leidenschaftlichen Aufregung seltsam klanglos gemacht wurde, nannte ihren Namen: »Klaudine«.
Sie trat furchtsam einen Schritt seitwärts, als wollte sie eine Gelegenheit erspähen, um zu fliehen.
»Klaudine«, wiederholte er und bog sich herab zu ihr, so daß sie trotz der tiefen Dämmerung den flehenden Ausdruck seiner Augen sehen mußte. »Die Szene tat Ihnen weh? Sie war nicht meine Schuld, ich möchte Sie um Verzeihung bitten.«
Er wollte nach ihrer Hand fassen, sie barg sie in den Falten ihres Kleides. Kein Wort kam aus ihrem fest geschlossenen Munde. So stand sie in stummer Abwehr, mit den schönen zornigen Augen ihn anblickend.
»Wie soll ich das verstehen?« fragte er.
»Hoheit, ich habe den Vorzug, die Freundin der Herzogin zu sein!« sagte sie dann voll Verzweiflung.
Ein trauriges Lächeln flog einen Augenblick über sein Gesicht. »Ich weiß es! Sie sind im allgemeinen nicht dafür, von heute auf morgen Freundschaft zu schließen. Indessen – Sie meinen, man müsse alles benutzen?« »So scheinen Eure Hoheit zu denken!«
»Ich? Auf Ehre nicht, Klaudine! Aber Sie, Sie haben sich mit wahrer Sturmeseile hinter die Schranke geflüchtet, die diese Freundschaft zwischen Ihnen und mir errichtet.«
»Ja!« sagte sie ehrlich, »und ich hoffe, daß Hoheit diese Schranke achten, oder –«
»Oder? Ich ehre und anerkenne Ihre Zurückhaltung, Klaudine«, unterbrach er sie. »Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen wie ein verliebter Page nachschleichen werde. Nichts soll Sie daran erinnern, daß ich Sie liebe, so leidenschaftlich, wie je ein Mann ein Mädchen geliebt hat. Aber erlauben Sie mir, daß ich in Ihrer Nähe sein darf, ohne dieser eisigen Kälte begegnen zu müssen, die Sie mir gegenüber zur Schau tragen, lassen Sie mir die – Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Sonne auch für mich scheinen wird, nur diese Hoffnung, Klaudine.«
»Ich liebe Sie nicht, Hoheit!« sagte sie stolz und kurz und richtete sich auf, »gestatten Sie, daß ich mich zurückziehe.«
»Nein! Noch ein Wort, Klaudine! Ich verlange kein Zugeständnis Ihrer Neigung, es ist weder die Zeit dafür noch der Ort. Sie haben recht, mich daran zu erinnern! Daß ich die Herzogin nicht aus Liebe gewählt habe, daß meine erste innige Liebesleidenschaft Ihnen gehört, kann ich dafür? Ich meine, das geschieht Besseren als mir! Es kommt ohne unser Zutun, ist da und wächst mit jeder Stunde, je mehr wir dagegen ankämpfen. Ich weiß nicht, ob Sie so fühlen wie ich? Ich hoffe es nur und will ohne diese Hoffnung nicht leben.« Er trat näher und bog sich zu ihr nieder. »Nur ein Wort, Klaudine«, bat er leise und demütig, »darf ich hoffen? Ja, Klaudine? Sagen Sie ja! und kein Blick soll verraten, wie es um Sie und mich steht.«
»Nein, Hoheit! Bei der Liebe zu meinem Bruder schwöre ich Ihnen, ich fühle nichts für Sie!« preßte sie hervor und wich zurück bis an das Fenster.
»Für einen anderen, Klaudine, für einen anderen? Wenn ich das sicher wüßte!« tönte es leidenschaftlich.
Sie antwortete nicht.
Er wandte sich mit einer verzweiflungsvollen Bewegung und ging zu der gegenüberliegenden Tür. Dann kam er noch einmal zurück.
»Glauben Sie denn, daß nicht allen Rücksichten der Ehre genügt werden würde? Glauben Sie, ich könnte Sie erniedrigen?« fragte er, »glauben Sie –«
»Hoheit beginnen bereits damit«, unterbrach sie ihn, »indem Sie mir in dem Zimmer Ihrer kranken Gemahlin von Liebe sprechen.«
»Wenn Sie die Sache so auffassen«, sagte er schmerzlich.
»Ja, das tue ich, Hoheit, bei Gott, das tue ich«, rief das schöne Mädchen.
»Klaudine, ich bitte Sie!« flüsterte er. Wieder schritt er hastig im Zimmer auf und ab und abermals trat er vor sie. »Sie wissen, daß mein Bruder, der Erbprinz, plötzlich starb, kurz vor meines Vaters Tode, vor nunmehr zwölf Jahren?« fragte er.
Sie neigte bejahend den Kopf.
»Nun, Sie wissen aber nicht, daß damals seitens unseres Hofes mit dem Kabinett zu X. Unterhandlungen stattgefunden hatten über das Projekt einer Heirat der Prinzessin Elise mit dem Erbprinzen, meinem Bruder. Man war fast zum Abschlüsse gelangt, das heißt, mein Bruder sollte wie von ungefähr nach X. zur Brautschau kommen – da starb er und mit den Rechten, die ich übernahm, übernahm ich auch die Pflichten. Nach beendeter Trauerzeit reiste ich nach X. und freite die Braut.«
»Es ist freier Wille gewesen, Hoheit!«
»Mitnichten! Mir war diese Heirat eine schwere Bürde mehr zu der, die mir ohnehin die Krone brachte. Prinzessin Elise, die mich ahnungslos empfing und mich mit ihren großen Kinderaugen anstarrte, war von der Bewerbung meines Bruders so wenig unterrichtet, wie von der Absicht, mit der ich ihr entgegentrat. Sie läßt sich leicht begeistern, und mit wenig Mühe gewann ich ihr Herz. Mir waren die Frauen höchst gleichgültig zu jener Zeit, ich kannte die besten nicht, die anderen schienen mir langweilig. Prinzessin Elisabeth war mir unbequem im Anfang, ich vertrage es nicht, wenn Frauen beständig in höheren Regionen schweben. Ich hasse alles exaltierte, dieses himmelhoch jauchzende, zum Tode betrübte, ich konnte anfänglich rasend werden bei ihren Tränenergüssen. Später wurde mir das, was mich anfangs abstieß, im höchsten Grade gleichgültig. Ich bin ihr stets ein aufmerksamer Gatte gewesen und von einer gewissen nachsichtigen Schwäche gegen ihre Launen, seit sie krank ist. Ich ehre und achte sie als die Mutter meiner Kinder, aber mein Herz blieb ruhig und ward immer ruhiger, je inniger ihre Neigung zu mir wurde. Ich kann nicht dafür, es wird auch nicht anders durch Betrachtungen darüber. Da sah ich Sie. Ich weiß, ja, ja, ich weiß, Sie beurteilen das vom herkömmlichen Standpunkte und flüchteten vor dieser Neigung in Ihr Waldidyll, aber mich trieb es nach im alten heißen Sehnen, und ich finde Sie unnahbarer als je, finde Sie als die Freundin der Herzogin.«
Es zuckte unsicher in seinem Gesicht. »Gut, Klaudine, ich werde für jetzt mich bescheiden«, fuhr er fort, »nur die eine Bitte noch, sagen Sie mir, lieben Sie einen anderen?«
Sie schwieg. Eine Purpurglut floß über ihr Antlitz. Stumm senkte sie das blonde Haupt.
»Sagen Sie ›nein‹!« flüsterte der Herzog leidenschaftlich.
»Hoheit wünscht, Fräulein von Gerold möge mit den Aventiureliedern von Scheffel in das Schlafzimmer kommen, um Hoheit vorzulesen«, sagte Frau von Katzenstein eintretend.
Klaudine war erschreckt zusammengefahren und sah ihn an, wie um Erbarmen flehend.
»Ja – oder nein, Klaudine, ist Ihr Herz schon gebunden?« flüsterte er.
Sie trat zurück und verbeugte sich tief. »Ja!« sagte sie fest und schritt hochaufgerichtet an ihm vorüber, in der Hand das Buch, das sie mechanisch vom Tisch genommen hatte. Vorlesen jetzt? Sie war halb betäubt.
Die Herzogin lag in ihrem mächtigen französischen Himmelbette, dessen schwere seidenen Purpurvorhänge zurückgenommen waren. Das ganze Gemach zeigte das tiefe satte Rot, die Lieblingsfarbe seiner Bewohnerin. Unter der Decke hing eine Ampel aus Rubinglas. Neben dem Bette stand ein niedriges, mit roter Seide bezogenes Tischchen, darauf eine Lampe mit ebenfalls rotem Lichtschirme; in einem zusammenlegbaren Juchtenrahmen die Photographie des Herzogs und der Prinzen. An der gegenüberliegenden Wand hing in schweren Goldrahmen eine wundervolle Kopie der Madonna della Sedia, der erste Blick der Erwachenden mußte dieses schöne Bild treffen.
Die fürstliche Frau schien sich ganz erholt zu haben, sie lag mit einer gewissen Behaglichkeit unter ihrer Purpurdecke und lächelte der Eintretenden entgegen. »Setzen Sie sich auf den Hocker hier und lesen Sie mir die Thüringer Lieder, liebe Klaudine. War der Herzog noch bei Ihnen?« fragte sie dann, »ist er sehr geängstigt über den Hustenanfall? Es tut mir so leid, wenn ich in seiner Gegenwart husten muß. War er sehr traurig?«
Die Kranke sah forschend in die bewegten Züge des schönen Mädchens, welches nicht wußte, was sie antworten sollte. Sie nahm Platz und bückte sich nach ihrem Taschentuch zur Erde, um Zeit zu gewinnen. Wie furchtbar war doch ihre Lage!
»Klaudine«, sagte die Herzogin, »ich glaube, ihr haltet mich alle für sehr krank, für kränker, als ich bin. Lesen Sie nur, ich will keine Antwort. Dort, wo das Zeichen liegt.«
Und Klaudine las mit bebender Stimme:
»Denn das ist deutschen Waldes Kraft,
Daß er kein Siechtum leidet
Und alles, was gebrestenhaft,
Aus Leib und Seele scheidet – «
»Hören Sie?« unterbrach die Herzogin, »hören Sie? Auch ich werde hier genesen! Und morgen wird die Sonne scheinen, und wir wandern hinaus in die Tannen und atmen Gesundheit, Oh meine geliebte Heimat!«
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