Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachims Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Straße. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich und den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang. Sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen!
Plötzlich schrak sie zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher. Ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Turmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume!
Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt, nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.
Sie dachte nicht mehr an den verlorenen Brief, sie konnte überhaupt nicht mehr denken, ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken, es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. »Ruhe! Ruhe!« flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen. – »Ruhe! Schlaf!«
13.
Auf Neuhaus herrschte am anderen Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und das einfache Geschirr von gewöhnlichem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, das schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte, reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Backwerk trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch herumreichen ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecken gewichen, die Wappen, Namenszug der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verriet, wenn es ihre schöne Form nicht bereits getan hätte.
Die Arme des mächtigen Kronleuchters aus Bergkristall über der Tafel, die übrigens nur sieben Gedecke zählte, waren mit gelblichen Wachskerzen besteckt, ebenso die zahlreichen Wandleuchter. Auf dem riesigen eichenen Kredenztische aber funkelte und blitzte es von silbernem Gerät und prächtigem Kristall, und die Sonne, die täglich um diese Zeit hier herein einen Blick tat, ließ farbige Lichter aufsprühen und streifte das braune Haar über der weißen Stirn Beates, die beschäftigt war, auf einem Tischchen Blumen in ein paar Vasen zu setzen.
»Werdet ihr gleich stehen!« murmelte sie ärgerlich vor sich hin, als ein paar Levkojen immer wieder zur Seite fielen. »So, nun geht's.« Und sie steckte in die bunte Pracht eine rote Rose, und den zierlichen Aufbau betrachtend, reichte sie ihn dem Stubenmädchen, das daneben stand. »Trag es zur Frau von Berg, Sophie, sie soll es in das Zimmer der Prinzessin Thekla setzen, der Herr habe es befohlen. Dann bist du gleich wieder unten und wischest noch einmal Staub von allen Stühlen und schließest die Läden. Eben kommt die Sonne.«
Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothars, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte, heute abend zum erstenmal und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushaken? Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde. Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, »denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.«
Dies war aber auch so ziemlich das einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden war, alles übrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: »Aber du wirst es schon gut machen, tue ganz nach deinem Gefallen,«
Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirtschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal »Beine gemacht«, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Gängen ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das letzte getan, sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenübertreten mußte.
Das ganze obere Stockwerk hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und die Schwägerin Lothars hergerichtet, der Hofdarme war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kammerherr nebst Diener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur, das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beates sollten ganz und gar abgeschieden bleiben. Einen Zufluchtsort mußte man doch haben.
Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.
»Gut, Rikchen, daß ein paar fertig sind«, sagte Beate und nahm ein halbes Dutzend des zierlichen Gebäckes, »gebt etwas Papier – so – ich mache noch einen Spaziergang und bin pünktlich zurück. Begeht nur keine Dummheiten mit den Kücken und setzt die Schoten nicht zu früh an, den Rehrücken knapp eine Stunde im Ofen! – Ich sag's Ihnen noch einmal, ich habe keine Zeit, danach zu sehen, wenn ich bei Tische sitze, und daß nur die Forellen schön blau und krumm sind und im Grünen serviert werden. Es kommt alles auf Sie, Rikchen.«
Sie nickte noch einmal und ging raschen Schrittes direkt aus der Küche, einen Seitenweg durch den Park nehmend, auf die Landstraße. Eigentlich war es nicht zu rechtfertigen, daß sie davonlief, heute, wo ihr Ruf als Hausfrau geprüft werden sollte. Wie, wenn irgend etwas mißlang?
»Auch gleich!« sagte ihr eine innere Stimme, »denn wenn die ganze Hatz hier eingezogen ist, komme ich fürs erste nicht wieder nach dem Eulenhause zu Klaudine und zu der Kleinen.«
Sie ging in wahrem Sturmschritt und nahm allerhand Richtwege. Dunkelrot glühte ihr Gesicht, als nach einer halben Stunde das Eulenhaus aus grünen Wipfeln auftauchte. Es war just drei Uhr nachmittags.
Im Schatten der alten Mauer spielte die Kleine mit ihrem Puppenwagen, nun kam sie mit wehenden Locken auf die Tante zugestürmt, und diese hockte sich an die Erde und fing das Kind mit beiden Armen auf.
»Es war gar nicht hübsch, Tante Beate«, klagte es, »immerzu hat es geregnet und Tante Klaudine ist so oft fortgefahren.«
»Aber heute scheint die Sonne und du kannst wieder im Garten spielen. Gelt, das gefällt dir?«
Die Kleine nickte und trippelte neben ihr her. »Und Tante Klaudine ist auch zu Hause«, plapperte sie, »sie sitzt in ihrer Stube und schreibt und ist so fein angezogen.« An der Haustür blieb das Kind stehen und schüttelte den blonden Kopf. »Ich gehe wieder zu Heinemann«, erklärte sie und lief eilends davon.
Beate stieg die schmale Treppe empor und klopfte an die Tür ihrer Cousine. Klaudine saß in der Tat am Schreibtisch, aber sie schrieb nicht mehr. Vor ihr lag ein fertiger Brief.
»O Beate, du?« sagte sie müde und kam der Eintretenden entgegen.
»Ei, ei!« scherzte diese. »In Weiß mit blauen Schleifen? Was ist denn los? Willst du nach Altenstein?«
Das Mädchen nickte.
»Ich hatte abgesagt heute früh, aber die Herzogin ließ es nicht gelten. Sie schrieb mir, wenn ich nicht kommen wolle, würde sie zu mir kommen. Sie will hier vorüberfahren und mich abholen.« Sie schaute dabei ergeben an Beate vorüber. »Es ist so heiß«, fuhr sie fort, »ich sehnte mich nach einem lichten Kleide. Man sagt immer, die Farbe der Kleidung habe Einfluß auf die Stimmung, nun – ich könnte ebensogut –«
»Schwarzen Flor anhaben«, ergänzte Beate und setzte sich. »Was ist dir denn? Du siehst aus, als ob du Kopfweh hättest!« und sie sah befremdet in die abgespannten Züge Klaudines.
»Mir fehlt eigentlich gar nichts, Beate.«
»Eigentlich? Na, das hast du noch vom Hofe, so eine unglückliche Hofdame muß sich immer ›wohl‹ befinden, wie ein Ballettmädel immer lächeln muß, auch wenn sie kaum noch Atem kriegt.«
»Beate, du übertreibst«, sagte Klaudine ruhig, »nein, ich bin nicht krank, aber denke – vielleicht verreise ich auf einige Zeit.«
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