»Du?« rief die Cousine, »jetzt?«
»Ja, ja! Schweige aber darüber. Joachim weiß es noch nicht«, erwiderte sie. Und ehe noch Beate die Frage aussprechen konnte, die auf ihren Lippen schwebte, fiel Klaudine ein: »Ist dir Joachim nicht begegnet?«
»Nein!« antwortete Beate leise.
»Ich glaube, er wollte Lothars Besuch erwidern! Du weißt, das ist ein Entschluß für ihn. Er ging vorhin erst fort, ich bin überzeugt, er braucht drei Stunden zu dem Wege, denn beim Gehen wird ihm allerlei einfallen, und da setzt er sich dann hin und schreibt und notiert und vergißt Zeit und Ort.«
»Er wird Lothar nicht antreffen«, sagte zögernd Beate. »Lothar ist nach Lobstedt.«
»Nach Lobstedt?« fragte Klaudine, »will er verreisen?«
»Nein, er erwartet Prinzeß Thekla mit Tochter. Weißt du das noch nicht? Sie will vier Wochen in Neuhaus bleiben, um ihr Enkelchen zu genießen.«
»Nein –« sagte Klaudine tonlos.
Es war so still in dem Zimmer, daß selbst das leise Ticken der kleinen brillantbesetzten Taschenuhr hörbar ward, die auf dem Schreibtischchen in zierlichem Perlmutterständer hing. Beate schaute sehnsüchtig durchs Fenster, sie wäre am liebsten gegangen. Sie dachte an ihren Hausfrauenposten, den sie heute, gerade heute treulos verlassen hatte, und dann sah sie eine Männergestalt in dem dämmerigen Flur des Neuhäuser Schlosses, wie sie vor einer Tür stand, auf der in Kreideschrift zu lesen war: »Verbotener Eingang!« Und sie sah, wie dieser Mann den Kopf schüttelte und wieder umwendete. Er durfte nicht so fort, nein, nein! Vielleicht käme er nie wieder!
Sie sprang plötzlich empor.
»Verzeih, Klaudine, ich möchte doch lieber heim, du weißt, es ist allerlei zu besorgen.« Die Lüge erstarb ihr auf den Lippen, sie war jäh errötet. »Leb wohl, mein Schätzchen!«
»Leb wohl, Beate!«
»Um Himmels willen, du bist krank, Klaudine!« rief Beate und starrte ihre Cousine an, erst jetzt bemerkend, daß deren Antlitz völlig entfärbt war.
»Nein, o nein!« wehrte diese. Und jetzt zog eine wahre Purpurglut über Stirn und Wangen. »Ich bin gesund, ganz gesund! Geh nur«, drängte sie dann, »geh, ich bin völlig kräftig, ich begleite dich hinunter. O, sicher hast du noch vieles vorzubereiten, und sage Joachim, wenn du ihn triffst, daß er gehen soll, ehe die Damen anlangen, er ist so scheu, weißt du, so sonderbar.«
»Er braucht sie gar nicht zu sehen! Ich habe mein Zimmer für mich«, murmelte Beate.
»O, da kennst du Prinzeß Helene nicht!« klang es bitter.
»So?« fragte Beate, indem sie neben Klaudine die Treppe hinunterschritt. »Na, da gib mir doch einige Winke über diese kleine Prinzessin, von Lothar ist kein Wort herauszubringen.«
»Beate – ich – weißt du, ich bin nicht unparteiisch genug, um gerecht zu sein. Sie mag mich nicht, glaube ich, und kehrt mir gegenüber stets die schnippische Seite heraus. Diejenigen, denen sie wohl will, sind entzückt von ihr. Sie ist ein Sprühteufelchen, anziehend, ohne gerade hübsch zu sein, voller Leben, launisch –« Sie stockte. »Ja, ja«, sagte sie dann leise, »sie ist sehr reizend, sehr – und nun leb wohl, Beate!«
»Willst du weinen?« fragte die Cousine, »du hast so glänzende Augen!«
»Nein«, sagte Klaudine, »ich will nicht weinen.«
»Na, dann leb wohl, Herzenskind, und denke an frische Toiletten. Lothar will ein Fest geben. Ich meine, du wirst dann selbst diese ›sehr reizende‹ Prinzessin ausstechen, und nicht wahr, du leihst mir ein wenig deinen Rat, ich hin in der Hofsitte so unerfahren wie ein kleines Kind. Leb wohl, Schatz, leb wohl!«
Klaudine eilte ins Haus zurück in ihr kleines Stübchen. Ihr war, als sei die Welt aus den Fugen gegangen seit gestern. Sie wußte ja nur zu gut, warum Prinzeß Thekla ihr zweites Töchterchen nach Neuhaus brachte!
»Verloren!« flüsterte sie, »verloren für immer! Aber – kann man denn etwas verlieren, was man nie besaß?«
Sie war nicht ärmer als bisher, und doch – seit gestern, seit diesem bunten schrecklichen Gestern hatte sich riesengroß eine Hoffnung in ihr Herz gedrängt, sie hatte wider Willen an seinen nächtlichen Ritt tausend süße törichte Gedanken geknüpft. Hoffen und Bangen hatte sie bewegt bis zum grauen Morgen.
Welche Torheit! Er war nicht gekommen, um mit liebendem Auge ihren Schatten zu erspähen, er hatte nachsehen wollen, ob sie daheim sei, wie es ehrbaren Mädchen ziemt! O, er war sehr besorgt um die Ehre seines Namens!
Sie preßte die Hände vor die Augen, so fest, daß sie Feuerfunken zu sehen vermeinte, aber mitten darin gaukelte eine zierliche Mädchengestalt. Sie ließ die Arme wieder sinken und schaute durchs Fenster. War sie überhaupt noch bei Sinnen? Durch die roten Flecke, die noch vor ihren Augen tanzten, leuchtete jenseit des Gitters die Purpurlivree des herzoglichen Dieners, und nun stürzte Fräulein Lindenmeyer bereits ins Zimmer: »Klaudinchen! Fräulein Klaudine, die Hoheiten!«
Mit schwankendem Schritt trat Klaudine vor den Spiegel, setzte das weiße Strohhütchen auf, ließ sich von Fräulein Lindenmeyer den blaugefütterten Sonnenschirm in die Hand drücken und ging hinunter. Sie sah kaum, daß auf dem hohen Bock des sehr niedlichen zweisitzigen Wagens der Herzog in eigenster Person die Zügel hielt. Mechanisch beugte sie sich auf die Hand der Herzogin, deren zartes Gesicht vor Wonne über diese Spazierfahrt leuchtete.
»O, danke, danke, meine beste Klaudine, es geht mir vortrefflich!« sagte sie mit ihrer matten Stimme, »wie soll es auch anders sein? Dieses himmlische Wetter, dieser Tannenduft, der Herzog als Wagenlenker und Sie mir zur Seite! Sagen Sie selbst, meine Beste!«
Man war stundenlang in den Wäldern umhergefahren, vor einer einsamen Mühle wurde haltgemacht und die Herzogin hatte von der jungen, ganz bestürzten Müllersfrau ein Glas kühler Milch erbeten, während der Herzog dem Diener die Zügel zuwarf und plaudernd am Wagenschlag lehnte. Den ehrerbietig herzugeeilten Müller hatte er huldvoll nach dem Gange des Geschäfts gefragt und ihn geheißen, der Frau Herzogin die drei Buben vorzustellen, die mit den kleinen Prinzen just in einem Alter standen, und die fürstliche Frau hatte die blonden sonnverbrannten Kinder gefragt, was sie werden wollten, und auf die Antwort: »Soldaten!« jedem für die Sparkasse einen blanken Taler mit dem Bilde des Herzogs geschenkt. Dann war man weitergefahren, heimwärts, denn die Abendsonne begann durch das Tannengezweig zu leuchten.
Die Herzogin tat noch immer tausend Fragen. Gewaltsam mußte Klaudine ihre wild davonflatternden Gedanken zusammennehmen.
»Neuhaus hat Gäste«, sagte jetzt die fürstliche Frau, »dort weht die Standarte unseres Hauses.«
»Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla«, bestätigte Klaudine mit matter Stimme.
»Und Helene?«
»Prinzeß Helene wird ebenfalls erwartet, Hoheit.«
»Leb wohl, du schöne Einsamkeit!« rief die Herzogin.
Die Kutsche näherte sich rasch der niedrigen Mauer des Neuhäuser Parkes, ihr entgegen rollten in scharfem Trabe zwei Landauer, die Kutscher und Diener in großer Livree. Man mußte sich unmittelbar an der Einfahrt begegnen, und in der Tat, der Herzog senkte grüßend die Peitsche, und die Herzogin winkte freundlich mit der Hand zu dem Wagen hinüber, in deren braunseidenem Rücksitz zwei Damen saßen, gegenüber Baron Lothar. Klaudine sah, wie die junge Prinzessin, im koketten Reisemantel aus hellgrauer glänzender Seide, unter dem zierlichen Strohhütchen hervor einen spöttisch verwunderten Blick zu ihr hinüberwarf, wie Prinzeß Thekla die Lorgnette bei der Verneigung, die sie der regierenden Herzogin halb widerwillig zukommen ließ, kalten Auges auf sie richtete und wie Lothar sie kaum zu beachten schien. Nach ein paar Sekunden war man aneinander vorüber.
»Dort tritt die künftige Herrin in das Neuhäuser Schloß«, sagte der Herzog, und seine blitzenden Augen streiften das bleiche Mädchengesicht.
»Du meinst wirklich, Adalbert? Welch Glück für die kleine Verwaiste!«
Er antwortete nicht. Klaudine preßte die Hände um den Griff ihres Sonnenschirmchens, sie zwang sich gewaltsam, ihre tiefe Bewegung nicht zu verraten. Ahnte der Herzog, wer es war, den sie im Herzen trug? Sie konnte nicht hindern, daß eine heiße Röte sich über ihr Antlitz ergoß, und jetzt begegnete sie abermals dem forschenden Auge des Herzogs.
»Sie ist ein verwöhntes kleines Geschöpf«, sagte die Herzogin, die jetzt wie träumerisch in dem Polster des Wagens lehnte, »möge sie Glück bereiten und finden! Unter uns, liebste Klaudine, ich glaube, Geralds Neigung wird von ihr erwidert und von Prinzessin Thekla begünstigt.«
»Ich glaube es auch, Hoheit«, bestätigte Klaudine und erschrak fast über ihre harte Stimme. Es war mit einem Male seltsam kalt und still in ihr geworden.
In Neuhaus waren indessen die fürstlichen Gäste heimisch geworden. Prinzeß Helene hatte das Kind ihrer Schwester, das Frau von Berg den Damen im weißen, überreich mit Spitzen verzierten Kleidchen entgegentrug, geküßt und dann sofort Umschau gehalten. Sie war treppauf und -ab gegangen, hatte Türen geöffnet, in die Zimmer gesehen und gefragt, wo denn ihr Schwager sein Heim habe, um stehenden Fußes auch in dessen Räume einzudringen, die mit ihren Jagdtrophäen und Waffen, mit Bilderschmuck, mit antiken Möbeln und persischen Teppichen das Muster einer eleganten Herrenwohnung boten, und hatte dort, neugierig wie ein Kind, mit ihren schwarzen Beerenaugen alles gemustert. Sie war im Garten gewesen und wieder in das Herrenhaus gekommen und hatte da plötzlich vor einer Tür gestanden, die mit großer energischer Schrift die Worte: »Verbotener Eingang!« zeigte. Sofort hatte Ihre Durchlaucht den Drücker gebogen, und ihr dunkles Köpfchen lugte neugierig in das altvaterische Wohnzimmer. Wie das gemütlich aussah! Wie traulich das Abendrot die altersbraunen Möbel überhauchte! Und wunderbar, dort am offenen Fenster saß ein schlanker Mann und las, sein feines Profil hob sich scharf ab gegen das dunkle Grün der Bäume hinter den Scheiben. Er war so tief in den alten Lederband versunken, daß er gar nicht bemerkte, wie er beobachtet wurde.
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