Es war spät, als Lothar seinen Vetter durch den Wald nach dem Eulenhause fuhr. Auf dem Rückwege kam ihm der Wagen der Herzogin entgegen. In rasendem Tempo jagte er an dem Gefährt vorüber. Als er vor der Neuhäuser Rampe hielt, klirrte über ihm ein Fenster zu, und in dem Zimmer dort oben barg sich ein leidenschaftliches junges Gesicht wieder in die Kissen.

Prinzessin Helene hatte ihn fortfahren sehen, dort hinaus, wo das Eulenhaus lag. Gottlob, jetzt war er daheim!

14.

Im Eulenhause war eine Veränderung eingetreten. Fräulein Lindenmeyer hatte Besuch.

Es war erst ein mächtiges Hin- und Herschreiben gewesen, und dann war am Morgen nach dem Tage, als Klaudine mit der Herzogin spazieren fuhr, Fräulein Lindenmeyer mit verlegenem Gesicht in die Stube Klaudines getreten, einen offenen Brief in der Hand.

»Ach, Fräulein Klaudinchen, gnädiges Fräulein, ich hätte so eine rechte Herzensbitte.«

»Nun, meine liebe gute Lindenmeyer, dann ist sie bereits gewährt«, hatte Klaudine erwidert, indem sie für Joachims Frühstück Tee aufgoß.

»Aber Sie müssen es ehrlich sagen, gnädiges Fräulein, wenn es nicht paßt. Ich werde alles tun, damit keinerlei Störung zu bemerken ist, aber –«

»Nur heraus damit, Lindenmeyerchen«, hatte das schöne Mädchen sie freundlich ermutigt, »ich wüßte nicht, was ich Ihnen abschlagen könnte, es sei denn, daß Sie das Eulenhaus verlassen wollten, denn das würde ich nicht zugeben.«

»Ich von hier? O gnädiges Fräulein, das würde ich ja nicht überleben! Ach nein, das ist es nicht. Ich erwarte – ich soll – ich bekomme Besuch, wenn es die Herrschaft erlauben will.«

»Ei, wen denn, meine liebe Lindenmeyer?«

»Frau Försters Zweite, die Ida. Sie soll so ein bißchen Schick bekommen und feine Handarbeit lernen. Da hat sich nun die Försterin in den Kopf gesetzt, daß sie das bei mir altem Wurm am schönsten lernen würde. Ich tue es ja auch sehr gern, wenn Sie es erlauben. Sie könnte in dem Kämmerchen wohnen hinter meiner Stube, wenn –«

Die alte gute Seele hatte die Hände über ihren Brief gefaltet und ihre Augen sahen mit gespannter Erwartung zu der jungen Herrin hinüber.

»Na, das wird ja sehr hübsch für Sie«, lautete die freundliche Antwort, »lassen Sie das junge Mädchen nur bald kommen. Sie mag hier bleiben, solange es ihr gefällt.«

So stand anderen Tages, als Klaudine in die Küche trat, eine kleine runde Mädchengestalt am prasselnden Herdfeuer und wirtschaftete dort mit Tassen und Teekessel umher, als ob es gar nie anders gewesen wäre. Ein Paar schelmische blaue Augen sahen über das Stumpfnäschen hinweg zu Klaudine hinüber, und die Besitzerin dieser Augen machte einen etwas unbeholfenen Knicks, als sie die schöne schlanke Gestalt über die Schwelle treten sah.

»Aber, liebes Kind!« sprach Klaudine verwundert.

»Ach, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich das tun!« bat das Mädchen zutraulich. »Den ganzen Tag kann ich nicht bei Tante Doris in der Stube sitzen und sticken. Ich käme um dabei, wenn ich nicht ein bißchen Wirtschaft hätte. Bitte recht sehr, lassen Sie mich!«

»Aber das darf ich nicht annehmen, liebe Ida, gewiß nicht, ich verwöhne mich nur dadurch.«

»Ida möchte so gern etwas lernen«, sagte das Mädchen und schlug die schelmischen Augen nieder.

Klaudine lächelte. »Bei mir? 0, da sind Sie schlimm angekommen, ich bin selbst noch eine Lernende.«

»Gnädiges Fräulein, dann will ich nur die Wahrheit sagen, ich kann schon etwas in der Wirtschaft, aber in so manchen anderen Dingen fehlt es mir. Ich möchte nämlich gern eine Stelle als Kammerjungfer in S. annehmen, und da dachte ich, ich könnte, hier so ein wenig wegbekommen, wie man seine Dame zu behandeln hat beim Ankleiden, und so weiter. Lassen Sie mich das bißchen Wirtschaft hier tun und sich dafür meine ungeschickte Hilfe gefallen beim Nähen, Ankleiden und Schneidern.«

Die Blicke des Mädchens hingen so freudig erwartungsvoll an Klaudines Augen und sie selbst fühlte sich so müde und traurig, aber sie antwortete nicht und ging zu Fräulein Lindenmeyer.

»Gestehe es nur, Lindenmeyerchen«, sagte sie, sich zum Scherz zwingend und das alte Fräulein duzend, wie in ihrer Kinderzeit, »du hast dir Besuch eingeladen, um die Last der Wirtschaft von meinen Schultern zu nehmen?«

»Ach, Herzenskindchen«, jammerte das gutmütige Geschöpf, »so hat es die Ida doch dumm angefangen und wir hatten es uns so fein ausgedacht! Seien Sie nicht böse! Ich kann es nicht mit ansehen, wenn Sie des Morgens mit verwachten Augen herunterkommen und so blaß sind, so blaß! Es ist so ein altes Sprichwort: ›Rosenbeet und Ackerland gedeihen nie in einer Hand.‹ Wenn Sie frisch sein wollen bei Hofe, dann müssen Sie auch Ihr Recht haben, sonst ist es bald vorbei mit Ihrem weißen klaren Teint. Heinemann sagt es auch, er hat sich mit mir um die Wette geängstigt Ihretwegen. Und, Fräulein Klaudine, die Ida hat ihren regelrechten Profit dabei. Sie könnte durch ihre Tante die Stelle bei der Gräfin Keller als Kammerfrau bekommen, aber so weg von der Waldwiese geht es doch nicht. Wahrhaftig, es ist so!« beteuerte die alte Seele.

So hatte Klaudine plötzlich eine Hilfe bekommen. Es war eine ordentliche Behaglichkeit in das Haus eingekehrt und eifriger ist wohl nie eine Herrin bedient, herzlicher nie ein Kind verwöhnt worden wie Klaudine und die kleine Elisabeth. Heinemann strahlte ordentlich, wenn er der flinken Dirne auf dem Treppchen begegnete oder sie in der Küche die alten Volkslieder mit halblauter Stimme singen hörte. Jetzt weinte auch die kleine Elisabeth nicht mehr, wenn Tante Klaudine in dem schönen Wagen der Frau Herzogin fortfuhr, und Klaudine saß nicht mehr so abgespannt bei Tische, wie bisher, ohne einen Bissen zu genießen.

»Es ist ganz vornehm bei uns!« lächelte Joachim, als Heinemann zum erstenmal die einfachen Gerichte auftrug und Klaudine ruhig an ihrem Platz verblieb, »ich bin glücklich deinetwegen, Schwester.«

Klaudine hatte ihre Reise aufgegeben. Als sie der Herzogin von ihrer Absicht sprach, war diese in leidenschaftliches Schluchzen ausgebrochen: »Ich kann Sie nicht halten, Klaudine, gehen Sie!« Und da hatte sie, erschreckt und gerührt zugleich, versprochen zu bleiben. Nun kam der Hofwagen, der sie nach Altenstein holte, täglich früher. Die Neigung der fürstlichen Frau zu dem stillen schönen Mädchen wuchs eben täglich, und sie war jetzt ruhig, ganz ruhig. Sie fuhr in der Herzogin Wagen spazieren und saß in dem Boudoir derselben, vorlesend oder plaudernd. Zuweilen freilich trat der Herzog unangemeldet und rasch ein, von einem Freudenruf der fürstlichen Frau begrüßt, aber Klaudine fürchtete seine Begegnung nicht mehr. Keiner jener heißen Blicke war ihr mehr gefolgt, keine Silbe hatte er zu flüstern versucht, sie wußte, er hielt sein fürstliches Wort. Sie kannte ihn genau durch seine Mutter. Wie manchen tollen Streich hatte die alte Herzogin gelegentlich von ihm erzählt, von den Sorgen, die er ihr bereitet, von den Gebeten, die sie im heißen Flehen um diesen Sohn gesprochen, daß er nicht untergehen möge in dem wilden Treiben seiner Jugend! »Und«, hatte die alte Dame dann hinzugefügt, »es war doch nur überschäumende Jugendlust, sein Herz blieb edel. Er war zu lenken, wenn man das richtige Wort fand.« Und Klaudine meinte, sie habe das richtige Wort gefunden. Sie gehörte zu den edlen Naturen, die nicht ruhen, bis sie das Gute in einer Menschenseele entdeckt haben, die suchen und suchen und, wenn sie das Gold gefunden haben, keine Grenzen kennen im Verzeihen.

Sie verzieh dem Herzog stillschweigend die Beleidigung, die er ihr zugefügt hatte, als sie sah, wie ritterlich er seine Leidenschaft bekämpfte, wie er sich bemühte, gegen seine Gemahlin geduldiger zu sein als vordem, wie er in ihr die Freundin dieser Gemahlin ehrte. An die Herzoginmutter schrieb Klaudine, es waren dankbare, gerührte Worte, mit denen das schöne Mädchen ihr Glück pries, sich die bevorzugte Gefährtin der Herzogin nennen zu dürfen. »0, wenn Eure Hoheit wüßten«, hieß es darin, »wie glücklich ich bin in der Liebe und dem Vertrauen des edelsten Herzens, ich sinne nur darauf, wie ich dafür danken kann, daß ich die Freundin dieser liebenswürdigen Fürstin geworden. Ihre Hoheit trägt nicht nur äußerlich die Liebe für ihren hohen Gemahl zur Schau, Ihrer Hoheit ganzes Sein und Wesen ist so in diese Liebe getaucht, daß Hoheit sich verstellen müßten, wollten sie dieselbe verbergen.«

Klaudine schien lebhafter als seit langer Zeit. Sie konnte mit Ungeduld den Wagen erwarten, der sie nach Altenstein holte. Die Herzogin hatte eines Tages, schüchtern wie ein Schulmädchen, ein paar Hefte in Klaudines Hand gelegt. Es waren liebliche kleine Gedichte, von ihr verfaßt. Zuerst jubelnde Lieder der Brautzeit, dann die tiefinnerlichen Glücksworte der jungen Ehefrau, und zuletzt die Verse, die sie aufschrieb an der Wiege ihrer Söhne.

Auch einige kleine Novellen waren darunter, eigentümlich erdacht. Es gab da immer ein paar Menschen, die sich über alles lieben und getrennt werden durch den Tod, durch einen tückischen Zufall, durch ein unabweisbares Verhängnis, niemals aber durch die Schuld des einen oder anderen. Klaudine hatte gestaunt über die traurigen Abschlüsse, aber nicht gewagt, darüber zu sprechen.

So waren acht stille schöne Tage vergangen. Die Neuhäuser hatten diesen Frieden nicht gestört, wie die Herzogin anfänglich befürchtet hatte. Prinzeß Helene war einigemale wie ein Wirbelwind in den Zimmern der Herzogin erschienen, hatte aber deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die größtmögliche Eile habe, zu dem süßen Baby ihrer verstorbenen Schwester zurückzukehren. Die alte Prinzeß lag derweilen in Neuhaus mit verletztem Fuß auf einem Ruhebett. Klaudine sah Beate nur einmal flüchtig, als diese in aller Morgenfrühe nach dem Eulenhaus gewandert war, um sich nach einigen kleinen Prinzessinnenangewohnheiten zu erkundigen und eine Menge köstlicher Kuchenstückchen und sonstiger Süßigkeiten abzuladen. Sie sprach sich anerkennend aus über die neue Einrichtung im Eulenhaus, den Besuch des Fräulein Lindenmeyer betreffende Im übrigen war sie still und gedrückt und hatte auf Klaudines Frage nur gesagt, sie wünsche weiter nichts, als vier Wochen älter zu sein. Es sei fürchterlicher, als sie sich gedacht, kein Winkelchen sei im ganzen Hause, wo man seines Lebens sicher wäre vor der Prinzeß, diesem Irrwisch, und Lothar erwidere ihre Klagen mit Achselzucken.