Klaudine hatte das Haupt gesenkt, als käme jetzt ein Blitzstrahl, der die letzte Hoffnung vernichten müßte, aber Beate war still geworden und hatte dann von etwas anderem gesprochen.
Heute, an einem echten köstlichen Sommertage, hatte die Herzogin den Tee im Parke befohlen, dort, wo die Waldbäume an den Garten stoßen, an jenem Platze, wo Joachims Weib für immer eingeschlafen war. Unter den alten Eichen schaukelte die Hängematte der Herzogin, und Klaudine, im leichten weißen Kleide, saß neben ihr auf einem bequemen, mit Leinen überspannten Sessel aus Bambusstäben und las. Vor ihr auf dem Tischchen aus kunstvoller Flechtarbeit lag die unvermeidliche Wollstickerei der Frau von Katzenstein. Diese selbst stand etwas seitwärts und bereitete den Tee. Im Schatten einer mächtigen Kastaniengruppe, von den Damen um die Breite des Kiesplatzes getrennt, spielte der Herzog Luftkegel mit den zwei ältesten Prinzen, dem Rittmeister von Rinkleben und Herrn von Palmer. Das Jubeln der Kinder, das Lachen und das Klappen der umfallenden Kegel tönte herüber und die Augen der Herzogin sahen mit glückseligem Ausdruck dorthin.
»Halten Sie ein, Klaudine«, bat sie jetzt. »Der Tag ist so schön, die Sonne so golden und diese Erzählung so düster. Heute erscheint mir das so unnatürlich. Was glauben Sie, was noch geschehen wird? Mit jenen beiden in dem Buche, meine ich.«
»Hoheit, ich fürchte, es endet entsetzlich«, sagte die junge Dame und legte gehorsam das Buch auf den Tisch.
»Er hat sich ja bereits Gift verschafft«, gab die Herzogin zu.
»Ja«, erwiderte Klaudine, »sie wird sterben müssen.«
»Sie?« fuhr die Herzogin erstaunt auf, »aber, beste Klaudine, welch entsetzliche Phantasie! Er selbst will sich vergiften, weil er fühlt, er kann mit ihr nicht leben, und ebensowenig ohne die andere.«
»Ich weiß nicht, Hoheit«, stotterte das Mädchen, »dem Gange der Geschichte nach vermutete ich –«
»Bitte, geschwind das Buch!« rief die Herzogin. Sie schlug es auf und las das Ende. »Mein Gott, Klaudine, Sie haben recht«, sagte sie dann.
»Es ist psychologisch auch nicht anders möglich, wenn Hoheit der Charakterschilderung des Mannes, gefolgt sind –«
»Es ist mir nichts besonderes an ihm aufgefallen«, unterbrach die Herzogin. »Nein, Klaudine, das ist unwahr! Wir wollen das Buch nicht weiterlesen, die Welt ist so schön und ich bin so froh, so leicht heute.«
Sie warf die seidene Decke zurück, die über ihr mattrotes Foulardkleid gebreitet war, und winkte mit der Hand hinüber zu den Kastanien.
»Sehen Sie, Klaudine, da kommt eben der Herzog. Er scheint müde vom Spiel. Mein lieber Freund, ich bin etwas zu faul heute für unsere Dominopartie, aber vielleicht übernimmt Fräulein von Gerald meine Stelle? Bitte, das Tischchen hierher«, befahl sie und wandte sich in der Hängematte herum, stützte das Haupt auf die Hand und sah zu, wie der Herzog Klaudine gegenüber Platz nahm, die Steine verteilte und die seinigen aufbaute.
Klaudines schlanke Finger begannen plötzlich zu zittern, sie neigte das schöne Gesicht tiefer über die schwarzweißen Steinchen und eine rosige Glut stieg ihr bis unter das wundervolle üppige Blondhaar. Dort drüben, jenseits des Rasenplatzes, war etwas blaues aufgetaucht, flatterte näher wie ein zierlicher Schmetterling und blieb dann mit einemmal regungslos stehen. Und hinter diesem Blauen?
»Ah, mein Kind«, sagte die Herzogin halblaut, »Sie scheinen zerstreut, der Herzog wird das Spiel gewinnen.«
»O, das ist ja eine idyllische Gruppe, das ist, als habe Watteau sie gestellt! Ich fürchte, Baron, wir stören«, rief die in hellblaues Leinen gekleidete Prinzessin und wandte sich mit einem halb spöttischen, halb ärgerlichen Ausdruck nach rückwärts, wo ihre Mutter am Arme des Schwiegersohnes ging, gefolgt von dem Kammerherrn und der Hofdame. Und sie blickte in Lothars Gesicht, das, wie aus Erz gegossen, keinen Zug veränderte.
Die alte Prinzessin nahm die Lorgnette vor die Augen und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Vorwärts, mein Kind, du wünschtest Elisabeth zu überraschen, übernimm also die Anmeldung, bitte!«
Prinzeß Helene bewegte sich vorwärts, aber sie flatterte nicht mehr und ihre schwarzen Augen sahen sehr unzufrieden drein. Sie klappte geräuschvoll ihr Sonnenschirmchen zu, als sie sich näherte, und blieb dann mit einer schmollenden Miene stehen. »Verzeihung, Hoheit, wenn ich störe –«
Die Herzogin blickte auf und lachte. »Wo kommst du her, Wildfang?« Und sie streckte ihr die Hand entgegen. »Bist du über die Mauer geflogen, oder –?«
»Mit dem Neuhäuser Wagen gekommen. Mama, Baron Gerold und die anderen sind dort hinten und bitten um den Vorzug, Hoheit begrüßen zu dürfen.«
Sie verneigte sich anmutig vor dem Herzog und küßte die Hand der Herzogin. Klaudine, die neben dieser stand, schien Ihre Durchlaucht nicht zu bemerken.
Der Herzog schritt der alten Prinzessin entgegen und führte sie seiner Gemahlin zu, Lothar kam bei der Begrüßungsszene neben Klaudine zu stehen, aber vergeblich wartete sie auf ein Wort, sie erhielt nur eine stumme Verbeugung. Man nahm Platz, ein lebhaftes Gespräch entspann sich zwischen den fürstlichen Damen. Prinzeß Thekla bat um Entschuldigung, daß sie sich so unverantwortlich spät nach dem Befinden Ihrer Hoheit erkundigt habe, aber sie habe einen Unfall auf der Neuhäuser Schloßtreppe erlitten und sechs Tage lang Arnikaumschläge auf dem Fuße gehabt, auch wären Prinzeß Helenes Besuche so flüchtig gewesen, sie sei aus der Kinderstube und aus dem Neuhäuser Schlosse gar nicht wegzubringen, sie habe sich sogar von Fräulein Beate eine leinene Schürze geborgt und sei mit ihr in allen Wirtschaftsräumen umhergelaufen, auf dem Boden und in Keller und Speisekammer. »Gestern ertappte ich sie in der Küche beim Himbeereinkochen! Ja, ja, verstecke nur deine Arbeitsfingerchen!«
Die Herzogin wandte sich lächelnd an Prinzeß Thekla. »Wie befindet sich das Enkelkindchen?« fragte sie.
»Nun, es erholt sich ja«, antwortete die alte Dame widerwillig, »aber noch lange nicht genügend. Die gute Berg hat wohl die Vorschriften des Arztes etwas allzustreng befolgt – niemals Medizin, aber dafür kühle Abwaschungen und frische Luft von früh bis abends. Das Kind ist dafür viel zu zart.«
»Mein Töchterchen läuft bereits ein wenig, wenn auch noch schwankend«, fügte der Baron gelassen hinzu, »und da sie die normale Größe einer zweijährigen jungen Dame hat, klettert sie auf Sofas und Stühlen umher.«
»Noch lange nicht genug«, wiederholte Prinzeß Thekla.
»Ich bin mit diesem wenigen schon sehr zufrieden«, erwiderte er.
Klaudine hatte sich inzwischen freundlich zu Komtesse Moorsleben gewandt und fragte sie irgend etwas. Wenige Worte, wobei die lustigen braunen Augen der jungen Dame nach einer ganz anderen Richtung schauten, waren die Erwiderung.
Befremdet schwieg Klaudine. Die kleine Prinzessin ihr gegenüber im Schaukelstuhl sah sie schon eine ganze Weile mit herausfordernden Blicken an. Klaudine richtete ihre schönen blauen Augen ruhig und wie fragend auf diese dreisten schwarzen Sterne, da wandte sich der dunkle Lockenkopf und ein verächtlicher Zug flog um den fast zu vollen kleinen Mund.
»Die jungen Damen sollten eine Partie Krocket spielen «, schlug die Herzogin vor. »Die Herren dort drüben werden sich gern beteiligen. Meine liebe Klaudine, geleiten Sie die Prinzessin und Komtesse Moorsleben hinüber und geben Sie den Befehl die Reifen aufzustellen.«
Klaudine erhob sich.
»Verzeihung, Hoheit, – ich danke!« sagte Prinzeß Helene, »ich bin etwas ermüdet.« Sie legte den Kopf an die Lehne des Schaukelstuhles und wiegte sich langsam. Komtesse Moorsleben setzte sich auf die abschlägige Antwort ihrer Gebieterin sofort wieder hin. Auch Klaudine nahm ruhig Platz.
Es wurde Eis gereicht und Tee und Kaffee in kleinen Porzellantassen. Die Herren kamen jetzt vom Spielplatz herüber und gesellten sich zu den Herrschaften. Klaudine sah plötzlich zwei Herren hinter ihrem Stuhl, Herrn von Palmer und den Rittmeister von Rinkleben. Sie wandte sich zu letzterem und war bald mit ihm im Gespräch. Da sie seine jüngere Schwester aus der Pension kannte, fragte sie nach ihrem Ergehen. Er gab einen langen Bericht über ihre Heirat und das Glück, das sie gegen alle Erwartung darin gefunden. Enge Verhältnisse, schmales Auskommen, und doch sei sie heiter und zufrieden.
»O ja«, stimmte die junge Dame bei, »es läßt sich mit ein wenig Zufriedenheit das engste kleine Heim ganz köstlich ausschmücken.«
»Ein sprechendes Beispiel gibt gnädiges Fräulein selbst; Eulenhaus ist ein Idyll, ein Traum, wo Sie walten wie eine Fee des Behagens«, fiel Palmer ein. »Das Bewußtsein freilich, daß dies nur eine Episode ist, hilft wohl diesen Zauber vollenden. Es ist leicht, zufrieden zu sein, schaut man in der Ferne einen Tempel des Glückes.«
Klaudine sah ihn fragend an.
»Etwas dunkel, Herr von Palmer, ich verstehe Sie nicht«, sagte Klaudine.
»Wirklich nicht? Ah, meine Gnädige, bei Ihrer glänzenden Fassungsgabe. Es muß Ihnen doch sehr heimisch hier vorkommen«, fuhr er ablenkend fort, »hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo Sie endgültig den Sitz Ihrer Väter wieder beziehen. Die ewigen Fahrten von und nach dem Eulenhause sind doch lästig, meine ich, und noch dazu in nächster Zeit, wo die Festlichkeiten in Altenstein und Neuhaus sich jagen werden.«
»Ich habe heute Unglück, Herr von Palmer, schon wieder will mir der Sinn Ihrer Rede nicht klar werden.«
»So betrachten Sie doch die Worte prophetisch, Fräulein von Gerold!« sagte eine helle Stimme, und der Erbprinz, ein bildschöner Junge von zwölf Jahren mit den großen schwärmerischen Augen seiner Mutter, rückte mit seinem Sessel zu Klaudine hinüber, »Propheten reden ja immer dunkel«, setzte er hinzu.
»Bravo, Hoheit!« rief Herr von Palmer lachend.
"Das Eulenhaus" отзывы
Отзывы читателей о книге "Das Eulenhaus". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Das Eulenhaus" друзьям в соцсетях.