»Ich wollte, Herr von Palmer hätte wahr geweissagt«, fuhr der Erbprinz fort und sah mit der knabenhaft kecken Bewunderung seines Alters auf das schöne Mädchen. »Sie könnten wohl ganz zur Mama kommen, gnädiges Fräulein. Mama sagte erst gestern zu Papa, es würde nett sein, wenn Sie nicht immer wieder fortführen.«
Herr von Palmer lächelte noch immer.
»Das kann ich leider nicht, Hoheit, ich habe daheim meine Pflichten«, erwiderte Klaudine ruhig. »Wie gern käme ich sonst nach meinem lieben Altenstein!«
»Es ist eine köstliche Besitzung«, lenkte der Rittmeister ab, »welch wundervoller Garten!«
»Er war Großpapas Steckenpferd«, bemerkte Klaudine traurig.
»Sie haben hier immer mit Ihrem Bruder und anderen Kindern >Räuber und Prinzessin< gespielt, als Sie noch klein waren?« fragte der Erbprinz, ohne einen Blick von dem Gesicht der jungen Dame zu wenden.
»Dort unten«, nickte sie und wies nach links, »an der Mauer, wo die kleine Pfortentür ist, die wurde dann zu Ausfällen benutzt.«
»Herr Rittmeister«, rief Prinzeß Helene jetzt laut, »ich möchte nun doch eine Partie Krocket machen! Kommen Sie, Isidore!«
Die Komtesse und der Rittmeister erhoben sich und eilten nach dem Rasenplatz. Prinzeß Helene zögerte noch, »Baron«, sagte sie dann zu Lothar von Gerold, »sind Sie nicht auch dabei?«
Er erhob sich und schaute sie an, während er sich zustimmend verneigte. »Haben Durchlaucht schon alle Personen befohlen, die am Spiel teilnehmen sollen?« fragte er dann.
»Warum? Sie sehen ja, wir sind zwei zu zwei.«
»Nicht mehr als vier? Ah so! Hoheit!« wandte er sich an den Erbprinzen, »Prinzeß Helene wünscht Krocket zu spielen – ich weiß, wie Sie das Spiel lieben.«
Der Fuß der kleinen Durchlaucht trat ungeduldig den Rasen.
»Ich muß bedauern«, erwiderte der Prinz ernsthaft, »Fräulein von Gerold hat soeben versprochen, mir den Platz zu zeigen, wo ich mit meinem Bruder am besten eine Festung bauen kann. Das ist mir interessanter.«
Baron Lothar lächelte. Er blieb einen Augenblick stehen und sah, wie der junge Prinz Klaudine mit einer allerliebsten Wichtigtuerei den Arm bot.
Die Herzogin folgte dem schönen Mädchen am Arm des Knaben mit erstaunter Miene. »Warum spielt Fräulein von Gerold nicht mit?« fragte sie den Baron.
»Hoheit, Prinzeß Helene wählte soeben selbst ihre Mitspieler«, erwiderte er.
»Bitte, Baron«, sagte die Herzogin liebenswürdig, aber bestimmt, »gehen Sie Ihrer Cousine nach und sagen Sie ihr, wie sehr ich bedaure, daß man sie aufzufordern vergaß, und bringen Sie sie womöglich zurück. Der Hofmeister des Erbprinzen, der dort eben kommt, wird so lange Ihre Stelle übernehmen.«
Der Baron verbeugte sich und ging, sich bei der Prinzeß zu entschuldigen und dem Hofmeister den Hammer in die Hand zu drängen. Dann schlug er langsam und auf Umwegen die Richtung ein, die seine Cousine genommen hatte.
Die Nase der alten Prinzeß war während dieses Vorganges plötzlich spitz und weiß geworden.
»Verzeihung, Hoheit«, sagte sie und setzte die zierliche Tasse klirrend auf das Tischchen, »Helene hatte sicher nicht die Absicht, zu kränken, sie meint es nur gut und sie liebt Eure Hoheit schwärmerisch. Ihr ehrliches Herz geht eben immer mit ihr durch, und –«
»Ich sehe nicht ein, was die Ehrlichkeit damit zu tun hat, liebste Tante«, erwiderte die Herzogin und ihre Wangen färbten sich purpurn vor Erregung.
Herr von Palmer sah zu dem Herzog hinüber, der von diesem kleinen Wortwechsel nicht die geringste Notiz nahm. Hoheit spielte mit seinem Augenglas, indem er ernsthaft der weißen schwebenden Mädchengestalt nachschaute, an deren Arm zutraulich der Erbprinz hing und sie nach allem möglichen befragte. Sie war schon eine ganze Weile in dem dichten Gewirre eines Jasmingebüsches verschwunden. Da wandte der Herzog langsam den Kopf zurück und begegnete den Augen der Prinzeß Thekla, die noch funkelnder aussahen als sonst, es lag ein verbissener, schadenfroher Ausdruck über ihrem mageren Gesicht.
»Er macht zeitig den Hof«, sagte der Herzog unbefangen, »der Junge ist ja Feuer und Flamme!«
»Und guten Geschmack hat er auch«, ging die Herzogin fröhlich auf den Scherz ein.
»Das hat er von seinem Papa«, schrillte die Stimme der alten Prinzessin, und das liebenswürdigste, harmloseste Lächeln der Welt verdrängte für einen Augenblick die Verbissenheit. Sie sah aus, als hätte sie nie ein Wässerchen getrübt, und setzte sich noch einmal so aufrecht in ihren Stuhl zurück.
Der Herzog nahm verbindlich den Hut ab und verneigte sich vor ihr.
»Ja, meine allergnädigste Tante, ich sah stets lieber eine schöne Frau, als eine häßliche, und wenn Sie meinen, der Erbprinz habe diese Eigenschaft von mir, so machen Sie mich glücklich. Ich danke Ihnen.«
In Herrn von Palmers scharfgeschnittenem Gesicht wetterleuchtete es vor unterdrückter Heiterkeit. Es war ja unbezahlbar. Wenn die Berg das hören könnte! Prinzeß Thekla zupfte nervös an den Spitzen ihres Taschentuches, die Herzogin aber warf dem Gemahl einen bittenden Blick zu, sie kannte vollauf seine Abneigung gegen Tante Thekla. – Jetzt würdigte sie Seine Hoheit keines Wortes mehr, sie wandte sich zu der Herzogin und überschüttete sie mit wahrhaft unheimlichen Freundlichkeiten, die eine mitleidige Färbung hatten, wie man zu Leuten zu sprechen pflegt, die unverschuldet einen großen, großen Kummer tragen, eine Freundlichkeit, die nervöse stolze Naturen bis aufs Blut peinigen kann.
Die Herzogin verstand sie nicht, aber sie litt unter all den Fragen und Ratschlägen und Erkundigungen, und als endlich Prinzeß Thekla seufzte: »Wenn ich nur ganz gewiß wüßte, ob Eurer Hoheit dieses Altenstein gut tun kann?« ward sie ungeduldig und bat, man möge sie hinaufführen, sie fühle sich ermüdet.
Das galt als Zeichen zum Aufbruch. In kurzer Zeit war der Platz unter den Eichen leer, lagen die bunten Kugeln verlassen auf den Wegen, und auf der Straße rollten die beiden Prinzessinnen nebst ihrer Begleitung Neuhaus zu.
15.
Klaudine war mit dem jungen Erbprinzen dem letzten Teile des weiten Parkes zugeschritten. Sie war innerlich froh, fortzukommen aus dem Bereiche von Lothars Augen, die ihr weh taten. Die absichtliche Kränkung der kleinen Prinzeß hatte sie kaum verletzt, es erschien ihr so überaus kindisch, daß sie sich nicht die Mühe nahm, weiter darüber nachzudenken. Es hatten ja stets kleine Plänkeleien von jener Seite gegen ihre Person stattgefunden, warum die Prinzessin es aber heute, sogar unter den Augen des Herzogs und der Herzogin, wagte, ihre Abneigung in so herausfordernder Weise zu zeigen, begriff sie allerdings nicht. Die kleine Durchlaucht mußte sehr schlechter Laune gewesen sein, oder – sollte sie mit dem hellsehenden, ahnenden Geist der Liebe Klaudines Gefühle für den Mann, den sie begehrte, erkannt haben? Aber doch nicht! Die Prinzessin war ja ihrer Sache sicher, so sicher, daß sie sogar Beates Wirtschaftsschürze lieh und ein wenig Hausfrau spielte im künftigen Heim.
Und auch Lothar mußte dieses wetterwendischen koketten kleinen Herzens gewiß sein; sonst würde er sich kaum erlaubt haben, sie in so ironischer Weise auf ihre Unart aufmerksam zu machen.
Klaudine runzelte plötzlich die Stirn und biß sich auf die Lippen. Was ging ihn das an, wenn ihr weh geschah? Sie wußte doch wahrlich selbst, wie weit man ihr gegenüber gehen dürfte, sie wußte sich allein zu verteidigen, sie wollte keine Bevormundung, kein Mitleid, am allerwenigsten von ihm!
Sie war mit ihrem jugendlichen Begleiter in den einsamsten Teilen des Parkes angelangt, wo schon zu ihrer Kinderzeit die Büsche und Bäume wuchsen und wachsen durften, wie sie wollten. Es war eine feuchte, moosdurchduftete Wildnis, von einem kleinen Bach durchrieselt, an dem die Farnkräuter in üppigster Pracht ihre grünen Wedel enfalteten. Unter der kleinen Brücke, aus Birkenstämmchen gezimmert, gluckste und schluchzte das Wasser noch ebenso eigentümlich wie damals, als sie, ein Kind, hier umhergestreift. Dort war das halbzerfallene Mooshüttchen, das bei ihren Spielen bald als Gefängnis, bald als Ritterburg diente. Wie oft hatte sie darinnen gesessen als gefangenes Burgfräulein! Ein wehmütiges Gefühl beschlich sie, als sie dem Prinzen davon erzählte und ihm alles zeigte. Da war auch der Grabstein, unter dem Joachims Lieblingshund lag, die kleine gelbe Dachshündin, die Lola hieß und so klug war, daß sie ihn niemals verriet, wenn die Kinder Verstecken spielten.
»Wo geht es dort hinaus?« fragte der Prinz, auf eine schmale, niedere Pforte in der Mauer deutend.
»In das Dorf, Hoheit«, erwiderte Klaudine. »Die Pforte wird benutzt zum sonntäglichen Kirchgang.«
Der wißbegierige Prinz zog das schöne Mädchen immer weiter an der Mauer entlang, sie mit allerhand Fragen bestürmend. Plötzlich erblickte er einen Häher in einem der hohen Bäume und vergaß seine Dame und seine Ritterpflicht, in dem er dem Vogel nachlief, der durch die Äste streifte, als wollte er den Knaben necken, bald hier, bald dort auftauchte und verschwand, immer weiter und weiter.
Klaudine, die, in ihren wehmütigen Erinnerungen versunken, achtlos dahingegangen war, kam erst nach einer ganzen Weile zum Bewußtsein, daß sie allein sei. Sie holte tief Atem und wischte mit dem Tuch über die Augen. Was wollte sie denn eigentlich? Es war doch nicht anders, als es eben war! Mit Kopfhängen und Tränen zwingt man doch nichts verlorenes zurück, mit Weinen und Sehnen kann man nichts erringen, was einem versagt sein soll nach Gottes Ratschluß. »Es wird die Zeit kommen, wo es nicht mehr schmerzt«, tröstete sie sich, »sie muß kommen, rs wäre ja nicht möglich, zu leben mit der brennenden Wunde im Herzen!«
Sie war stehen geblieben, es hatten sich doch ein paar große Tropfen an den Wimpern gesammelt. Jetzt, wo sie allein, wollte all das Weh hervorbrechen, das sie empfand. Sie meinte in diesem Augenblick, sie würde es nicht ertragen, ihn mit lächelnder Ruhe neben jener anderen zu sehen, als das erklärte Eigentum einer oberflächlichen unartigen kleinen Frau.
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