»Verzeihen Sie, Cousine«, klang plötzlich seine Stimme in ihr Ohr. Sie wandte sich mit jähem Erschrecken, und blitzgeschwind fiel ein funkelnder Tropfen aus dem Auge auf ihre Hand, die sie hastig mit der anderen verdeckte.
»Ich würde nicht gewagt haben zu stören«, fuhr er fort. »Ihre Hoheit beauftragte mich aber, Ihnen zu sagen, wie leid es Hochderselben tue, Sie verletzt zu wissen.«
»Hoheit ist wie immer gütig«, scholl es kühl zurück. »Ich bin nicht verletzt, derartiges lernt man übersehen und beurteilen nach Verdienst.«
»Es scheint, Sie haben viel gelernt in der letzten Zeit, Cousine«, sagte er bitter und ging neben ihr weiter. »Ich erinnere mich der Zeit, wo Sie noch scheu vor jedem Blick flohen, und ich dächte, das ist noch gar nicht so lange her.«
»Gewiß!« erwiderte sie. »Urplötzlich erstarkt ein schwaches Herz, sobald es fühlt, es muß allein für sich einstehen. Ich bin übrigens dreiundzwanzig Jahre alt, Vetter, und in der letzten Zeit gewaltsam aufgerüttelt aus dem sorglosen Mädchenleben.«
»Es ist etwas großes um eine stolze Frauenseele«, antwortete er ironisch, »nur schade, daß dieser Stolz beim ersten Anprall des Lebens so leicht brechen kann. Mich rührt es stets«, fuhr er fort, »wenn ich sehe, wie ein Weib, das die Welt nicht kennt, mit einem Mut sondergleichen sich auf einen unmöglichen Posten stellt. Man möchte sie zurückreißen von dem schwindelnden Abgrund und wird doch nur kalt lächelnde Zurückweisung dafür ernten.«
»Vielleicht besitzt dennoch die eine oder die andere neben dem Mut auch die nötige Stärke, auf dem Posten auszuhalten«, sagte Klaudine, bebend vor innerer Erregung.
»Möglich!« erwiderte er achselzuckend. »Es gibt Naturen, die da von sich als von einer Ausnahme denken: ›Seht, das kann ich wagen, ungestraft wagen!‹ Sie sind dann plötzlich am tiefsten zu Boden geschmettert.«
»Meinen Sie?« fragte sie ruhig. »Nun, es gibt auch Naturen, die hoch genug von sich denken, um den Weg zu gehen, den ihr Gewissen und die Pflicht sie wandern heißt, ohne nach rechts oder nach links zu sehen und ohne auf unberufene Wegweiser zu achten.«
»Unberufene?«
»Ja!« rief sie, und ihre schönen Augen blitzten in leidenschaftlicher Erregung. »Wie kommen Sie dazu, Baron Gerold, mir Ihre dunklen Weisheitssprüche, Ihre rätselhaften Sarkasmen aufzutischen, sobald Sie mich erblicken? Haben wir je miteinander so gestanden, daß Sie diese Bevormundung wagen dürfen?«
»Niemals!« antwortete er tonlos.
»Und wir werden auch niemals so stehen«, fuhr sie bitter fort. »Ich kann Ihnen aber, falls es Sie beruhigt, die Versicherung geben, daß der Name ›Gerold‹ durch mich nicht leiden wird, denn – und das ist doch wohl Ihre alleinige Sorge – ich kenne meine Pflicht.«
Er war blaß geworden.
Sie eilte jetzt schneller vorwärts, er blieb etwas zurück und holte sie dann an der schmucken Gärtnerei, in der Heinemanns Tochter mit ihrem Manne wohnte, wieder ein.
»Der Platz ist verlassen«, bemerkte er jetzt, nach vorwärts deutend, »die Herrschaften scheinen im Schlosse zu sein.«
In der Tat, unter den Eichen war es einsam, ein Diener, der dort aufräumte, berichtete, die Durchlauchten seien nach Neuhaus gefahren und Ihre Hoheit erwarte Fräulein von Gerold in ihrem Zimmer. Der Wagen von Neuhaus werde zurückkommen.
Sie wandte sich dem Schlosse zu. Die Abendsonne übergoldete die Wipfel der Bäume und ließ die zahllosen Fenster in dem altersgrauen Sandsteingemäuer in Feuergarben aufsprühen. Ein rosiger Schimmer färbte die Luft, aus dem Dorfe klang die Abendglocke des Kirchleins.
»Leben Sie wohl«, sagte Lothar stehen bleibend, »ich möchte versuchen, Seine Hoheit aufzufinden, um mich bei ihm zu verabschieden. Sie wissen ja Bescheid in diesen Gängen, können ja überhaupt des Wegweisers entbehren.«
Er verbeugte sich tief vor ihr.
Stolz neigte sie den Kopf. Sie wußte ja, daß jene schwachen Fäden der verwandtschaftlichen Rücksichten, die sie in der Abgeschiedenheit des Landlebens oberflächlich aneinander gefesselt hatten, gewaltsam zerrissen waren, eben zerrissen, als sie sich unberufene Ratschläge verbat. War sie zu schroff gewesen? Ihr Fuß zögerte einen Augenblick, bevor sie weiterschritt, dann ging sie doppelt rasch in dem überschatteten Wege dahin, der zur Hauptallee führte.
Um eine Biegung trat plötzlich der Herzog. Er nahm den Hut ab und schritt, ihn in der Hand behaltend, neben ihr. Er sprach über die Parkanlage und wies auf eine Gruppe prächtiger Blutbuchen, die sich wirkungsvoll von dem lichten Grün der dahinter stehenden Lärchen abhob. »Wo haben Sie den Baron gelassen, gnädiges Fräulein?« fragte er dann.
»Eben verließ mich mein Vetter«, antwortete sie, »wenn ich nicht irre, wollte er Eure Hoheit aufsuchen, um sich zu verabschieden.«
»Ah! Nun, er wird mich zu finden wissen. Ich habe überdies ein Attentat auf ihn vor, ich will ihn festhalten heute abend; er soll eine Partie Billard mit mir spielen. Meine launische kleine Cousine muß eine Strafe haben.« Er lächelte dabei und sah Klaudine forschend an. »Sie waren hoffentlich nicht verletzt von diesem Kinderstreich?« fragte er und trat neben ihr in die große Allee, die zum Schlosse führte.
»Nein, Hoheit!« erwiderte Klaudine, indem sie mit verdüsterten Blicken dem Schlosse entgegensah. Vor der Freitreppe standen zwei Herren im Gespräch, eben wandte sich der eine.
»Bei Gott, Rittmeister«, sagte er leise, »sehen Sie – wie weiland Ludwig der Vierzehnte, wenn er der Lavalliere seine Ehrfurcht bezeigen wollte.«
Der Angeredete schwieg, aber er sah mit einem befremdeten Ausdruck auf das Paar, das scheinbar so einträchtig daherkam.
Oben, am Erkerfenster der Herzogin, aber flatterte ein weißes Tuch und das schmale Gesicht der fürstlichen Frau lächelte hinter den Scheiben.
Die Herren ließen mit tiefer Verbeugung den Herzog und Fräulein von Gerold vorbei. Sie sah merkwürdig aus, die schöne Freundin der Herzogin, ein harter Zug lag um den sonst so lieblichen Mund. Im Schlosse angelangt, stieg sie die Stufen empor, so langsam und müde, als trage sie eine schwere Last auf den Schultern. »Nun ist alles vorüber«, sagte sie noch einmal und betrat das Vorzimmer zu den Gemächern der Herzogin.
»Klaudine«, rief diese, die am Fenster nach ihrem Liebling ungeduldig ausgeschaut hatte, und schlang die Arme um den Hals des schönen Mädchens, »Sie sind so lange geblieben! Wie Sie fortgingen, wurde ich auf einmal so ungeduldig, ich wäre Ihnen am liebsten nachgegangen, ich kann wirklich nicht mehr ohne Sie sein. Hören Sie, Klaudine?«
Sie zog die Schweigende neben sich auf das kleine Polstermöbel im Schatten der roten Vorhänge und sah in die traurigen blauen Augen.
»Armes Herz, Sie wurden verletzt vorhin, die Kleine war unartig und wird ihre Strafe bekommen. Es ist die Geschichte von dem Gänschen, das neben dem Schwan sich nur durch Geschrei bemerkbar machen kann. Klaudine«, fuhr die Herzogin fort, »ich habe doch wieder recht gesehen, wer Sie sind und wer die anderen!« Sie drückte die kühle Hand des Mädchens. »Ich habe Sie so herzlich lieb, Klaudine«, flüsterte sie weiter, »ich möchte Sie so gern >du!< nennen, wenn wir unter uns sind. Ist das unbescheiden?«
»Hoheit! Bitte«, stammelte sie.
»Nicht Hoheit, Klaudine. Denkst du, ich werde ›du‹ zu dir sagen, wenn du mich ›Hoheit‹ nennst? ›Elisabeth‹ will ich heißen und ›du‹! Ach bitte, bitte! – Nicht eine einzige Seele habe ich im Leben gehabt, die so mit mir verkehren durfte. Gönne mir doch dieses reine schöne Bewußtsein, daß du meine Freundin bist. Bitte, bitte, Klaudine, sage ›ja!‹«
»Hoheit sühnen die unbedeutende Kränkung von vorhin durch allzu große Gunst«, sprach das Mädchen erregt, »ich kann, ich darf es nicht annehmen.« Und sie sprang plötzlich empor und faßte sich an die Schläfen.
»Ich hätte dich für vernünftiger gehalten, Klaudine«, sagte die fürstliche Frau, »als daß du über eine so einfache Sache außer dir gerätst! Es ist der Inbegriff alles Vertrauens, aller Liebe – das ›du!‹ Und weil ich zufällig Herzogin bin, soll ich das entbehren? So darfst du nicht denken, und so denkst du auch nicht. Komm her, Klaudine, und gib mir den Schwesterkuß!«
Klaudine kniete vor der liebenswürdigen Frau nieder, sie wollte sprechen: »Laß mich! Laß mich! Es ist besser für dich und für mich, ich gehe fort von dir, so weit mich meine Füße tragen!« Und sie brachte es doch nicht über die Lippen unter diesen fieberglänzenden Augen, die so innig bittend in die ihren blickten. Und dann schloß ein Kuß ihren Mund. Im nächsten Augenblick fühlte sie etwas kaltes an ihrem Arm, ein schmaler goldener Reifen in Gestalt eines Hufeisens, die Stellen der Nägel mit Saphiren und Brillanten geschmückt, blitzte ihr entgegen.
»Wird Eure Hoheit – wird dich –« verbesserte sie sich weinend, »dies nie gereuen?« und ihr ernstes blasses Gesicht sah fragend zu ihrer fürstlichen Freundin auf.
»Ich habe ein feines Gefühl, Klaudine, für Menschenwert. Ich weiß, ich habe keiner Unwürdigen mein Herz angeboten.«
16.
Prinzessin Helene war in außerordentlich schlechter Stimmung nach Neuhaus zurückgekehrt. Sie hatte während der Fahrt schweigend in der einen Ecke des Landauers, Prinzeß Thekla in der anderen gelehnt, ebenso still. Komtesse Moorsleben, die in den Wagen befohlen war, wußte nur mit Mühe ein Lächeln zu unterdrücken, so ähnlich sahen sich in diesen Minuten des Verdrusses das junge und das alte Antlitz.
Erst oben, in den Gemächern des Neuhäuser Schlosses, entlud sich das Gewitter, und zwar über dem Haupt der Frau von Berg, die in das Zimmer der jungen Prinzessin befohlen ward. Die Kleine überhäufte die scheinbar schwer gekränkte Frau mit den wahnsinnigsten Vorwürfen, gerade als ob sie schuld sei, daß vor vierhundert Jahren ein alter Gerold die Idee hatte, in dieser Gegend ein festes Schloß zu bauen, das nach und nach zu diesem unausstehlichen Altenstein geworden war. Ein greulicher Aufenthalt, eine Einöde sei es, es liege ja klar am Tage, daß niemals ein vernünftiger Mensch so eine geschmacklose Erwerbung hätte machen können, wenn nicht ganz besondere Absichten damit verbunden wären.
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