»Frau von Berg soll kommen«, sagte sie zur Kammerjungfer, »ich will kein Licht.«
Nach ein paar Minuten rauschte die Schleppe der schönen Frau über die Schwelle des dunklen Gemaches, und die kleine zitternde Hand der Prinzeß faßte nach der ihren.
»Den Beweis, Alice, geben Sie ihn mir!« flüsterte die bebende Stimme.
»Hier!« erwiderte Frau von Berg gelassen und legte den verräterischen Brief in die Rechte der Prinzessin. »Ich glaube, es lohnt der Mühe nicht. Werfen Sie den Zettel fort, Durchlaucht, wenn Sie ihn gelesen haben.«
»Es ist gut, Alice, ich danke. Sie können mich verlassen.«
Die Prinzessin ging in ihr Schlafzimmer und las beim Schein der rosa Ampel, die von der Decke herabhing. »Arme Liesel!« flüsterte sie.
Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Blättchen zerreißen, und hielt wieder inne. Eine heiße Blutwelle stieg ihr zum Kopf, sie holte schwer Atem. In dem Räume lag noch die Schwüle des Tages und durch das offene Fenster strömte der süße berauschende Duft blühender Linden, berauschend wie die Sehnsucht, die das Herz des Mädchens erfüllte. Sie wollte glücklich werden um jeden Preis, auch um den größten! Mit bebenden Fingern faltete sie den Brief so klein wie möglich zusammen und schloß ihn in eine goldene Kapsel, die sie am Halse trug.
»Nur für den Notfall!« flüsterte sie noch einmal und verbarg die Kapsel.
17.
Fräulein Lindenmeyer schüttelte verwundert den Kopf unter der rotbebänderten Haube. Merkwürdig, was aus dem sonst so verlassenen Paulinental geworden war! In den Waldwegen leuchteten helle Damenkleider auf und schollen fröhliche Stimmen, es schien, als habe die ganze Stadt sich gerade diese Gegend zu ihren Sommerausflügen ausgewählt. Eine Menge eleganter Wagen fuhr seit kurzer Zeit vorüber, und in Xleben war kein Ei mehr zu haben. Alles ging nach Brötterode, dem kleinen Bade, eine halbe Stunde vom Eulenhause, wo, wie die Frau Försterin sagte, die fremden Herrschaften in diesem Jahre nur so wimmelten. Jede noch so kleine Wohnung sei vergeben und der Wirt in der »Forelle« zum Platzen hochmütig geworden, er habe zwei Grafenfamilien im ersten Stock, und im Hinterhause wohne eine Frau von Steinbrunn mit zwei Töchtern, alle hätten eigene Wagen mit und das sei ein ewiges Gefahre nach Altenstein und nach Neuhaus. –
Ja, der ganze Hofschwarm war den fürstlichen Herrschaften nachgezogen, man fand in diesem Sommer in den höchsten Kreisen der Residenz die heimischen Gebirge unvergleichlich schön, es war einmal etwas anderes als die Schweiz oder Tirol, als Ostende oder Norderney. In dem einfachen Speisesaal des Brötteroder Gasthofes, wo die Bilder des Herzogs und der Herzogin in wahrhaft empörendem Farbendruck die getünchten Wände zierten, wo man auf tannenen Stühlen an schmalen Tischen saß, trockenen Rinderbraten und Backpflaumen als Kompott aß und zweifelhaften Rotwein trank, herrschte trotz alledem eine angeregte Stimmung. Hatte man doch Aussicht auf Picknicks im Walde, auf Krocket und Lawn-Tennis im Altensteiner Park. Die Herzogin sollte sogar von einem Gartenfest gesprochen haben, einem Kostümball im Mondschein unter den Eichen des Schloßgartens.
Es versprach diese Sommerfrische nach allen Seiten hin eine ganz ungewöhnliche zu werden. Außer allem anderen war es auch schon höchst interessant, diese romantische Freundschaft Ihrer Hoheit zu der schönen Klaudine zu beobachten.
»Neulich hat man sie in ganz gleichen Kleidern gesehen«, berichtete Frau von Steinbrunn.
»Verzeihung! Das ist nicht der Fall. Die Herzogin trug rote Schleifen, Klaudine von Gerold blaue«, ereiferte sich ein junger Offizier in Zivil, der seinen Urlaub anstatt in Wiesbaden hier verlebte.
»Die Herzogin soll sie ja förmlich mit Schmuck und Kostbarkeiten überhäufen, sie sind den ganzen Tag beisammen, lesend, plaudernd und spazieren gehend, wahrscheinlich dichten sie auch miteinander. Prinzeß Helene hat vorgestern zu Isidore von Moorsleben gesagt, sie nennten sich >du
»Nicht möglich! Unglaublich!«
»Die Gerolds haben eigentümliches Glück!«
»Was sagt Seine Hoheit dazu?« fragte plötzlich die kecke Stimme eines jungen Diplomaten.
Die alte Exzellenz mit weißem Scheitel und würdevollem Gesicht am oberen Ende der Tafel räusperte sich vernehmlich und schüttelte mißbilligend das Haupt.
Man sah sich lächelnd und vielsagend in die Augen, trank schweigend seinen Wein aus, reichte längst zurückgewiesene Kompottschüsseln noch einmal herum, die weibliche Exzellenz begann nach einer Pause vom Wetter zu sprechen. Ein paar Gräfinnenmütter erfaßten mit einem Blick auf die Töchter begierig das neue Thema, »ob man es wagen dürfe, auf die hohe Warte zu steigen, einen der beliebtesten Aussichtspunkte der Umgegend?« – Und als die Tafel aufgehoben war, traten die älteren Damen zusammen und flüsterten und zuckten die Achseln und hielten die Taschentücher vor den Mund und lächelten dahinter.
Bis jetzt war es noch nicht gelungen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, denn bis zu diesem Augenblick hatten sämtliche um das Befinden der hohen Frau besorgte Herren und Damen sich damit begnügen müssen, ihre Namen in das Buch einzutragen, das in einem Saale zu ebener Erde des Altensteiner Schlosses auslag. Aber man hörte doch dieses und jenes, man vermutete, man kombinierte. Man war so neugierig auf den nächsten Donnerstag, denn daß die fürstlichen Herrschaften auf dem Feste des Baron Gerold erscheinen würden, ließ sich mit Bestimmtheit annehmen, man erwartete sogar ganz sicher, an diesem Tage eine große Neuigkeit zu hören, nichts geringeres als die Bekanntmachung einer längst erwarteten Verlobung.
Ja, es konnte interessant werden! Und während aller dieser Vermutungen, während aller dieser Erwartungen lebte man auf Neuhaus und Altenstein scheinbar in aller Ruhe weiter.
18.
Prinzeß Helene saß im Neuhäuser Garten und neben ihr stand das elegante Kinderwägelchen der kleinen Leonie. Ihre Durchlaucht spielte noch immer die zärtliche Tante in der stürmischen Art, wie sie alles auffaßte, was ihr durch das Köpfchen schoß. Sie schleppte die Kleine überall mit herum, sie bemühte sich mit unermüdlicher Ausdauer, ihr geliebtes Nichtchen das Wort »Papa« zu lehren, doch die scheuen schwarzen Kinderaugen sahen sie zwar groß an, aber das trotzige Mündchen blieb geschlossen. Sie wußte nicht, daß selbst das jüngste Kind schon in den Zügen zu lesen versteht, und die Ungeduld und Leidenschaft, die aus den Blicken der Prinzessin sprühten, machten das arme kleine Wesen furchtsam. Es fing gewöhnlich nach kurzer Zeit an zu schreien.
Und dann ward es mit Inbrunst getragen, beschwichtigt, geküßt und mit unmöglichen Koseworten überschüttet, so daß Beate in ihrem Zimmer die Hände rang und mit besorgter Miene lauschte, ob nicht jemand dem unglücklichen Würmchen zu Hilfe kommen wolle. Aber wer denn? Lothar saß wie vergraben in seiner Stube, wohin er sich nach beendeter Mahlzeit zurückzuziehen pflegte, Prinzeß Thelda lag meistens auf ihrem Ruhebett, gähnte oder schrieb Briefe, und Frau von Berg – nun, die bestärkte Prinzeß Helena noch in ihren Launen und Einfallen.
Die alte Kinderfrau, die erschreckt hinzulief, ward höchstens dazu benutzt, den süßen Liebling etwas zu beruhigen und ihn seiner fürstlichen Tante wiederzugeben. Beate, die bisher nicht wußte, was Nerven zu bedeuten haben, spürte zum erstenmal in diesen Tagen ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen. Das war, als Lothar vor dem Fest apathisch erklärte, ihm sei es ganz gleich, wie sie es arrangieren wolle. Da stand sie nun, die sich nie im Leben um derartiges bekümmert hatte, und sollte für Konzertprogramm, Tanzordnung und Kotillon sorgen. Sie hatte nicht übel Lust, dem, der da in seinem verdunkelten kühlen Zimmer so schweigend und brütend auf und ab schritt, die Wahrheit zu sagen: »Du bist hier der Herr vom Hause, und wenn du dir Gäste einladest, so habe auch die nötige Geduld, um die Pflichten des Wirtes zu ertragen.«
Aber ehe sie noch die Lippen geöffnet, wandte er sich um, und sie blickte in ein blasses Gesicht von so sorgenvollem Ausdruck, daß sie erschrak.
»Um Gottes willen, Lothar«, sagte sie und trat zu ihm, »du bist krank?«
»Nein, nein!«
»Dann hast du Sorgen!«
»Sorgen wie ein Mann, der sein ganzes Hab und Gut, seine Hoffnung, seine Zukunft auf ein gebrechliches Schiff lud und es vom sicheren Ufer aus Sturm und Wellen preisgegeben sieht, der dasteht, ohne retten zu können, und weiß, daß der Untergang gleichbedeutend ist mit Elend und Verzweiflung«, sagte er leise.
»Aber, Lothar!« rief Beate entsetzt. Sie war es nicht gewohnt, ihn in solchen Bildern sprechen zu hören und fast flehend bat sie: »Schenke mir dein Vertrauen, Lothar, erkläre dich deutlicher, du ängstigst mich!«
»O nichts, Beate, kehre dich nicht daran, es kam mir so unwillkürlich über die Lippen. Es wird überwunden werden – dann – wenn es wieder still und einsam ist hier auf Neuhaus. Habe Nachsicht mit mir.«
Aber die Schwester wich nicht. »Lothar«, begann sie entschlossen, »ich glaube, ihr Männer seid in manchen Sachen schwer von Begriff. Ich denke, du darfst auch diesmal nur die Hand ausstrecken.«
»Nein, mein kluges Schwesterchen, diesmal nicht«, erwiderte er. »Über meine geöffnete Hand hinweg streckt sich siegesgewiß eine andere, und als ich das sah, da habe ich die meine still zurückgezogen und zur Faust geschlossen. So, und nun frage nicht mehr und laß mich allein, Beate!«
»Du bist noch immer der törichte Junge von früher«, murmelte sie und wandte sich. »Bei Gott, sie läuft dir nach wie deine Diana da –« Und sie wies auf den Hühnerhund, der mit klugen Augen jeder Bewegung seines Herrn folgte.
Sie stand dann plötzlich in der Halle und sah mit finsterer Miene, wie Prinzessin Helene im lichten Morgenkleid, gefolgt von der Komtesse, die breite Treppe herunterkam, um im Garten zu verschwinden.
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