Beate schüttelte den Kopf und stieg die Treppe hinauf nach der großen Dachstube, wo die Wäschespinde und Truhen standen. War es denn ein Glück, das er ersehnte in Bangen und Verzweiflung? Dieses hochgeborene leidenschaftliche Geschöpf! War denn die erste Ehe ein Glück gewesen? Warum flogen Lothars Wünsche so hoch? Sie dachte seiner Zukunft an ihrer Seite, an das verlassene schlichte Haus seiner Väter, in welchem sie einsam und allein verbleiben würde, es hütend und beschützend wie jetzt. Er würde hinausgehen mit ihr in das bewegte Leben der Residenz, auf Reisen sein, wie mit der ersten Gattin, und mitunter würde er kommen, auf ein paar Tage – allein! Was sollte die erlauchte Frau auch hier? Ihre Anwesenheit jetzt bedeutete ja nur eine Ermutigung, ihr spielendes Interesse an dem Haushalt des Stammsitzes war nur ein Beweis, daß auch sie sich gern herablassen würde, wie einst ihre Schwester sich herabgelassen hatte.
Und wenn er dann kam, würden sich Bruder und Schwester in die Augen sehen und finden, daß sie gealtert seien, der eine in der schwülen, sengenden Hofluft, die andere in der Einsamkeit und in der Sehnsucht nach eigenem Glück.
Sie erschrak selbst über den schluchzenden Ton, der sich ihr wider Willen entrungen. Sie biß die Zähne zusammen und schloß mit umflorten Augen die Truhe auf, die ihr zunächst stand, und raffte eilig Teppiche und bunte gewirkte Decken heraus. Es waren köstliche Sachen, sie wollte damit die Halle schmücken lassen. Joachim hatte sie auf seinen Reisen gesammelt, diese Smyrnagewebe und türkischen Stoffe, und bei der Versteigerung hatte sie es erstanden mit ihren eigenen Mitteln. Und während sie die stimmungsvolle Farbenpracht der wundervollen Gewebe betrachtete, rollten ihr die Tränen unaufhaltsam über das stille Gesicht.
Was war ihr nur eigentlich? Sie kannte sich gar nicht so! Mit einer energischen Bewegung wischte sie die Tropfen ab und zwang sich, an Kotillonsträußchen und Schleifen, an unzählige Porzellanteller und Tassen, an eine Friseurin, an Eis, Mandelmilch und Gott weiß an was zu denken, und zuletzt an diese unglückliche Idee der kleinen Prinzeß, ein Kostümfest mit Tanz aus dem einfachen Kaffee machen zu wollen.
Sie eilte die Treppen wieder hinunter, gab Befehle, schickte Boten fort, sprach mit Gärtner und Mamsell, und mitten in diesen Trubel kam die Absage von Klaudine und Joachim. Auf letzteren hatte man ja kaum gerechnet, aber Klaudine? Beate suchte eilenden Schrittes ihren Bruder auf. Sie fand ihn im Garten, wo er neben Prinzeß Helene und der Komtesse auf dem Tanzboden stand, der unter den Linden hergerichtet war. Die Zimmerleute waren eben fertig geworden und ein paar Gärtnerburschen bekleideten die grob behauenen Pfähle der Einfriedung mit Tannen - grün und zogen Blumengewinde von Pfeiler zu Pfeiler.
»Lothar«, begann sie, »Klaudine sagt ab. Willst du nicht selbst hinüber und sie bitten, dennoch zu kommen?«
Er sah in diesem Augenblick noch bleicher aus. »Nein!« erwiderte er kurz.
In Prinzeß Helenes Augen blitzte es auf, sie hatte dies Blaßwerden bemerkt.
»Dann werde ich hinfahren, wenn du es erlaubst«, sprach Beate.
»So wirst du deine Schritte nach Altenstein lenken müssen. Im Eulenhause triffst du sie schwerlich.«
»Heute abend, wenn sie zurückgekehrt ist«, erwiderte Beate. »Ich komme nicht ohne ihre Zusage wieder.«
»Sie scheinen Unglück zu haben, Baron«, sagte die Prinzessin mit flackernden Augen, »wie Mama mir mitteilte, wird auch der Herzog höchstwahrscheinlich dem Feste seine Gegenwart versagen. Ihre Hoheit teilte es Mama tiefbetrübt mit.«
Auf der Stirn des Barons schwoll eine Ader. Sonst veränderte sich kein Zug seines Gesichtes, er sah gespannt den Gärtnern zu, welche rot-weiße Fähnchen an den Säulen befestigten. »Es sieht gut aus«, bemerkte er gelassen, »meinen Durchlaucht nicht auch?«
Die kleine Durchlaucht nickte.
»Warum nicht auch die Farben Ihres Hauses?« fragte sie bezaubernd liebenswürdig. »Abwechselnd das Gelb und Blau mit dem Purpur und Weiß?«
»Ich liebe diese Zusammenstellung nicht«, erwiderte er. »Es sind gesuchte Kontraste.«
Beate, die sich eben zurückziehen wollte, wandte sich erschreckt ab. Aber die Prinzessin lächelte, sie mochte einen anderen Sinn herausgehört haben als Beate.
Klaudine stand am Nachmittag dieses Tages, sich verabschiedend, am Schreibtisch ihres Bruders.
»Meine Absage ist doch besorgt?« fragte er.
Sie nickte. »Deine und meine. Leb wohl, Joachim!«
»Deine?« fragte er bestürzt.
»Ja! Ich sehne mich nicht nach derartigen Festen, sei nicht böse, Joachim!«
»Böse? Ich verstehe dich nur nicht, du wirst Beate sehr betrüben.«
Über das schöne Gesicht der Schwester flog ein leiser schelmischer Zug.
»O, ich denke, ich werde sie wieder versöhnen, Joachim, laß mich doch hier, du hast keine Ahnung, wie ich mich auf diesen Tag freue, auf den Nachmittag unter der Steineiche, auf den Abend mit dir.«
Er reichte ihr die Hand. »Wie du willst, Klaudine. Du weißt, alles ist mir recht, was du tust.«
Und Klaudine ging hinunter, küßte das Kind zum Abschied und schaute in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die schlief im Lehnstuhl. Leise machte Klaudine die Tür zu und schlüpfte durch den Hausflur in den Garten hinaus, vor dessen Pforte der fürstliche Wagen hielt. Nach kaum einer halben Stunde saß sie unter den Eichen des Altensteiner Gartens und las der Herzogin vor aus Joachims Werk »Frühlingstage in Spanien«. Die Geschichte seiner Liebe war in die wundervollen landschaftlichen Schilderungen anmutig mit eingewebt.
»Klaudine«, unterbrach die Herzogin die Lesende, »sie muß sehr reizend gewesen sein, diese kleine Schwägerin! Beschreibe sie mir!«
Das Mädchen heftete ihre blauen Augen auf die fürstliche Frau. »Sie glich dir, Elisabeth«, sagte sie.
»O du Schmeichlerin!« drohte die Herzogin, »aber da bringst du mich auf eine Idee – verzeih, daß mich die interessante Lektüre zu einer Toilettefrage anregt. Wie war's, Klaudine – ich nehme Fächer und Mantille und komme einmal >spanisch< nach Neuhaus? Es ist ein guter Gedanke, meine ich. Und du, Dina?«
»Ich habe abgesagt, Elisabeth.«
Über das Gesicht der Herzogin flog ein betrübter Zug. »Wie schade!« sagte sie langsam und nachdenklich. »Auch der Herzog hat abgesagt.«
Klaudines blasses Antlitz flammte plötzlich im Rot des Erschreckens. Die Augen der fürstlichen Freundin hefteten sich fragend auf die ihren.
»Ist dir heiß?«
»Aber weshalb will Seine Hoheit nicht teilnehmen?« erkundigte sich Klaudine ausweichend.
»Er hat mir keinen Grund angegeben«, war die Antwort.
»Elisabeth«, sagte das schöne Mädchen hastig, »wenn du es befiehlst, nehme ich meine Absage zurück, ich kann das leicht, Beate gegenüber.«
»Ich befehle es nicht, aber ich würde mich freuen«, sagte die Herzogin mit dem alten Lächeln.
»So beurlaube mich eine Stunde früher, ich möchte Beate selbst meinen geänderten Entschluß mitteilen.«
»Natürlich! So schwer es mir auch wird, dich zu missen. Aber berichte mir, warum wolltest du nicht nach Neuhaus? Ich kann mir nicht denken, Klaudine, daß du die Kleinigkeit mit Prinzeß Helene so ernsthaft genommen hast, um es deine Verwandten entgelten zu lassen.«
Die Herzogin hatte während dieser Worte die Hand der Freundin erfaßt und suchte mit ihrem Blick nach den blauen Augen.
Aber die langen blonden Wimpern hoben sich nicht und unter ihnen flammte wieder die heiße Röte auf von vorhin.
»Nein, nein!« stieß sie hervor, »das ist es nicht. Ich hatte Joachim einen stillen Abend versprochen. Ich glaubte, du würdest mich nicht vermissen in dem Glanz und Lärm des Festes.«
»Ich fühle mich nie einsamer als unter vielen Menschen«, erwiderte die Herzogin leise und hielt Klaudines Hand fest, die sie ihr entziehen wollte.
»Ich komme ja mit, Elisabeth.«
»Gern? Ich lasse dich nicht früher los.«
»Ja«, klang es zögernd und ihre Wange neigte sich gegen die der Herzogin. »Ja!« wiederholte sie noch einmal, »weil ich dich unsagbar lieb habe.«
Die Herzogin küßte sie. »Ich dich auch, Dina! Seit meiner Brautzeit habe ich nicht wieder das frohe, beglückende Gefühl gehabt wie jetzt neben dir. Und was so gut ist, in der Freundschaft kann man nicht so leicht Enttäuschungen erleben wie in der Liebe, sie gewährt ein ruhigeres Glück!«
Klaudine sah forschend in die Züge der Herzogin.
»Ja, ja, die Liebe, die Ehe bringen mancherlei mit sich, Schätzchen«, lächelte diese, »kleine Kränkungen, kleine Enttäuschungen. Denke doch, Klaudine, mit welchem Idealismus tritt so ein achtzehnjähriges Mädchen vor den Altar! Aber darum, mein Kind, bin ich doch die glücklichste Frau, denn er liebt mich. Sich geliebt zu wissen, fest auf die Liebe und Treue des Mannes zu vertrauen, darin liegt alles, was es für ein Weib gibt – und dieses Vertrauen verlieren würde für mich gleichbedeutend sein mit Sterben!«
Sie plauderte leise weiter von dem ersten Sehen des Geliebten, von jener innigen Liebe, die sie sogleich für ihn hegte, von dem Taumel, der sie ergriffen, als man ihr mitteilte, daß er um sie geworben hatte. Wie sie die Hände gefaltet und mit zitternden Lippen gefragt habe: »Mich? Mich will er?« Sie erzählte, wie sie täglich während des kurzen Brautstandes an ihn schrieb, wie sie mit einem Glücksgefühl, einem Stolz ohnegleichen nach der Vermählung mit ihm auf den Balkon des väterlichen Schlosses trat, um ihren schönen ritterlichen Gemahl den Tausenden von Menschen zu zeigen, die den großen Platz dort unten füllten, und wie sie dann so heimlich beide in dem unscheinbaren Wagen durch die Frühlingsnacht nach dem stillen Schlößchen in der Nähe der Residenz fuhren, wo sie ihr erstes junges Glück verbergen wollten.
Sie war beim Aussteigen mit der Schleppe am Wagen hängen geblieben und ihrem jungen Gatten buchstäblich zu Füßen gefallen, beide hatten sie gelacht, und weil ihr der Fuß schmerzte, hatte er sie in seinen Armen die Treppe hinaufgetragen, durch die menschenleeren Korridore, auf denen nur dämmernd die Lampen brannten, bis in ihre Zimmer, und dort hatten sie am offenen Fenster gesessen und die Nachtigallen im Parke gehört und die Lichter des Schlosses auf dem Weiher sich spiegeln sehen. Die feuchte warme Luft war voller Veilchenduft gewesen.
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