»Ein Fest, wie zu Goethes Zeit in Tiefurt«, sagte die Herzogin.

»Besonders, wenn man die schöne Gerold sieht. Bitte, Hoheit, betrachten Sie diese Gestalt – wahrhaft klassisch!«

Der Sprechende, dessen schmales Gesicht eitel Entzücken verriet, stand hinter dem Stuhl Ihrer Hoheit und seine Blicke deuteten auf Klaudine.

»O ja, mein lieber Graf«, erwiderte die Herzogin und betrachtete ihren Liebling mit leuchtenden Augen, »sie ist, wie immer, der Stern des Abends.«

»Hoheit sind allzu bescheiden«, sagte Prinzeß Thekla und ihre kalten Augen blickten vernichtend nach der bezeichneten Richtung.

Klaudine stand außerhalb des girlandenumschlungenen Tanzplatzes auf dem Rasen. Der alte Herr hatte nicht zuviel behauptet, nie war wohl ihre eigenartige Schönheit mehr zur Geltung gekommen, als an diesem Abend in der Tracht der Urgroßmutter. Sie trug das prachtvolle Blondhaar zu einem antiken Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, ein schmales Diadem, in dessen Mitte ein Brillantstern funkelte, krönte den schönen Kopf. Die kurze Taille zeigte wundervoll geformte Arme und Schultern, nur leicht von einem seidenglänzenden Flor umhüllt. Ein kurzes enges Unterkleid aus weißem, durchsichtigem Seidengewebe, am Saum mit breiter Silberstickerei verziert, ließ kleine rosa Schuhe mit kreuzweise gebundenen Bändern sehen. Und dieses duftige Kleid ward vervollständigt durch eine mattrosa Schleppe aus schwerer Seide, ein Strauß frischer Zentifolien schmückte die Brust. – Aus den Falten dieses Gewandes wehte noch heute ein feiner Lavendelduft, das Parfüm jener geistesvornehmen, lebensvollen, sprühenden Vergangenheit.

Es mochte wohl Seine Hoheit förmlich berauschen, denn der Herzog stand bereits seit einer Viertelstunde vor dem schönen Mädchen, das, die schweren Falten der Schleppe in der Hand, wie fluchtbereit mit unruhigen Augen an ihm vorüberspähte, als suche sie nach einer Gelegenheit zu entschlüpfen. Man hatte einen förmlichen Respektkreis um sie und den Herzog gebildet, als wollte man Seiner Hoheit Gelegenheit geben, unbelauscht mit der schönen Gerold zu plaudern, und dennoch, während man dort, scheinbar mit sich selbst beschäftigt, fragte, plauderte, neckte, waren aller Augen verstohlen auf jenes reizende Mädchen gerichtet, welches von herzoglicher Huld und Gnade so auffallend ausgezeichnet ward.

Prinzeß Helene, die als Griechin gekleidet mit dem Adjutanten Seiner Hoheit in einen Reigen eingetreten war, sah es mit heimlicher Freude. Sie wandte ihr dunkles Köpfchen energisch herum, sie mußte doch sehen, wie der Baron dieses Beisammensein vor aller Augen beurteilte. Eben stand er noch an jenen Baumstamm gelehnt, ein Glas eisgekühlten Sekt in der Hand, mit dem er einige Kelche berührt hatte, die ihm zwei oder drei Herren entgegenhoben. Jetzt war er verschwunden. Blitzschnell drehte sich das Köpfchen nach jener Seite, wo Klaudine stand, und ihre Lippen preßten sich aufeinander – denn jetzt schritt Baron Lothar auf das Paar zu.

»Verzeihung, Hoheit! Ihre Hoheit die Frau Herzogin wünschen Fräulein von Gerold zu sprechen. Darf ich bitten, Cousine?«

Klaudine verbeugte sich tief und legte ihre Fingerspitzen auf Lothars Arm, der sie langsam dem Zelte der Herzogin zuführte.

»Treten Sie einen Augenblick zu Ihrer Hoheit«, sagte er ruhig, »es möchte sonst auffallen. Nachher –«

Sie blieb stehen und sah ihm in das unbewegte Gesicht. »Ich denke, Ihre Hoheit will mich sprechen?«

»Nein«, erwiderte er gelassen, »ich sah nur, daß Sie wie auf Nadeln standen, und erblickte hundert lauernde Augen auf Sie gerichtet. Überhaupt«, fuhr er fort, »da ich Sie doch einmal hier sehen muß heute abend, würde ich Sie am liebsten in der Nähe Ihrer Freundin bewundern. Ich denke, Sie in Ihrer blonden Schönheit neben der Andalusierin würden das reizvollste Bild des Abends sein – gönnen Sie es uns!«

Sie zog die Hand von seinem Arm zurück. Die Erleichterung, mit der sie seiner Aufforderung gefolgt war, wich einer heißen Empörung, aber sie vermochte nicht mehr zu erwidern, schon stand sie vor der Herzogin.

»Kiaudine«, sagte diese und reichte ihr die Fingerspitze, »warum tanzen Sie nicht? Ich möchte Sie in diesem Reigen sehen, ich glaube, in jener Gruppe fehlt noch das vierte Paar. Herr von Gerold, bitte!«

Sie konnte sich nicht weigern, mechanisch nahm sie seinen Arm. Lothar blieb schweigend, es war ein merkwürdig stummes Paar, gleichwohl das schönste von allen. Kaum war die Schlußverbeugung des Tanzes geschehen, so fragte sie: »Wo ist Beate?«

»Sie wird im Schlosse sein«, erwiderte er.

Sie dankte und schlug eilig den Weg dorthin ein. In der großen Halle hatte man für einige wenige Auserkorene die Tafel gedeckt. Die mächtigen Flügeltüren waren zurückgeschlagen und ließen den Blick in den erleuchteten Garten frei.

Beate stand an der Tafel und wiederholte ihre Anordnungen einem halben Dutzend Dienern zum soundsovieltenmal. Sie schlug fröhlich in die Hände, als sie Klaudine erblickte.

»Wahrhaftig, Herzenskind«, rief sie, »du bist unheimlich reizend heute in deinem vorweltlichen Kleide da. Und wie gut sich der Urgroßmutterstaat erhalten hat, nicht einmal das Silber ist schwarz geworden!«

Sie klopfte der Cousine die Wange, und auf die Tafel zeigend, die blitzte und funkelte, fragte sie: »Ist's recht so, Klaudinchen? Von dort oben, wo Ihre Hoheit sitzt, kann man das Feuerwerk am besten sehen. Du kommst hier etwas weiter unten her, diese zwölf Gedecke sind für die Prinzessinnen und ihre Herren. Die anderen müssen sich an allen den kleinen Tischen im Garten oder im Saale verteilen, wie das Geschick sie zusammenführt. Dort stehen die Körbchen mit den Losen, ich habe deinen Rat befolgt.«

»Ich bitte dich, Beate, laß mich von der herzoglichen Tafel weg«, rief Klaudine flehend, »ich sitze irgendwo anders lieber.«

»Damit mir deine Hoheit den ganzen Abend ein böses Gesicht zieht! Nein, mein Schatz, daraus wird nichts, beiße nur in den sauren Apfel. Wer dein Nachbar wird, weiß ich allerdings nicht. Aber verzeih, ich muß noch einmal zu der Mamsell.«

»Beate!« rief Klaudine, aber diese war schon hinter dem Teppich verschwunden, der den Flur heute von der Halle abschloß. Zögernd schritt sie dem Ausgang zu. Am liebsten wäre sie noch in dieser Minute auf den dünnen Sohlen die steinigen Waldwege entlang gewandert nach ihrem friedvollen, weltabgeschiedenen Heim. Drüben klangen jetzt die Töne eines Walzers, ihr war so bitter zumute. Sie wußte sich frei von Schuld, und dennoch wich ein beklemmendes Gefühl nicht von ihr. Sie wußte, daß der Herzog deshalb noch zugesagt hatte, weil die Durchreise des Großherzogs von Z., den zu begrüßen er nach der nächsten Bahnstation hatte fahren wollen, abgemeldet worden war. Und dennoch, auf all diesen Gesichtern hatte sie einen so sonderbaren Ausdruck gelesen, man war so beflissen gewesen zurückzutreten, als Seine Hoheit sich näherte, und er hatte sie aus der Nähe des Herzogs entfernt mit einer Bemerkung, so unartig, so unritterlich wie möglich! Sie preßte die Lippen aufeinander.

Plötzlich hob sie den Kopf. Ein eigentümlicher Laut, der grell über der gedämpften Musik schwebte, ließ sie aufhorchen, sie wußte nicht, kam er aus der Halle oder von draußen. Es klang wie der ängstliche Schrei eines Tieres. Aber jetzt – nein, das war eine Kinderstimme – angstvoll, gellend scholl sie herunter von dort oben. Im nächsten Augenblick flog Klaudine die Stufen empor, eilte durch den breiten oberen Flur und trat in die weitgeöffnete Tür, aus der die Klagetöne erschollen.

Der rosa Schein der leise schwankenden Ampel erhellte nur matt das Gemach. Zunächst sah Klaudine nichts als den großen weichen Spielteppich der Kleinen mit durcheinander geworfenen Puppen und anderem Spielzeug, und das leere Bettchen, dessen Vorhänge weit zurückgeschlagen waren. Das Weinen war verstummt, nichts rührte sich. Klaudines Blicke forschten umher, dann trat sie einen Schritt näher und ihre Augen wurden starr vor Entsetzen. Dort im weit geöffneten Fenster, nicht mehr auf der inneren Fensterbank, nein, auf der Steinbrüstung außen kauerte das Kind! Sein langes Nachtkleid hatte sich hindernd um die Beinchen gewickelt, es saß da ganz frei, den Rük- ken nach der Tiefe gewendet, und starrte mit tränenerfüllten Augen die unerwartete Erscheinung der fremden Dame an. Die geringste Bewegung – und das Kind mußte hinunterstürzen.

Atemlos stand das junge Mädchen einen Augenblick, blitzschnell kreuzten sich die Gedanken hinter ihrer Stirn. Würde das Kind erschrecken, wenn sie näher trat? »Barmherziger Gott, hilf mir!« flüsterte sie.

Über ihr starres Gesicht glitt plötzlich ein Lächeln, mit raschem Griff hatte sie ihr Armband abgenommen und drehte es spielend und lockend hin und her, während sie einen Schritt vorwärts tat, und noch einen und noch einen. Jetzt erfaßte sie das lange Kleidchen, ein schwacher Schrei entrang sich – der kleine Körper schlug rückwärts, aber kraftvoll griff die zweite Hand nach, und im nächsten Augenblick kniete sie auf dem Teppich, das zu Tode erschreckte Kind im Schoß. Die zitternden Knie hatten ihr den Dienst versagt, halb ohnmächtig sank ihr Kopf gegen den Pfeiler eines Spiegeltisches, während ihre blauen, großen Augen wie erloschen aus dem kreideweißen Antlitz blickten.

Es kniete jemand neben ihr, genau so erschreckt, so blaß, so zitternd. Zwei heiße Lippen preßten sich auf ihre Hände und auf des Kindes Gesichtchen.

»Lothar!« murmelte sie und strebte zitternd empor.

Er nahm ihr das Kind vom Schoß, trug es ins Bettchen und trat dann zu ihr, die hochaufgerichtet dort stand und nun mit schnellen Schritten an ihm vorüberstrebte.

»Klaudine!« scholl es bebend, und seine Gestalt vertrat ihr den Weg.

»Es war beinahe zu spät«, sagte sie und versuchte zu lächeln.

Er faßte ihre Hand und führte sie zu dem Bettchen. Die Kleine saß aufrecht darin und lachte. Er hob sie empor und hielt des Kindes Gesicht an die blasse Wange des Mädchens.