»Bedanke dich!« sagte er mit seltsam bewegter Stimme, »dein Vater darf es nicht.«

Klaudine sah, wie die Hände, die das Kind hielten, zitterten. Sie küßte flüchtig die kleine Wange.

»Ich war vorher sehr zornig auf mich«, sprach sie kühl, »daß ich Ihre Einladung doch noch annahm, Vetter – ich darf mir jetzt wohl verzeihen.«

Eine schwüle Pause entstand. Die Kleine hatte jauchzend nach dem Stern in dem blonden Haar gegriffen, Klaudine mußte den Kopf neigen, um die Fäustchen zu lösen. Draußen flog eben mit zischendem Laut eine Rakete empor, das Zeichen für den Beginn des Mahles. Musik, Lachen, plaudernde Stimmen drangen deutlicher herauf, und ein glutroter Schimmer brach durch die Fenster.

Sie war vor den Spiegel getreten, um die zerzausten Löckchen etwas zu ordnen. Sie sah nicht den leidenschaftlichschmerzlichen Blick der dunklen Männeraugen, die ihr folgten, wie sie nicht gesehen hatte, daß vor ein paar Minuten in der weit geöffneten Tür eine zierliche Gestalt im blaßblauen Seidenröckchen wie hingeweht gestanden hatte, um gleich wieder zu fliehen, als sei dort in dem dämmernden Zimmer etwas entsetzliches zu erblicken gewesen, während es doch das entzückendste Bild war, ein schlankes Mädchen an der Seite des schönen Mannes, der sein spielendes Kind auf den Armen hält.

»Ich werde veranlassen, daß die Wärterin kommt«, sagte Klaudine jetzt im Hinausgehen, »die kleine Unternehmungslustige möchte sich sonst zum zweitenmal aus dem Bettchen entfernen.«

In diesem Augenblick erschien zwar nicht die unzuverlässige Kinderfrau, wohl aber Frau von Berg.

»Sie werden die Güte haben, Frau von Berg, an Leonies Bett zu bleiben, bis die Kinderfrau, die Sie übrigens vortrefflich unterrichtet zu haben scheinen, zur Stelle ist. Ich möchte nämlich nicht gern, daß die Kleine noch einmal in die Gefahr kommt, dort hinauszustürzen.«

Klaudine war rasch auf den Flur getreten, sie konnte nicht mehr das namenlos bestürzte Gesicht der schönen Italienerin erblicken, die auf ein paar verzweiflungsvoll geflüsterte Worte der Prinzeß Helene über das befremdende Schauspiel kraft ihres Amtes einmal in der Kinderstube nachschauen wollte. Klaudine schritt schon am Ende des Ganges, als Lothar sie einholte. Nebeneinander betraten sie die Treppe, die in die Halle führte.

Es ging wie staunende Bewunderung einen Augenblick durch alle die Menschen, die den Raum füllten oder draußen vor der Halle standen. Die Herzogin aber winkte mit ihrem Granatstrauß empor.

»Klaudine«, sagte sie, als das Mädchen vor ihr stand, »wir haben beschlossen, mitzulosen. Warum sollten sich der Herzog und ich nicht auch einmal dem Zufall anvertrauen? Unsere liebenwürdige Wirtin hat noch rasch unsere Namen hineinwerfen müssen.«

Und als jetzt Komtesse Moorsleben in einem blumigen Rokokokostüm mit zierlichem Knicks Ihrer Hoheit die silberne Schale darbot, welche die goldgeränderten Zettelchen mit den Namen der Herren enthielt, griff die schmale Frauenhand keck hinein und entnahm eine der kleinen Rollen. Prinzeß Thekla dankte. Die Hand der Prinzeß Helene, die einen Schritt hinter Ihrer Hoheit stand, zitterte, als sie den kleinen Zettel nahm.

»Liebste Klaudine«, sprach die fürstliche Frau, »Ihr Schicksal winkt«, und die Angeredete ergriff nun auch eines der Zettelchen.

»Noch nicht lesen!« sagte die Herzogin. Ihre großen, dunklen Augen glänzten freundlich, sie stützte sich leicht auf Klaudines Arm.

Das weiß gepuderte Köpfchen der hübschen Hofdame war hin und wieder aus der Menge aufgetaucht. Jetzt hielt sie das geleerte Silberkörbchen in die Höhe, und im nämlichen Augenblick begann die Kapelle den Hochzeitsmarsch aus dem »Sommernachtstraum«.

Die Damen sollten die ihnen durch das Los zugeteilten Herren zur Tafel führen. So war es von Prinzeß Helene bestimmt. Lachen, Ausrufe wurden laut.

Ihrer Hoheit Augen leuchteten. Sie hatte den Namen eines blutjungen, schüchternen Leutnants auf ihrem Zettel gefunden.

»Nun, Klaudine?« fragte sie, indem sie in das Papier der Freundin blickte. »Oh!« machte sie dann, »Seine Hoheit!«

Klaudine war bleich geworden, der Zettel in ihrer Hand bebte. »Eigentümlicher Zufall!« flüsterte eine leise Stimme hinter ihr.

Die Herzogin wandte sich langsam um und maß Prinzeß Helene mit einem kühlen Blick von oben bis unten. Aber aus ihren Augen war plötzlich die harmlose Freude gewichen. Stumm legte sie ihren Arm in den Klaudines und zog das Mädchen vorwärts durch die suchende, wogende Menge, die ehrerbietig zurückwich.

»Hier, mein Freund«, sagte sie zu dem Herzog, der noch immer neben Palmer stand, »deine Tischnachbarin, die dir ein gütiges Geschick bestimmte. Mein Herr von Palmer, bringen Sie mir den Leutnant von Waldhaus, er wurde mir durch das Los zugeteilt.«

Herr von Palmer flog davon. Die fürstliche Frau stand, das Antlitz lächelnd in dem Granatstrauß geborgen, neben Seiner Hoheit und Klaudine. Dann kam atemlos, dunkelglühend, ein schlanker, blonder Husarenoffizier und verneigte sich tief vor Ihrer Hoheit.

Der Herzog wandte sich mit Klaudine dem Garten zu und deutete auf das Dunkel der Linden. »Es ist schwül hier in der Halle«, erklärte er. Auf den Stufen der Treppe blieb er stehen und blickte in das von peinvoller Verwirrung unsagbar liebliche Mädchengesicht.

»Um Gottes willen, gnädiges Fräulein«, sagte er erschreckt und mitleidig, »was glauben Sie? Ich bin weder ein Räuber noch ein Bettler, und Sie haben mein Wort. Mißgönnen Sie mir doch diese harmlose Freude nicht!«

Sie ging mechanisch neben ihm die Treppe hinunter zu einem der kleinen Tische unter den Linden, der nur vier Gedecke trug. Ihre lange rosa Schleppe lag noch im silbernen Mondlicht auf dem Rasen, sie selbst stand im Dunkeln hinter ihrem Stuhle, hochaufgerichtet jetzt.

»Eh!« rief der Herzog plötzlich, »Gerold, hier ist noch Platz!«

Der Baron war mit seiner Dame, der jungen, harmlosen Frau des Landrats von N., die Stufen herabgeschritten, er kam nun im völligen Sturmschritt auf den Tisch des Herzogs zu; die niedliche Frau an seiner Seite vermochte kaum ihm zu folgen.

»Hoheit haben befohlen«, sprach er.

Es war, als hole er tief Atem, während er seiner Dame den Stuhl hielt, als sie Platz nahm. Und er winkte dem Diener, der die Platte mit Speisen trug.

Der kleinen Prinzeß war Herr von Palmer durch das Los zugefallen. Sie saß in der Halle an der Tafel Ihrer Hoheit, ebenso Prinzessin Thekla. Baron Lothar erhob sich einmal, trat auf die Treppe und brachte das Hoch auf die Hoheiten aus. Der Herzog ließ die Damen leben. Die Augen der Prinzeß Helene hingen mit wahrhaft dämonischem Ausdruck an jenem Tisch dort unten im Garten, man schien sehr heiter dort, das tiefe Lachen des Herzogs scholl deutlich in ihr Ohr. Zuweilen wandte sie das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen nach der Herzogin und sah mit stiller Befriedigung, wie auch sie ihre Blicke unablässig dorthin sandte, eine bange Frage schienen sie zu enthalten, obgleich ihr Mund lächelte, obgleich sie so heiter schien, wie seit langer Zeit nicht.

Zum Nachtisch, als die Knallbonbons mit den Raketen draußen wetteiferten, saß Prinzeß Helene plötzlich neben der Herzogin, sie hatte Herrn von Palmer gebeten, den Stuhl mit ihr zu tauschen, worauf er eifrigst einging. Ihre Hoheit hatte sowieso kein Wort für ihn gehabt, nur für ihren jungen Kavalier. Die kleine Prinzessin blieb anfänglich stumm. Trotz ihrer besinnungslosen Eifersucht klopfte ihr das Herz bei dem Gedanken an das, was sie tun wollte. Sie trank gegen alle Hofsitte ihren Sektkelch einigemal rasch aus, Herr von Palmer wußte ihn immer wieder unbemerkt füllen zu lassen.

In ihrem tollen, leidenschaftlichen Köpfchen sah es erbarmungswürdig aus an diesem Abend. Das rebellische, durch den Wein erhitzte Blut stieg ihr verwirrend zum Kopf.

»Hoheit«, flüsterte sie besinnungslos und beugte sich zu ihr, die eben nach Fächer und Strauß griff. »Hoheit! Elisabeth, um Gottes willen, Sie vertrauen zu viel!«

Hatte es die Herzogin nicht gehört? Sie erhob sich langsam und würdevoll. Das Zeichen zur Aufhebung der Tafel war gegeben, Stühle wurden geschoben, und draußen unter den dunklen Bäumen flammte ein verschlungenes A. E. auf mit der Herzogskrone. Alles flutete zurück in den Garten, zum Tanz.

»Prinzeß Helene!« befahl die Herzogin ihrem Kavalier. Sie setzte sich nicht mehr, der Befehl für die Wagen war bereits gegeben. Nur der Herzog stand noch unter den Linden, mit Klaudine plaudernd.

Prinzeß Helene flatterte eilfertig daher, auf ihrem heißen Gesichtchen lag eine Art verzweifelten Trotzes.

»Erklären Sie sich deutlicher, Cousine«, sprach die Herzogin laut zu ihr. Es war jetzt niemand weiter in dem kleinen, von rosiger Dämmerung erfüllten Zelte, vor dessen zurückgeschlagenen Vorhängen das Fest im Mondlicht wogte.

»Hoheit!« rief das leidenschaftliche Mädchen heftig, »ich ertrage es nicht, zu sehen, wie Sie hintergangen werden!«

»Wer hintergeht mich?«

Noch einmal gewann alles Vornehme, alles Gute in diesem Mädchenherzen die Oberhand. Sie sah diese so schwer nach Atem ringende Frau, sie wußte, was das nächste Wort bedeute für dieses Leben.

»Nichts! Nichts!« stieß sie hervor. »Lassen Sie mich gehen, Elisabeth, schicken Sie mich fort!«

»Wer hintergeht mich?« fragte die Herzogin noch einmal bestimmt, mit Aufbietung aller Kräfte.

Die kleinen Hände der Prinzessin falteten sich und ihr Blick wandte sich zu Klaudine, die dort noch immer von dem Herzog festgehalten wurde. Die Augen der Herzogin folgten ihr, eine erschreckende Blässe breitete sich über ihr Gesicht.

»Ich verstehe nicht«, sagte sie kühl.

Das Herz der Prinzessin pochte wie wahnsinnig gegen die Kapsel, in der sie den Brief des Herzogs verwahrte. »Hoheit wollen nicht verstehen«, flüsterte sie, »Hoheit wollen die Augen verschließen!« Sie hob die noch immer gefalteten Hände empor und preßte sie auf das blauseidene Jäckchen. »Klaudine von Gerold!« stieß sie hervor.