»Bleib bei mir, Klaudine«, bat sie.
»Ja, Elisabeth.«
Die Kranke machte die müde zugesunkenen Augen auf, und als wundere sie sich über diese rasche Zusage, fragte sie: »Du kannst doch ohne Sorge fort von daheim?«
»Sprich davon nicht, Elisabeth. Selbst wenn es dort eine Lücke gäbe, ich würde dennoch kommen. Ich schreibe ein paar Worte an Joachim und lasse mir einiges notwendige holen. Ängstige dich nicht!«
»Erzähle mir etwas«, bat die Herzogin gegen Abend. Sie hatte den Tag über fast regungslos mit geschlossenen Augen gelegen.
»O gern, Elisabeth, aber was?«
»Aus deinem Leben.«
»Ach Gott, da ist wenig zu berichten. Ich meine, Elisabeth, du kennst das alles.«
»Alles?«
»Ja, meine liebe Elisabeth!«
»Hast du niemals eine Neigung gehabt, Dina?«
Über des Mädchens Gesicht flog ein glühendes Rot; langsam neigte sie den Kopf.
»Laß das, Elisabeth«, bat sie mit erstickter Stimme; »frage nicht weiter – ich –«
»Kannst du es mir nicht sagen?« sprach die Herzogin leise und dringend. »Schenke mir dein Vertrauen, Dina, schenke es mir. Du weißt doch alles von mir.«
In diesem Augenblick meldete die Kammerfrau den Herzog, und fast verstört erhob sich das schöne Mädchen und trat mit einer Verbeugung an ihm vorüber in das Nebenzimmer.
»Klaudine! Klaudinel« rief die Kranke, und als sie zurückeilte, deutete die Herzogin auf den Sessel neben ihrem Bette. »Bleib hier!« sagte sie herrisch. Es war zum erstenmal, daß sie so zu ihr sprach.
Gehorsam setzte sich Klaudine. Sie hörte, wie teilnehmend der Herzog mit der Kranken redete, wie er hoffte, daß sie morgen doch wieder an dem Fest im Garten teilnehmen könne, daß sicher auch Mama erscheinen werde.
»Ich will mir Mühe geben, gesund zu werden«, erwiderte sie.
»Das ist prachtvoll, Liesel! Gib dir Mühe«, lachte der Herzog. »Wenn alle Kranken so dächten, gäbe es weniger Patienten. Der Wille tut wirklich etwas zur Genesung, frage nur den Medizinalrat.«
»Ich weiß es, ich weiß es«, sagte sie hastig.
»Ich meine, du hast dich einfach erkältet, mein Kind«, sprach der Herzog weiter. »Du mußt durchaus mehr geschont werden, Nachtluft ist nichts für dich. Zum Winter gehst du auf jeden Fall nach dem Süden.«
»Zum Winter!« dachte sie bitter und sagte laut mit völlig ungewohntem Trotz: »Ich will mich aber nicht mehr schonen!«
Seine Hoheit schaute verwundert auf das sonst so fügsame Geschöpf. »Du bist in der Tat angegriffen«, erwiderte er, und sich zu Klaudine wendend, sagte er, dem Gespräche eine andere Wendung gebend: »Ihr Vetter hat gestern aber in Wahrheit ein reizendes Fest veranstaltet. Welch geschmackvolle Anordnung und welch eigenartige Trachten! Die Ihrige zum Beispiel, gnädiges Fräulein, einfach großartig! Nicht, Elisabeth?«
»Ich kann das Sprechen nicht ertragen, Adalbert, bitte – geh«, sagte die Kranke mit nervös zuckender Lippe. Und als er mit einer ungeduldigen Bewegung zurücktrat, reichte sie ihm ängstlich die Hand, während ihre Augen in Tränen schimmerten: »Verzeiht mir!« Und dann faßte sie Klaudines Hand, und sie mit ihrer heißen Rechten haltend, legte sie sich zurück und schloß die Augen.
Er war gegangen.
Der Himmel hatte sich indessen mit schweren dunklen Wolken bezogen, gewitterschwül und beängstigend war die Luft. In der trüben Regenbeleuchtung sah das Gesicht der Herzogin aus wie das einer Toten. So lag sie unbeweglich, und so saß Klaudine neben ihr, stundenlang.
21.
Die Nachricht, daß die Herzogin krank sei, war bereits überall verbreitet.
»Sie sah so merkwürdig bleich zuletzt aus«, bemerkte Prinzeß Thekla, als man im Neuhäuser Speisesaal beim Abendessen saß.
»Meine Cousine wurde schon in aller Morgenfrühe hingeholt«, erzählte Beate, der man keine Spur von Müdigkeit ansah, obgleich sie gar nicht zu Bette gegangen war, um sämtliche Spuren des Festes beseitigen zu lassen. Da befand sich jede Silbergabel wieder an ihrem Platz, jede Tasse, jedes Möbel, nichts erinnerte mehr an das Feenmärchen der letzten Nacht. »Sie schreibt mir soeben«, fuhr Beate fort, »daß sie die Herzogin pflegt und ganz nach Altenstein übersiedelt ist.«
»Welch rührende Freundschaft!« rief die alte Prinzessin, die sehr schlechter Stimmung war, denn heute früh hatte Baron Lothar die Kinderfrau knall und fall entlassen, und Frau von Berg war schon in aller Morgenfrühe ein Schreiben an das Bett gebracht worden, das sie just in einem beglückenden Traum störte. Es enthielt die Entlassung von ihrer Stelle als Erzieherin »meiner Tochter« in aller Form, zwar unendlich artig gehalten, aber es war so, wenn auch liebenswürdigerweise der Baron am Schlusse die gnädige Frau bat, sie möge über die Gastfreundschaft in seinem Hause verfügen.
Sie hatte nur ein Morgenkleid übergeworfen und war gegen alle Hofsitte in das Schlafzimmer der Prinzessin Helene gestürzt. Die kleine Durchlaucht hatte elend ausgesehen, mit dunklen Ringen um die Augen, als habe sie während der Nacht mehr geweint als geschlafen.
»Was ist da weiter?« war der verdrießliche Trost gewesen. »Sie kommen dann zu Mama, Alice, ich werde mit ihr sprechen. Die Moorsleben geht ja ohnehin zu ihren Eltern zurück.«
Mama hatte dann auch wirklich sogleich die teure Alice aufgefordert, zu ihr zu kommen. Es war ja unerhört, einer »Dame« zu kündigen, als sei sie eine Erzieherin, einer Dame, die sie eigens ausgesucht hatte. Und sie hatte dennoch nicht gewagt, Gegenvorstellungen zu machen, man mußte ihr, die beinahe die fahrlässige Tötung des geliebten Enkelkindes verursacht hatte, sogar scheinbar zürnen.
Frau von Berg saß, blaß wie ein unschuldig gekränkter Engel, in ihrem Gemach, äußerlich voll edler Fassung, innerlich voll Zorn. Das Kinderzimmer war nach unten verlegt, dicht neben die alte gemütliche Schlafstube Beates, nach dem weiten luftigen Hofe hinaus, wo es Pferdchen, Kühe und Hühner zu sehen gab – die nämliche Aussicht, die schon den Vater des Kindes und Tante Beate entzückt hatte, und dieselbe treue Hand, die jene einst gehütet, hielt jetzt das Kindchen auf dem Arme, eine saubere, etwa fünfzigjährige Frau mit den freundlichsten Augen der Welt unter der schwarzen Bauernhaube. Lothar hatte sie heute früh persönlich aus dem schmucken Häuschen am Ende des Dorfes zu seinem Kinde geholt.
»Die Herzogin ist öfter leidend, wie wir alle wissen, Mama«, sagte Prinzeß Helene, die Lothar nicht aus den Augen ließ.
»Natürlich! Vielleicht hat sie sich über irgend etwas aufgeregt«, meinte die alte Prinzessin. »Übrigens, diese Schwüle ist erdrückend, ich hätte nie geglaubt, daß es in den Bergen hier so heiß sein kann, ich muß beständig an die kühle, wogende Nordsee denken. Herr von Pausewitz,« wandte sie sich an den Kammerherrn, »haben Sie Nachricht aus Ostende, ob wir die Zimmer in unserem Hotel bekommen werden?«
Beate schaute verwundert ihren Bruder an. Die ungeheuren Koffer, welche die durchlauchtigsten Damen nach Neuhaus brachten, hätten auf einen längeren Aufenthalt schließen lassen.
Herr von Pausewitz machte eine bedauernde Bewegung. »Durchlaucht, der Wirt depeschiert, daß leider meine Bestellung zu spät kam, glaubt aber, in einem anderen Hotel –«
»Sie werden uns hoffentlich begleiten, lieber Lothar«, unterbrach Prinzessin Thekla den alten freundlichen Herrn und wandte sich zu Baron Gerold. »Die Erinnerung an unsere teure Verewigte wird Sie ebenfalls dorthin ziehen, wo Sie die kurzen Wochen der Brautzeit miteinander verleben durften.«
Lothar verbeugte sich. »Verzeihung, Durchlaucht ich sehe Plätze, an welche sich Erinnerungen knüpfen, die für mich so traurig sind, nicht gern zum zweitenmal. Aber abgesehen hiervon, ich habe in letzter Zeit bemerkt, daß meine Anwesenheit in Neuhaus mehr als nötig ist; auch für meinen Besitz in Sachsen dürfte es gut sein, wenn das Auge des Herrn einmal wieder sorgend auf ihm ruht.«
Die Prinzeß warf einen verzweiflungsvollen Blick durch das Fenster, der ebensogut den drohenden Wolken da draußen gelten konnte, wie der Starrköpfigkeit ihres lieben Schwiegersohnes.
»Eine Frau, eine Mutter faßt das Angedenken an die Heimgegangene natürlich anders auf«, sagte sie kühl, »weniger heroisch. Verzeihung, Baron!«
»Durchlaucht«, erwiderte er mit Wärme, »es wäre schlimm, würde es anders sein! Die Frauen haben das holde Vorrecht, Kultus zu treiben mit den äußeren Zeichen der Trauer wie der Freude. Sie sind es, welche Blumen streuen zum fröhlichen Fest, sie sind es, die das Grab bekränzen. Welcher Schimmer würde dem Leben fehlen, wenn sie ›heroischer‹ wären!«
Prinzeß Helene ward dunkelrot. Wie kam ihre Mutter auf den Einfall, von hier fortzugehen – jetzt? Die Gabel in ihrer Hand zitterte, sie mußte sie hinlegen.
Komtesse Moorsleben rief: »Um Gott..., sind Durchlaucht nicht wohl?«
»In der Tat – ich bin – mir ist so schwindlig plötzlich«, stammelte die Prinzessin. »Verzeihung, wenn ich –«
Sie hatte sich erhoben und, das Tuch vor die Augen gedrückt, schritt sie hinaus. Sie flog die Treppe förmlich hinauf und in Frau von Bergs Zimmer.
»Alice!« rief sie fassungslos, »Mama spricht vom Abreisen! Es ist schrecklich – es ist alles verloren!«
Frau von Berg, die im hellblauen Morgenkleide im Zimmer auf und ab schritt und ihr Riechsalz zuweilen mit halbgeschlossenen Augen an die Nase führte, hielt inne und vergaß für einen Augenblick ihre Krankenrolle.
»Gerold hat Mama seine Begleitung abgeschlagen«, fuhr die Prinzessin erregt fort, indem sie an ihrem Taschentuch zerrte, daß die feinen Spitzen zerrissen. »Er schwärmt plötzlich von seinen Wäldern, wie ein erbgesessener Bauernsohn, dem man zumutet, nach Amerika auszuwandern. Was soll ich in Ostende? Und noch dazu wenn ich weiß, Sie sind nicht mehr hier, Alice! Ich ertrage es nicht«, beteuerte sie und warf sich auf das Sofa, »ich springe unterwegs aus dem Zuge, ich stürze mich von der Mole in die See – ich –«
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