Das weiße Gesicht der Prinzessin leuchtete kaum noch kenntlich aus der schnell hereinbrechenden Dunkelheit herüber zu der unbeweglich dastehenden Frau.
»Ach Gott, es ist ja alles verloren!« rief sie, als diese schwieg. »Ich gehe, und sie bleibt!« Und sie begann leidenschaftlich zu weinen, indem sie aufs neue den Kopf in die Kissen barg. »Ich fühle es, Alice, ich fühle es, er liebt sie!« schluchzte sie.
Frau von Berg lächelte. Sie hatte keinen Grund mehr zur Schonung, seit ihrer heutigen Niederlage haßte sie alle diese Menschen.
»Prinzessin, jetzt keine unnötigen Tränen«, sagte sie kühl, »jetzt müssen Sie handeln. Vor allen Dingen, meine ich, müßte der Herzogin bewiesen werden, daß Durchlaucht keineswegs gestern abend ›im Fieber‹ redeten. Alles andere würde sich dann finden.«
Frau von Berg sah im Geiste schon die ganze Gesellschaft in die Luft fliegen, ihretwegen auch dieses kindische unentschlossene Geschöpf.
»Aber ich kann es ihr nicht sagen, ich kann es nicht!« flüsterte die Prinzessin, »ich habe einmal sehen müssen, wie sie ein Reh krankgeschossen hatten, und ebenso blickte sie mich gestern an. Ich kann es nicht! Ich habe die ganze Nacht deshalb nicht geschlafen.«
Frau von Berg zuckte die Achseln. »So gehen Durchlaucht nach Ostende, die Idylle hier wird sich dann ungestört entwickeln.«
Draußen warf der Wirbelsturm, der vor dem Gewitter daherbrauste, Sand und Blätter gegen die Fenster und zerzauste wütend die Äste der Linden, dann fuhr der erste grelle Blitz hernieder und streifte das spöttisch verzogene Gesicht der schönen Frau, die am Fenster lehnte und in das Toben hinausschaute.
»Ich will ihr schreiben«, sagte jetzt die Prinzessin, und nach einer Pause, während welcher ein Donnerschlag das Haus erbeben machte: »Ich bin es ihr schuldig – ja, ja, ich bin es ihr schuldig, Sie haben recht, Alice! Kommen Sie in mein Zimmer, ich fürchte mich.«
Frau von Berg zündete eine Wachskerze auf dem Schreibtisch an und leuchtete der Prinzessin über den Flur nach ihrem Zimmer. Auf dem weißen runden Frauen- gesicht lag ein Zug höchster Befriedigung. »Endlich!« dachte sie und ballte heimlich die Faust. Wie hochmütig sie an ihr vorübergeschritten war, als Baron Gerold sie – Frau von Berg, – maßregelte, sie, deren Vorfahren mindestens so alt waren wie die ihren.
»Was meinen Sie, Alice«, unterbrach die Prinzessin ihre Gedanken, »wie soll ich schreiben?«
Die zierliche Gestalt der kleinen Durchlaucht saß vor dem Rokokoschreibtischchen, vor sich ein wappengeschmücktes Briefblatt. Vorläufig stand nichts weiter darauf als: »Geliebte Elisabeth!«
»Irgend so etwas, Durchlaucht, wie – daß die Sorge um das Glück Ihrer Hoheit Sie veranlasse, die gestern hingeworfene Bemerkung näher zu begründen, Durchlaucht könnten es vor Ihrem Gewissen nicht verantworten und so weiter, und hier sei der Beweis –«
Die Prinzessin wandte den Kopf und schrieb. Draußen tobte das Wetter, und wenn ein Donnerschlag das Haus erschütterte, hielt die schreibende Mädchenhand inne. Zuweilen fuhr sich die Prinzessin ängstlich über die Stirn, dann flog die Feder aufs neue über das Papier, und endlich reichte das Mädchen der bewegungslos inmitten des Zimmers stehenden Frau das Schreiben.
Diese trat zu der kleinen Kerze und las. »Wie immer gefühlvoll«, sagte sie, »rührend! Und nun das Briefchen Seiner Hoheit, Durchlaucht«, und ihre Augen schimmerten wie die einer beutegierigen Katze.
Die Prinzessin zog das Kettchen unter ihrem Kleide hervor, zögernd nahm sie den Brief aus der Kapsel und schloß dann die Hand zur Faust darum. Ein letzter Kampf rang in ihrem Herzen. Frau von Berg lehnte an der Wand neben dem Tische. »Übrigens«, sagte sie langsam, »großartig sah sie aus, gestern, diese Klaudine. Sie haben einen eigenen Reiz, diese blonden Frauen mit den feuchten blauen Augen –« aber sie bemerkte doch, daß die Prinzessin bereits mit zitternden Fingern die Adresse schrieb.
In diesem Augenblick erschien die Komtesse, um ihre junge Gebieterin zu der Mutter zu rufen. Die alte Prinzessin hatte Nervenanfälle und war in jener krankhaften Verfassung, wo sie Sachen zerschlug und Stoffe zerriß. Auch heute tobte sie wie das Wetter draußen. Mit verweinten Augen kam die Prinzessin nach einer halben Stunde zurück in ihr Gemach, sie hatte mit stummem Trotz die ganze Flut der Vorwürfe hingenommen. Auf dem Schreibtisch flackerte noch das Wachslicht im Verlöschen, die hastig hingeworfene Feder lag neben dem Schreibzeug, aber – die kleine Hand fuhr nach der Stirn – der Brief? Wo war der Brief?
Eine zitternde Angst überfiel sie, sie stürzte durch den Flur nach Frau von Bergs Zimmer.
»Alice!« schrie sie in die Dunkelheit hinein, »der Brief! Wo haben Sie den Brief? Ich will ihn noch einmal lesen!«
Keine Antwort.
»Alice!« rief sie heftig und trat mit dem Fuße auf.
Alles blieb still.
Sie lief die Treppe hinunter. Durch die halbgeöffnete Tür der Halle drang wundervoll erfrischende Luft herein, es hatte aufgehört zu regnen. Draußen auf den Steinfliesen glitt ein Schatten auf und ab.
»Alice!« rief die Prinzessin zum drittenmal und eilte hinaus. »Der Brief! Wo ist der Brief?«
»Durchlaucht, ich habe ihn pünktlich besorgt.«
Ein halberstickter Schrei kam aus dem Munde der Prinzessin.
»Wer hat Ihnen befohlen, den Brief abgehen zu lassen?« stammelte sie zornig und faßte die Schulter der Dame.
»Nun, Durchlaucht«, erwiderte diese, nicht im mindesten aus der Fassung gebracht, »ich fand just Gelegenheit.«
Aber die Prinzessin beruhigte sich nicht. »Und was soll ich sagen, woher ich dieses entsetzliche Briefchen habe?« fragte sie, die Hände ineinander windend.
»Gefunden!« erwiderte die Berg.
»Ich lüge nie!« rief das fürstliche Mädchen und ihre zierliche Gestalt wuchs förmlich. »Von Ihnen wisse ich es, werde ich sagen, so wahr mir Gott helfe, und ich spreche die Wahrheit damit, Alice!«
»Wie Durchlaucht darüber denken – dann habe ich das Briefchen gefunden«, erwiderte sie. »Ich gab es dem Reitknecht mit, den der Baron an Fräulein von Gerold nach Altenstein sandte, er soll es an Frau von Katzenstein abgeben; ich schrieb ihr ein paar Worte, daß sie den inliegenden Brief Eurer Durchlaucht morgen früh Ihrer Hoheit überreichen solle.«
Die Prinzessin war still geworden. Sie hielt sich an dem im blassen Mondlicht schimmernden Türklopfer von Bronze, den der sterngeschmückte Hirsch krönte. Sie konnte nicht mehr klar denken, sie fühlte sich unsäglich elend.
Frau von Berg wußte ganz genau, daß es ein Brief Beates war, den der Reitknecht forttrug, aber warum das sagen? So wurde das Feuer noch mehr geschürt.
Die Prinzessin wandte sich nach der Halle zurück und dort stand sie still. Es war eine Furcht, ein unnennbares Grauen über sie gekommen.
Beate trat eben aus dem Zimmer Lothars, das Schlüsselkörbchen am Arm. »Prinzessin!« rief sie erschreckt, »wie sehen Sie aus!«
Da kam es wie Leben über sie. Sie eilte die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, und da wühlte sie die Hände ins Haar und lag angekleidet auf ihrem Bette die Nacht hindurch, halb bewußtlos, und fürchtete, daß es Tag werden möchte.
22.
Die Herzogin hatte beim Ausbruch des Wetters ihre Kinder holen lassen; das jüngste schmiegte sich an sie, die, von Kissen unterstützt, im Bette saß. Der Erbprinz stand mutig am Fenster und schaute in die blitzdurchzuckte Nacht hinaus, und den zweiten Prinzen hatte Klaudine auf dem Schoß.
Neben dem Erbprinzen stand der Herzog und horchte auf das Prasseln des Hagels und betrachtete die Wassermassen, die der Sturm an die Scheiben warf. Die Herzogin plauderte mit dem Kleinsten; im Nebenzimmer befanden sich Frau von Katzenstein, die Erzieherin der Prinzen und die Kammerfrau.
Als der Donner sich entfernte und der Regen nachließ, wurden die fürstlichen Kinder in ihre Zimmer entlassen. Der Erbprinz sah Klaudine einen Augenblick in das Gesicht.
»Haben Sie sich gefürchtet?« fragte er.
Sie schüttelte freundlich den schönen Kopf.
»Das gefällt mir«, sagte der schlanke Junge, »Mama fürchtet sich immer gleich.«
Die Mutter zog ihr Kind an sich.
»Fräulein von Gerold gefällt dir überhaupt?« forschte sie mit trübem Lächeln.
»Ja, Mama«, antwortete der Knabe, »wenn ich groß wäre, würde ich sie heiraten.«
Niemand lachte über dieses Kindeswort. Die Herzogin nickte: »Schlaft wohl, ihr lieben, lieben Kinder, Gott behüte euch!«
Als das Getrappel der kleinen Füße verhallt war, sagte sie leise: »Ich bin recht müde, Adalbert.«
Auch der Herzog empfahl sich. Er küßte seine Gemahlin auf die Stirn und verließ das Gemach. »Erwache gesund morgen!« sagte er noch.
»Ich verspreche es dir!« erwiderte sie freundlich.
Klaudine wollte sich mit Frau von Katzenstein in die Nachtwache teilen. Sie ging in das Zimmer, das man ihr angewiesen hatte, und zog sich ein bequemeres, wärmeres Kleid an. Dann kehrte sie zurück und saß neben dem Bette, still und geduldig.
Die Herzogin lag mit geschlossenen Augen. Die kleine Nachtuhr tickte leise. Das Bildnis der Madonna leuchtete matt herüber, des Mädchens Augen blieben hängen an diesem holden Antlitz und wanderten dann zu dem bleichen der Kranken. Dann sank ihr Kopf an das Polster, sie schloß die Augen und dachte nach.
Sie war wohl müde von der gestrigen Nacht. Ein leises traumhaftes Dämmern kam über sie, sie sah sich mit seinem Kinde auf dem Arme und fühlte seinen Dankeskuß auf der Hand und sie lächelte im Schlaf. Dann schreckte sie empor, und ein Grauen schlich durch ihren Körper. Sie sah in die Augen der Herzogin, die mit einem unheimlich forschenden Ausdruck auf sie gerichtet waren, so seltsam starr!
»Elisabeth«, fragte sie unter leisem Frösteln, »kannst du nicht schlafen?«
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