»Nein!« war die kurze Antwort.
»Soll ich dir vorlesen?«
»Nein, ich danke!«
»Willst du plaudern? Soll ich dir das Kopfkissen zurechtlegen?«
»Gib mir die Hand, Klaudine. War ich sehr unleidlich heute?«
»Ach, Elisabeth, das kannst du gar nicht sein!« rief das Mädchen und kniete neben ihr.
»Doch, doch! Ich fühle es. Aber dann – dann ist mein Herz krank und du mußt verzeihen.«
»Sag, Elisabeth, geschah dir ein Weh?«
»Nein. Ich dachte nur ans Sterben, Klaudine.«
»Oh denke das doch nicht!«
»Du weißt ja, Klaudine, daß wider die Liebe und den Tod kein Kraut gewachsen ist! Ich glaube, ich fürchte auch nicht den Tod, ich habe eher Angst vor dem Weiterleben.«
»Du bist überaus angegriffen, Elisabeth!«
»Ja, ja, und ich bin so müde. Du sollst auch schlafen, es ist besser, ich bleibe allein, bitte, geh! Die Kammerfrau wacht nebenan. Geh! Ich muß dich immer ansehen, wenn du hier sitzest.« Klaudine beugte sich betrübt über die fieberheiße Hand und zog sich zurück. Gegen Mitternacht schlich sie sich im Nachtkleide nach dem Krankenzimmer und lauschte hinter dem roten seidenen Vorhang, ob die Herzogin wohl schlafe. Es war alles still, aber als durch ihre Bewegung die Falten leise rauschten, wandten sich langsam die großen dunklen Augen der Kranken mit dem nämlichen starren fragenden Ausdruck wie vorhin zu ihr herüber. »Was willst du?« fragte sie.
Klaudine trat vor. »Ich ängstige mich um dich«, sagte sie, »verzeih!«
»Sage mir«, sprach die Herzogin völlig unvermittelt, »warum wolltest du anfänglich nicht nach Neuhaus?«
Klaudine war betroffen. Sie trat näher. »Warum ich nicht nach Neuhaus wollte?« wiederholte sie erglühend. Dann schwieg sie. Es war ihr nicht möglich zu sagen: weil ich Lothar liebe, und weil er mich kränkt, wo er mich sieht – weil er mir mißtraut, weil –
Die Herzogin wandte sich plötzlich um. »Laß, laß, ich will keine Antwort. Geh, geh!«
Ratlos wandte sich das Mädchen der Tür zu.
»Klaudine! Klaudine!« scholl es hinter ihr, herzzerreißend und bang. Die Kranke saß im Bette und breitete die Arme nach ihr.
Sie kam zurück, setzte sich auf das Bett und nahm die zarte bebende Gestalt in die Arme.
»Elisabeth«, sagte sie innig, »laß mich bei dir bleiben!«
»Verzeih mir, ach, verzeih!« schluchzte die Herzogin, das Mädchen küssend, ihr Kleid, das lange blonde Haar, das lose auf den Rücken herniederfiel, und ihre Augen. »Sage mir«, flüsterte sie, »sage es ganz laut, daß du mich liebhast!«
»Ich habe dich sehr lieb, Elisabeth«, sprach Klaudine und trocknete die großen Tropfen, die über das heiße erregte Gesicht der Kranken liefen, wie eine Mutter ihrem Kinde tut. »Du weißt überhaupt nicht, wie sehr, Elisabeth.«
Erschöpft sank die Herzogin zurück. »Ich danke dir – ich bin so müde!«
Klaudine saß noch ein Weilchen, dann, als sie glaubte, die Kranke schlafe, wand sie leise ihre Hand aus der der Freundin und verließ auf den Zehen das Gemach. Ein seltsames Grauen schlich ihr nach. Was war es mit der Herzogin? Dieses Anstarren, diese Kälte, diese leidenschaftliche Zärtlichkeit?
»Sie ist krank!« sagte sie sich.
Sie stand vor dem Spiegel, um das gelöste Haar zu befestigen – ein mißtrauischer Gedanke kam ihr, die Hand, welche die Schildpattnadel hielt, sank herunter. Dann schüttelte sie stolz die goldene Flut in den Nacken zurück. Weder sie noch die Herzogin waren kleinlich genug, an Klatsch zu glauben.
Eine jener ahnungsvollen unbegreiflichen Ideenverbindungen ließ blitzgleich die Erinnerung an das verschwundene Briefchen auftauchen. Ein dumpfes, ängstliches Herzklopfen überfiel sie im Augenblick. Dann lächelte sie – wer konnte wissen, in welchem Waldeckchen es vermoderte im Regen und Tau?
Sie nahm das kleine Gebetbuch, aus dem ihre Mutter schon allabendlich ihr Sprüchlein gelesen, und schlug irgend eine Seite auf: »Behüte mich, Herr, vor böser Nachrede und wehre meinen Feinden! Laß kein Übel mir und den Meinen begegnen und keine Plage unserer Wohnung sich nahen –« las sie und ihre Gedanken flogen nach dem friedlichen Hause, aus dessen Turmgemach die Studierlampe des Bruders in den Wald hinausschimmerte. Und von dort wanderten sie an das Bettchen des mutterlosen Kindes in Neuhaus. »Beschirme es auch ferner, lieber Gott, wie du es gestern behütet hast!« flüsterte sie und senkte die Augen wieder auf das Buch. »Erbarme dich der Kranken, die schlaflos auf ihrem Lager nach Linderung schmachten«, las sie weiter, »und aller Sterbenden, denen diese Nacht die letzte sein soll.«
Das Buch entglitt ihren Händen, eine eiskalte Furcht erfaßte sie – das entstellte Antlitz der Herzogin schaute sie plötzlich an.
Erst nach einer langen Weile richtete sie sich auf und hüllte sich fröstelnd in die Decken. Und sie ließ die Lampe brennen auf dem Tischchen, sie mochte nicht im Dunkeln bleiben.
23.
Der andere Morgen war so golden, so klar, von so köstlicher Frische. Die Sonne funkelte in Millionen Tautropfen auf den weiten Rasenflächen des Altensteiner Parkes, wo eine Schar Arbeiter die Vorbereitungen zu einem Feste traf. Wie lustig und bunt das alles erschien! Eine Stange hatten sie errichtet mit einem buntgemalten Vogel daran, ein Karussel aufgestellt, dessen Pferdchen purpurrote Decken trugen, ein Kasperletheater und ein rot und weiß gestreiftes Zelt, von dessen Dache lustig eine Menge Purpurfähnchen und Wimpel wehten. Im Schatten der Bäume befand sich ein Aufbau für die Musikanten und ein gedielter Platz zum Tanz, alles für kleine Leute berechnet.
Der Erbprinz feierte heute seinen Geburtstag, und dies war die Überraschung seiner Großmama väterlicherseits, außer dem reizenden kleinen Schimmel, der gestern abend heimlich in den Pferdestall geführt wurde.
Die Herzoginmutter wurde gegen Mittag erwartet laut einer Depesche, die in aller Morgenfrühe eingetroffen war. Um zwei Uhr sollte die Familientafel stattfinden, und zum Nachmittag war eine Menge Einladungen ergangen. Selbst die kleine Elisabeth aus dem Eulenhause und Leonie, Baronesse von Gerold, waren mittels großer feierlicher Karten befohlen.
Das Unwohlsein der Herzogin, dazu das gestrige Unwetter, hatte mancherlei Bedenken erregt. Würde das Fest stattfinden können? Aber, Gott sei Dank, die gefürchtete Absage war nicht erfolgt, Ihre Hoheit befanden sich wohler, und das Wetter war unvergleichlich. Man durfte sich ungetrübt auf den Nachmittag freuen als auf eine Fortsetzung von neulich.
Im Schlosse war es heute schon früh lebendig. Das zierliche Stubenmädchen, das auf einen Druck der elektrischen Klingel in Klaudines Zimmer trat, brachte einige Briefe mit.
»Weiß man schon, wie Ihre Hoheit sich befinden?« fragte Klaudine.
»Oh, außerordentlich gut! Hoheit sollen ja schön geschlafen haben und wollen um elf Uhr dem Erbprinzen im roten Saal bescheren.«
»Gott sei Dank!«
Als Klaudine fertig angekleidet war, erbrach sie Beates Brief.
»Ich komme mit zwei Nichten zum Hofball«, schrieb sie, »wie klingt das ehrwürdig – und wie drollig ist es in Wirklichkeit. Gott gebe, daß Hoheit wohler ist, wenn Du diese Zeilen erhältst. Lothar ist bereits mit den Durchlauchtigsten zur Tafel befohlen. Ich wollte, Klaudine, wenn er denn einmal durchaus eine Prinzessin freien will, er machte die Sache klar. Dies lange Schmachten ist mir fremd an ihm, er ist doch sonst ein so entschlossener Mensch. Vielleicht jetzt, wo die alte Durchlaucht abreisen will? Ach, Klaudine, ich hatte mir meine Schwägerin einmal anders vorgestellt. Auf Wiedersehen!«
Dann klopfte es und das gutmütige Gesicht der Frau von Katzenstein schaute herein. »Darf ich?« fragte sie, und gleich darauf stand sie vor Klaudine. »Hoheit wachten so fröhlich auf«, erzählte sie. »Sie wollten selbst den Geburtstagstisch aufbauen. Sie nahmen das Frühstück im Bette ein und verboten noch besonders, Sie, liebste Klaudine, zu wecken, damit Sie ausschlafen könnten. Die Kammerfrau mußte für die Mittagstafel ein rotseidenes Kleid zurechtlegen, und nun –«
»Ist Hoheit kränker?« fragte Klaudine atemlos und tat einen Schritt nach der Tür.
»Bleiben Sie, liebstes Kind, ich muß Ihnen noch weiter erzählen. Die Herzogin bekam Briefe heute früh, und plötzlich – ich hatte die Umschläge aufgeschnitten – höre ich vom Nebenzimmer aus einen sonderbaren Ton, wie einen schweren Seufzer, und als ich zurückkomme, liegt die Herzogin mit geschlossenen Augen in den Kissen. Ich bemühte mich um sie, und da sagte Hoheit auf einmal mit eigentümlich schwerer Zunge: ›Gehen Sie hinaus, liebe Katzenstein, ich will allein sein.‹ Ich ging widerstrebend, und als ich vorhin in meiner Angst hinein wollte, hatte die Herzogin sich eingeschlossen. Seine Hoheit hatten schon zweimal geschickt, um sich anzumelden, der Erbprinz vergeht vor Ungeduld, im Garten steht die Kapelle und wartet auf den Befehl zum Beginn des Ständchens, und noch rührt sich nichts in dem Zimmer der Herzogin.«
»Mein Gott, sie bekam doch keine schlimmen Nachrichten von ihrer Schwester?«
Die alte Hofdame zuckte die Schultern. »Wer kann es wissen?«
»Kommen Sie, liebste Frau von Katzenstein! Hoheit war gestern schon so sonderbar, so aufgeregt!« Das schöne Mädchen mit dem sorgenvollen Gesicht stand an der kleinen Tapetentür, die in das Schlafzimmer der Herzogin führte, und lauschte. Kein Ton zu hören. »Elisabeth!« rief sie leise und angstvoll.
Dort innen wurde der Ruf gehört. Vor ihrem Bette kniete die Herzogin und hob den Kopf, ihre starren Augen wandten sich nach jener Richtung, aber ihre Lippen preßten sich nur noch fester aufeinander. In der Hand hielt sie ein kleines, vielfach gebrochenes Briefchen. Das Zweifeln, das Bangen war vorüber, mit der Gewißheit war Ruhe über sie gekommen, eine schreckliche starre Ruhe, und mit ihr der Stolz, der Stolz der königlichen Prinzessin. Niemand durfte es ahnen, wie arm sie geworden war!
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